Chronik von Eden. D.J. Franzen
von ihnen aufhielt. Ein Stück weiter am Zaun sah das allerdings schon wieder ganz anders aus.
»Na also, wer sagt’s denn?« Sandra klang zufrieden.
»Hast du etwas gesehen, was mir bislang entgangen ist?« Stefan runzelte die Stirn. »Hier hat es doch genauso viel Freaks am Zaun wie an allen anderen Stellen, die wir bislang gesehen haben.«
»Von den Untoten redet doch auch keiner.« Sandra grinste. »Zumindest noch nicht. Wartet hier, und wenn die Lücke groß genug ist, dann seht zu, dass ihr nach drinnen kommt.«
»Was hast du vor?«, fragte Martin besorgt.
»Das wirst du gleich sehen.«
»Sandra, bitte, mach keinen Scheiß. Wir brauchen dich doch.«
»Ich sorge dafür, dass ihr in Sicherheit kommt, ganz einfach.«
»Soll nicht wenigstens einer von uns mitgehen? Zu zweit hat man doch bessere Chance bei was auch immer du vorhast.«
Sandra schüttelte entschieden den Kopf. »Ihr bleibt bei den Kindern, basta. Im Augenblick habe ich noch das Kommando, also wird gemacht, was ich sage, klar?«
Martin öffnete den Mund, um ihr erneut zu widersprechen, aber Sandra legte im schnell den Zeigefinger davor.
»Tut einfach was ich sage.« Ihr Blick wurde weicher, fast flehend. »Bitte. Nur noch dieses eine Mal.«
Als Martin stumm nickte, hauchte sie ihm zur Überraschung aller eine flüchtigen Kuss auf die Stirn, dann hastete sie auch schon auf den Parkplatz zu und verschwand zwischen den dort stehenden Fahrzeugen.
*
Das Aufheulen des großvolumigen V8-Motors erinnerte an das ungestüme Brüllen einer Urzeitbestie. Noch einmal wurde das Gaspedal unflätig durchgetreten, dann schoss der Hummer, mit quietschenden Reifen aus seiner Parklücke.
Erneut war ein Quietschen zu hören, als das Fahrzeug abrupt zum Stehen gebracht wurde. Es krachte im Getriebe, dann war der Vorwärtsgang eingelegt. Trotzdem schien der Fahrer noch auf irgend etwas zu warten.
Der Motor brüllte zwei weitere Male auf, dann wurden die ersten Untoten aufmerksam. Köpfe drehten sich, und teils widerlich entstellte Fratzen blickten in die Richtung, aus der der Lärm kam. Die ersten faulenden Leiber setzten sich wankend in Bewegung und hielten auf das Fahrzeug zu. Hier gab es offenbar frisches Fleisch!
Das schien dem Fahrer des Hummers der geeignete Moment zu sein. Wieder jagte er die Drehzahl des Motors nach oben, dann nahm er einfach den Fuß von der Kupplung. Laut protestierend drehten die Räder des Fahrzeugs durch, stinkender Rauch stieg auf. Als der Gummi begann, durch diese Misshandlung heiß zu werden, siegte schließlich die zunehmende Reibung über die Massenträgheit, und das Fahrzeug schoss mit einem Ruck vorwärts.
Die Zombies schienen in ihrer Gier gar nicht zu bemerken, in welcher Gefahr sie sich befanden. Fast drei Tonnen Stahl rasten auf sie zu, doch sie machten keinerlei Anstalten, auch nur einen einzigen Schritt zur Seite zu weichen. Stattdessen setzten sich immer mehr von ihnen in Richtung auf das Fahrzeug in Bewegung.
Der Hummer fuhr wie ein Geschoss zwischen die Untoten. Haut platzte auf, und Knochen brachen, als wären sie Streichhölzer. Mancher Körper wurde einfach davongeschleudert, so als würde er fast nichts wiegen.
Dem Fahrer war das Spektakel offenbar nicht laut genug. Zu allem Überfluss malträtierte er jetzt die Hupe des Wagens, was nun auch diejenigen Zombies auf ihn aufmerksam machte, die weiter weg standen und bislang keine Anstalten gemacht hatten, ebenfalls an der »Party« teilzunehmen.
Abrupt hielt das Fahrzeug an, und wieder war dessen Hupe zu hören. Jetzt bemerkte man auch im Inneren des Stützpunkts, was auf dem Parkplatz vor sich ging. Durch den infernalischen Lärm, den V8 und Hupe veranstalteten, war zwar nichts zu hören, aber die zurückgebliebenen Pilger, die sich immer noch zwischen den Büschen am Rand des Parkplatzes versteckten, sahen erste Bewegungen hinter dem Zaun.
