Chronik von Eden. D.J. Franzen
Moment begann der Hund zu bellen.
»Ich sage doch, dass er uns vor etwas warnen will«. Tom war unwillkürlich stehengeblieben, ebenso die anderen Kinder.
Noch bevor einer der Erwachsenen etwas antworten konnte, waren plötzlich Geräusche zu hören. Dann tauchten die ersten Zombies am Rand des Ackers auf.
»Das Mistvieh hat sie angelockt!« In Stephans Stimme lag Triumph. »Ich wusste es doch gleich, dass er gemeinsame Sache mit ihnen macht!«
»Und wenn schon!« Sandra hatte auf dem Absatz kehrtgemacht. »Lauft!«
*
»Ich kann nicht mehr!« Japsend rang Gabi nach Luft. »Ich brauche eine Pause. Das buchsta…«
»Ja, ich weiß, wie man das buchstabiert«, fiel ihr Sandra ins Wort. »Spar dir deine Luft lieber, denn ein paar Meter musst du noch durchhalten.«
In Gabis Gesicht trat ein weinerlicher Ausdruck. Der Rotz in ihrer Nase begann, Blasen zu werfen.
Martin nahm ihre Hand und zog sie mit sich. Wie selbstverständlich packte Tom die andere und half.
»Wir müssen dort vorne nach rechts«, ließ sich Mark vernehmen.
»Das führt uns aber noch weiter von unserem eigentlichen Ziel weg«, widersprach Sandra.
»Trotzdem ist es richtig, denn …«
In diesem Moment gellte ein »Nein, sag es ihr nicht!« durch Martins Kopf. Es war Toms geistige Stimme gewesen.
Erst jetzt wurde Martin bewusst, dass er Tom hatte seit einiger Zeit nicht mehr »hören« können. Mit Erstaunen stellte er dabei fest, dass er diese Art der Kommunikation zu vermissen begann.
Was soll er ihr nicht sagen?
Martin konzentrierte sich mit aller Macht auf diesen einen Gedanken, doch es kam keine Antwort.
»Es ist richtig weil?«, hakte Sandra in diesem Moment nach.
»Weil … weil es eine Sackgasse ist.«
»Eine Sackgasse? Bist du sicher?«
»Klar doch. Schließlich bin ich hier aufgewachsen. Oder willst du es darauf ankommen lassen, dass die Knirscher uns dort festsetzen?«
Sandra schüttelte den Kopf, dann schlug sie die Richtung ein, die Mark ihr genannt hatte. Ein paar Minuten später war sie sich sicher, die Zombies abgehängt zu haben. Keuchend blieb die Gruppe stehen.
*
»Die wären wir fürs erste los«, stellte Sandra fest. »Allerdings sind wir jetzt so weit wie heute Morgen.«
»Die Wege des Herrn sind unergründlich, …«, setzte Patrick an.
»Ja, ja, und wir alle sind seine Diener, ich weiß. Das hatten wir gerade schon einmal.« Sandra sah den Pfarrer mit einer schwer zu deutenden Miene an.
»Hatten wir?« Patrick kratzte sich am Kopf. »Kann es sein, dass ich langsam vergesslich werde? So alt bin ich doch noch gar nicht.«
»Und was hast du jetzt vor?«, wollte Stephan von Sandra wissen.
»Wir suchen uns einen anderen Weg, was denn sonst?«
»Wir hätten uns auch einfach den Weg freiprügeln können. Was hältst du davon?«
»Nichts.«
»Und warum nicht, wenn man fragen darf?«
»Weil wir zum einen nicht über unendlich viel Munition verfügen und zum anderen die Gefahr viel zu groß ist, dass einer von uns bei dem Versuch gebissen wird. Sonst noch Fragen?«
»Nee, soweit ist’s klar.« Stephan grinste schief.
»Das bringt mich überhaupt darauf: Du bist immer noch okay. Das scheint mir ein kleines Wunder zu sein.«
»Lobpreiset den Herrn!«, kam es reflexhaft aus Patricks Mund.
