Chronik von Eden. D.J. Franzen
sagte leise ein Gebet vor und forderte die Kinder auf, es nachzusprechen. Diese blickten unsicher zu den anderen Erwachsenen, schließlich taten sie dann aber, was der Pfarrer von ihnen wollte.
*
Nach einer Weile machten sie eine Rast. Melanie versuchte noch einmal, Gabis Atembeschwerden mit dem Rest des Asthmasprays zu lindern, doch der Erfolg hielt sich in Grenzen. Patrick nutzte die Pause, um erneut über die Bibel zu referieren, was zumindest den Erwachsenen langsam sichtlich auf die Nerven ging.
»Ich dachte, sie wollten die Kinder auch in etwas Anderem als nur Religion unterrichten?« Stephan sah den Pfarrer an. »Oder glauben Sie etwa, wenn man nur lange genug betet, stellt sich der Rest des Wissens von ganz alleine ein?«
»Natürlich nicht.« Patricks Miene verfinsterte sich. »Das ist blasphemischer Unfug, was du da redest.«
»Ich wollte ihre religiösen Gefühle nicht verletzten, es tut mir leid. Aber was ist denn jetzt mit dem anderen Unterricht?«
»Dafür benötigt man eine Möglichkeit, um schreiben zu können. Ich habe ja heute Morgen nicht ohne Grund darum gebeten, noch ein wenig in dem Haus zu bleiben, aber mein Wunsch wurde abgelehnt.« Patrick sah Sandra tadelnd an.
»Dann üben sie doch das kleine Einmaleins mit den Kindern«, schlug diese vor. »Das geht auch ohne Schreibzeug. Und lauter als Beten ist es auch nicht.«
»Gut, der Vorschlag ist nicht von der Hand zu weisen. Und über die Grundlagen von Mathematik und Rechtschreibung sprechen kann man auch. Da gibt es durchaus das eine oder andere an theoretischem Stoff, den man so vermitteln kann. Trotzdem sollte uns allen klar sein, dass auch das nur auf der Güte des Herrn und seiner allumfassenden Weisheit gründet.«
Überraschend fing Martin wieder einen Gedanken von Tom auf: Langsam weiß ich nicht mehr, wer mir mehr Angst macht, Stephan oder der Pfarrer.
Erneut versuchte Martin zu antworten, doch er scheiterte ein weiters Mal. Es war, als ob irgendetwas verhindern würde, dass er sich auf diesem Weg mitteilen konnte. Dann wurde ihm schlecht.
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»Kannst du nicht aufpassen?« Sandras Augen blitzten Martin böse an. »Beinahe hättest du mir die Schuhe vollgekotzt!«
»Du hättest es ihn ja sauberlecken lassen können.« Stephan grinste gehässig. »Das hätte ihm sicher gefallen.«
»Was willst du denn damit sagen?« Sandra sah überrascht drein. »Hältst du ihn etwa für pervers oder sowas?«
»Das hat mit pervers nichts zu tun. Sag bloß, dir ist noch nicht aufgefallen, wie dich unser Held immer anschaut? Wie ein treues Hündchen seinen Herrn – Pardon – seine Herrin.«
»Spinnst du jetzt vollends?« Martins Blick war entgeistert. »Was quatscht du denn da für einen Blödsinn?«
»Bitte reißt euch ein wenig zusammen.« In Patricks Stimme lag Strenge. »Es sind Kinder zugegen, und ihr seid im Moment kein wirklich gutes Vorbild.«
»Ich habe nichts gesagt.« Stephans Gesicht war von einem Moment auf den anderen die personifizierte Unschuld. »Von meiner Seite aus ist alles bestens.«
»Aber von meiner nicht!« Martin richtete sich drohend auf. »Du hast doch von Anfang an gegen mich gestänkert, seit du zu uns gestoßen bist. Wenn’s mir im Moment nicht so dreckig ginge, dann würde ich dir mit meinen Fäusten zeigen, was ich davon halte!«
»Oh, tu dir nur keinen Zwang an. Den ersten Schlag hast du frei.«
»Schluss jetzt!«, donnerte Sandra. »Ich habe euch schon einmal gesagt, was ich von diesem ›Männer-Ding‹ halte. Entweder das hört jetzt auf, oder ich ent-manne euch, klar?«
»Ist schon gut, du bist der Chef.« Stephan machte eine entschuldigende Geste. »Ich hab’s ja nicht böse gemeint.«
»Und was ist mit dir?« Sandras Frage war an Martin gerichtet gewesen.