Der Hummer setzte sich langsam wieder in Bewegung. Dabei walzte er unbarmherzig alles nieder, was sich ihm in den Weg stellte. Ein angefaulter Schädel zerplatzte unter einem der Räder, und an der Stoßstange hing ein Arm, der seinem Besitzer offenbar im Schultergelenk herausgerissen worden war.
»Sie schafft es tatsächlich!« In Stephans Stimmt lag Bewunderung. »Was für ein Teufelsweib!«
Martin sah ihn von der Seite an, dabei war seiner Miene nicht zu entnehmen, was er von dieser Äußerung hielt.
»Macht euch bereit, Kinder.« Wie selbstverständlich hatte Patrick die Führung der Gruppe übernommen. »Wie es aussieht, geht Sandras Plan auf und die Zombies folgen ihr alle.«
Umsichtig trat er einen Schritt aus dem Gebüsch heraus und winkte verhalten den Soldaten zu, die auf der anderen Seite des Zauns aufgetaucht waren und mit großen Augen die Show betrachteten, die ihnen da geboten wurde. Doch Patricks Vorsicht hätte es nicht bedurft. Die Untoten waren viel zu sehr mit ihrem »Essen auf Rädern« beschäftigt. Sie bemerkten überhaupt nicht, dass das nur die Vorspeise war und sich der Hauptgang noch im Dickicht befand.
»Los jetzt!« Patrick trieb die Kinder an.
Inzwischen waren die Zombies weit genug vom Parkplatz entfernt, dass die Pilger diesen gefahrlos überqueren konnten. Einer der Soldaten schloss die kleine Seitentür auf, die sich neben dem Haupttor befand, und winkte die Menschen hindurch. Sie waren endlich in Sicherheit!
*
Im Rückspiegel sah Sandra gerade noch, wie der letzte ihrer Gruppe im Innern des Stützpunkts verschwand. Erleichtert atmete sie auf, dann drückte sie aufs Gas. Röhrend beschleunigte der Hummer und walzte erneut ein paar Zombies nieder, die so dumm gewesen waren, sich ihm in den Weg zu stellen.
Tränen in Sandras Augen verschleierten ihr den Blick. Mit einem Mal fiel die Anspannung der letzten Zeit von ihr ab. Ihr Körper zuckte, während sie von Weinkrämpfen geschüttelt wurde.
Die junge Frau hieb aufs Lenkrad, dann lenkte sie das große Fahrzeug an die Seite und blieb einfach stehen. Sie konnte kaum noch eine klaren Gedanken fassen.
Die Kinder waren in Sicherheit, nur das zählte! Der Rest war egal.
Sandra zog geräuschvoll die Nase hoch.
Was hatte sie sich nur dabei gedacht? So kaputt, wie ihr ganzes Leben bisher gewesen war, hatte sie mehr Glück als Verstand gehabt, mit den Kindern überhaupt heil bis hierher gekommen zu sein.
Was für eine Ironie des Schicksals! Ausgerechnet sie gehörte zu den Immunen!
Das sarkastische Lachen, welches ihre Kehle nach oben rollte, klang eine Spur zu schrill.
Aber nun war alles vorbei. Endlich! Die Kinder waren in Sicherheit, Sandra wurde nicht mehr gebraucht. Das war der richtige Zeitpunkt, um sich aus dieser ganzen Scheiße, zu der die Welt geworden war, zurückzuziehen. Sollten doch die anderen Immunen zusehen, was sie aus diesem Scherbenhaufen machten, Sandra hatte keinen Bock mehr darauf.
Als sie die Pistole langsam an den Kopf führte, um sich selbst den Gnadenschuss zu setzen, nahm sie draußen eine merkwürdige Veränderung der Situation wahr. Nein, das konnte einfach nicht sein! Was sie dort sah, war einfach nicht möglich!
*
Die Zombies hatten den Hummer umringt, versuchten von allen Seiten, in das Fahrzeug einzudringen. Jetzt zogen sie sich langsam davon zurück, nahmen einen respektvollen Abstand ein.
Ein Mann betrat den Kreis, der sich um den Wagen gebildet hatte. Sein Kopf war vermummt, wie der eines Wüstennomaden, die Haut seiner Hände wirkte verbrannt. Langsam ging er auf das Fahrzeug zu.
»Sandra, nicht! Das ist nicht nötig!« Franks stimme drang merkwürdig gedämpft unter dem Tuch hervor. »Bitte, nimm die Pistole runter, wir können über alles reden.«
Entgeistert schaute ihn die junge Frau an. Langsam ließ sie die Hand mit der Waffe sinken und öffnete das Seitenfenster einen kleinen Spalt breit.