»Vielleicht macht es ja gar nichts aus, wenn man gebissen wird.« Stephan zuckte mit den Schultern. »Wir alle scheinen immun zu sein, andernfalls wären wir doch längst ebenfalls zu Freaks geworden. Also wird uns auch der Biss nichts anhaben können, das ist doch nur logisch. Schau ruhig genau hin, ich bin noch so normal wie eh und je, und mich haben diese Viecher definitiv gebissen.«
»Bitte, sprich nicht so despektierlich von diesen armen Seelen.« Patrick sah Stephan tadelnd an. »Sie mögen uns zwar nicht mehr menschlich erscheinen, aber trotzdem gehören sie zu Gottes Schöpfung und waren einmal Menschen und keine ›Viecher‹.«
»Dann würde ich vorschlagen, Sie beten für deren Erlösung, Hochwürden, und lassen uns solange in Ruhe über harte Fakten reden.«
Patricks Mundwinkel zuckten. Er schien einen Moment mit sich zu ringen, dann nickte er. »Also gut, reden wir über die Fakten. Was wissen wir?«
»Wir haben jetzt keine Zeit, die ganze Geschichte beginnend bei Adam und Eva durchzukauen.« Sandra sah die Männer fassungslos an. »Falls ihr es vergessen haben solltet: Wir wollten heute noch zum Fliegerhorst kommen, und wie es ausschaut, haben unsere Freunde genau in dieser Richtung einen kleinen Ausflug ins Grüne unternommen.«
»Ich finde es schon wichtig, ob deren Bisse für uns nun gefährlich sind oder nicht«, beharrte Stephan.
»Pass auf, mein Lieber, ich sage dir jetzt etwas, und ich sage es nur einmal, also hör besser ganz genau zu: Ich bringe diese Kinder in Sicherheit, und wenn es das letzte ist, was ich tue. Jeder der sich mir dabei in den Weg stellt, mich über Gebühr behindert oder aufhält, läuft Gefahr, sich eine Kugel zwischen den Augen einzufangen. Capiche?«
»Du hast eine unnachahmliche Art, deinen Standpunkt klarzumachen.« Stephan strahlte wie ein Honigkuchenpferd. »Also lass uns meinetwegen weitergehen. Wir können auch unterwegs darüber reden.«
*
Mark hatte die Führung der Gruppe übernommen und leitete sie über kleine Sträßchen zum nordwestlichen Rand der Ortschaft. Währenddessen hatten Stephan und Patrick eifrig darüber geredet, wie immun man als Immuner sein konnte, waren aber nicht wirklich zu einem zufriedenstellenden Ergebnis gekommen. Klar war nur, dass Stephan die Bisse der Zombies bislang nichts hatten anhaben können. Aber keiner wusste, ob dieser Zustand von Dauer war und ob das auch auf alle anderen Mitglieder der Gruppe zutreffen würde. Merkwürdigerweise wollte sich niemand freiwillig für einen Selbstversuch melden.
Nun standen die Pilger erneut am Ortsrand und schauten auf die Felder, die vor ihnen lagen. In etwa einem halben Kilometer Entfernung waren wieder Gebäude zu sehen. Es schien sich um ein Industriegebiet zu handeln.
»Mein Gefühl sagt mir, dass wir dem Gewerbegebiet besser nicht zu nahe kommen sollten.« Sandra sah ihre Begleiter an. »Dort vorne scheint eine Straße zu sein. Zu der schlagen wir uns querfeldein durch und sehen dann, wo sie uns hinführt.«
Da niemand Einwände erhob, setzte sich die Gruppe in Bewegung. Dabei nahmen sie wieder die alte Marschordnung ein. Sandra und Martin ging links und rechts von den Kindern, Stephan vorne und Patrick am Ende.
Sie schlugen ein mäßiges Tempo an, denn Gabis Atembeschwerden wurden immer schlimmer. Auf der einen Seite tat Martin das Mädchen leid, auf der anderen war er aber auch froh darüber, dass nicht er der »Bremsklotz« der Gruppe war. Sandra würde nie soweit gehen, eines der Kinder als »Snack« zurückzulassen, so wie sie es ihm heute Morgen indirekt angedroht hatte, dessen war er sich sicher.
»Wir könnten gemeinsam etwas singen, um uns das Gehen zu erleichtern«, schlug Patrick vor. »Wie wäre es zum Beispiel mit Lied 257 ›Großer Gott wir loben Dich‹?«
Sandra warf ihm einen missbilligenden Blick zu. »Einmal ganz davon abgesehen, dass ich dieses Lied früher schon nicht sehr mochte, fürchte ich, dass uns die Singerei ›Freunde der Musik‹ auf den Hals hetzen könnte, von denen uns bereits ihr Mundgeruch mehr als unangenehm wäre. Sie verstehen, was ich meine?«
»Ja,