»Er soll mich einfach in Ruhe lassen, dann ist es für mich auch okay.«
»Na, das ist doch ein Anfang.« Sandra lächelte sarkastisch. »Und in zwei bis sieben Jahren habt ihr euch zu einer klassischen Männerfreundschaft zusammengerauft. Falls wir dann noch leben …«
Der Rest der Pause verging, ohne dass noch jemand sprach. Als Gabi sich einigermaßen erholt hatte, setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung. Patrick verzichtete sogar darauf, neuerlich Unterricht halten zu wollen. Stattdessen sahen seine Augen ein wenig glasig aus.
*
Gegen Abend erreichten die Pilger die Ausläufer der nächsten Ortschaft. Die häufigen Pausen hatten sie erheblich aufgehalten, zusätzlich hatten sie zweimal einen Umweg in Kauf nehmen müssen, um größeren Gruppen von Zombies auszuweichen. Der Fliegerhorst, der eigentlich ihr Ziel war, musste sich nun grob südlich von ihnen befinden.
»Wir werden unsere Plan leider ändern müssen«, stellte Sandra mir säuerlicher Miene fest. »Bis zum Militärgelände schaffen wir es heute nicht mehr. Wenn es dunkel ist, sind die Untoten wieder viel zu schnell, das ist einfach zu gefährlich. Also suchen wir uns hier eine Übernachtungsmöglichkeit.«
»Schau, da ist wieder der weiße Hund!« Tom hatte den Arm ausgestreckt und deutete die Straße entlang. »Jetzt geht er in das Haus dort vorne.«
»Dann sollten wir um das Gebäude wohl besser einen großen Bogen machen«, knurrte Stephan. »Wo der Köter ist, sind unsere ›Freunde‹ nicht weit.«
»Bislang hat er immer gebellt, wenn Zombies in der Nähe waren«, überlegte Martin laut. »Diesmal war er ganz still. Kann es sein, dass er uns dieses Haus für die Nacht empfehlen will?«
»Ja klar, erst warnt er uns, dann sucht er nach geeigneten Übernachtungsmöglichkeiten für uns.« Stephan lachte trocken auf. »Was kommt als nächstes? Der Sechser im Lotto?«
»Wenn wir nicht nachsehen, finden wir es auch nicht heraus.« Sandra wirkte entschlossen. »Wir schauen uns die Hütte an, und wenn sie zombiefreie Zone ist, dann pennen wir heute dort. Außerdem würde ich mir das Tierchen zu gerne einmal aus der Nähe betrachten.«
Tatsächlich erwies sich das Haus als geeignet für ein Nachtlager. Weit und breit waren keine Zombies zu sehen, Fenster und Türen machten einen stabilen und intakten Eindruck. Allerdings fehlte auch von dem Hund jegliche Spur. Vermutlich war er durch die Terrassentür verschwunden.
Kapitel VIII - Belagerung
Jessica räkelte sich wohlig in der Sonne. Die warmen Strahlen streichelten ihre Haut. In den nahen Bäumen war das Gezwitscher der Vögel zu vernehmen, irgendwo bellte ein Hund.
So einen ruhigen Tag hatte sie schon lange nicht mehr erlebt, und sie hatte vor, ihn auszukosten. Bald würden die Herbststürme einsetzen, und dann würde es wieder einige Monate dauern, bis man sich erneut in die Sonne legen konnte.
Jessica seufzte zufrieden, dann hielt sie plötzlich inne. Irgend etwas war eigenartig. Sie lauschte eine Weile, doch die Geräusche klangen alle völlig normal. Auch mit der Wiese, auf der sie ihr großes Badetuch ausgebreitet hatte, schien alles in Ordnung zu sein.
Leise und heimlich wie ein Dieb schlich sich die Erkenntnis in Jessicas Gedanken: Es waren die Sonnenstrahlen, mit denen etwas nicht stimmte! Diese sanften, fast zärtlichen Berührungen, Jessica konnte sich nicht daran erinnern, dass sich die Sonne auf ihrer Haut schon jemals so angefühlt hätte.
Mit aufgerissenen Augen sah sie an sich herab. Das, was sie eben noch für Sonnenstrahlen gehalten hatte, entpuppte sich als ein Gewühl aus Tentakeln! Diese hielten sie fest und liebkosten sie zugleich.
Für einen Moment liefen Jessica wohlige Schauer über den Rücken, dann drückten zwei der Tentakeln ihre Schenkel auseinander. Zwei weitere dieser Dinger machten sich daran, das Mädchen an einer Stelle zu berühren, die für so etwas noch nicht bereit war.
Jessica schrie