Parkour. Herbert Lipsky

Parkour - Herbert Lipsky


Скачать книгу
Lukas lächelte. Sein Haar war wie immer etwas durcheinander, und eine Locke war ihm in die Stirn gefallen, er sah ein wenig wie ein Unschuldsengel aus.

      „Du hast es faustdick hinter den Ohren, mein Süßer. Es ist eine große Chance für dich.“

      „An die Sitte habe ich zwar nicht gedacht, aber alles ist besser als der normale Dienst in der Polizeiinspektion. Ich muss aber noch einen Monat bleiben. Trotzdem: Ich bedanke mich für Ihr Angebot und komme gerne, wenn es geht.“

      „Wenn es klappt, dann kommst du nicht zur Sitte, sondern zu einer Sonderkommission, und das nur vorübergehend. Genaueres wirst du noch erfahren.“

      Er stand auf, ging hinaus und kam mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern zurück.

      „Du hast die Flasche schon geöffnet, während du den Kaffee gemacht hast.“

      „Ich schwöre Ihnen: Nur für mich, denn ich habe noch nichts gegessen und muss mir später noch etwas kochen. Sie wissen, wir Franzosen legen großen Wert auf das Essen und Trinken.“

      „Was machen deine Eltern?“

      „Vater ist Journalist, er lebt in Paris, und meine Mutter ist Professorin für Soziologie und arbeitet derzeit in Deutschland, ich bin gegenwärtig allein im Haus. Meine Eltern sind übrigens nicht verheiratet. Die Villa hat meine Mutter von ihrem Großvater geerbt.“

      Er schenkte ein und hob sein Glas.

      „Frau Gruppeninspektor, auf eine gute Zusammen­arbeit.“

      Sie nahm einen genießerischen Schluck und leckte sich danach wie eine Katze die Lippen. Dann nahm sie die Flasche und betrachtete das Etikett.

      „So viel bin ich dir wert?“

      Er lächelte entwaffnend.

      „Wenn Sie heute noch nichts vorhaben, koche ich für Sie eine Kleinigkeit mit.“

      Sie nahm ihr Telefon, stand auf, ging zu der Tür, die auf eine Terrasse führte, trat hinaus und führte ein längeres Gespräch. Als sie zurückkam, erleuchteten gerade die letzten Sonnenstrahlen das Zimmer und verliehen ihr eine Aura wie einer Sonnengöttin.

      „Ich kann eine Zeit lang bleiben.“

      Lukas begab sich in die Küche. Sie ging im Wohnzimmer herum, betrachtete die Bilder. Einige konnte sie zuordnen, Wiener Jugendstil, andere schienen aus Frankreich zu stammen. Die Teppiche waren erstklassig, antike Möbel standen neben modernen und funktionellen. Im nebenan liegenden Schlafzimmer sah sie ein großes, nicht gemachtes Bett. Das Badezimmer war blitzsauber. Nirgends gab es ein Anzeichen, dass hier ein weibliches Wesen wohnte.

      Der Bursche bewohnt hier allein mehr als hundertzwanzig Quadratmeter, dachte sie sich. Es war die schönste Wohnung, in der sie jemals gewesen war, eine geglückte Mischung aus Alt und Modern. Seine Familie musste wohlhabend sein, auf alle Fälle hatte er einen guten Geschmack.

      Sie ging in die Küche, wo der Hausherr sich bemühte. Er hatte zwei mit Pfefferkörnern bestreute Filets in eine Pfanne gelegt. Der große Refektoriumstisch war für zwei Personen gedeckt. Er bereitete gerade ein Dressing für den Salat zu.

      „Hast du manchmal weiblichen Besuch, oder bist du schwul?“

      „Ich interessiere mich ausschließlich für Frauen, aber es ergibt sich nur selten, dass ich sie zu mir einlade. Sie sind ein Ausnahme.“

      „Ich habe mich selbst eingeladen.“

      Er öffnete das Backrohr und nahm ein feuerfestes Geschirr heraus.

      „Ich habe das Gratin von gestern aufgewärmt.“

      Er goss Cognac in die Bratpfanne, flambierte die Filets und legte sie auf einen Teller, den er ins Backrohr schob. Dem verblieben Jus fügte er ein wenig Butter, Crème frâiche und einige Kräuter hinzu. Die Filets kamen auf den Tisch, die Sauce wurde teils darübergegossen, der Rest in eine kleine Sauciere gefüllt. Sie nahmen auch von dem Gratin und begannen zu essen.

      „Das Fleisch ist exzellent, die Sauce grandios.“

      „Ich habe meine Jugendjahre in Paris verbracht, und da mein Vater dauernd auf Reisen war, habe ich viel Zeit in der Küche bei unserer Haushälterin verbracht. Die ist eine gute Köchin und hat mir einiges beigebracht.“

      Marie war Bretonin und als junge Frau von Quimper nach Paris gekommen. Sie hatte an der Sorbonne Sprachen studiert, und Lukas’ Vater hatte sie über Vermittlung von Bekannten in der großen Wohnung, die während seiner Abwesenheit immer leer stand, wohnen lassen. Sie arbeitete nach dem Studium eine Zeit lang für einen Verlag, und dann, als Lukas als Kind immer öfter bei seinem Vater war, machte er ihr den Vorschlag, für ihn zu sorgen. Darauf arbeitete sie nur mehr Teilzeit und wurde zu seiner Hausdame. Schließlich geschah, was geschehen musste. Sie wurde die Geliebte seines Vaters und nahm sich Lukas’ vollständig an, sie wurde zu seiner zweiten Mutter.

      Marie hatte ihm nicht nur in der Küche etwas beigebracht. Schon mit sechs Jahren schlüpfte er, wenn er Angst hatte oder nicht einschlafen konnte, zu ihr ins Bett. Sie streichelte ihn und sang ihn in den Schlaf. Als er zehn war, hörte das auf. Aber an seinem fünfzehnten Geburtstag ließ sie ihn machen, was er wollte, und sagte ihm, er sei nun ein Mann. Sie brachte ihm viel über Frauen bei. Er wusste um ihre Sehnsucht nach Zärtlichkeit und über ihr instinktives Bedürfnis, sich manchmal der Gewalt und der körperlichen Stärke eines Mannes zu unterwerfen. Er verstand es, jene Punkte ihrer Körper zu finden, die sensibel waren, und wusste die Worte zu sagen, die sie hören wollten. Er lauschte aufmerksam ihren Atemzügen, die sich beschleunigten, wenn etwas sie erregte, und er hörte auf die zufriedenen Seufzer nach einem Akt.

      Er wurde durch Marie zu einem zärtlichen und guten Liebhaber, und als seine Schulfreunde sich mit ihren ersten amourösen Abenteuern brüsteten, beteiligte er sich nicht daran, wurde deswegen sogar gehänselt. Als Marie ihn einmal von der Schule abholte und seine Schulkollegen sie sahen, blieben sie stumm und staunten über ihre Schönheit.

      „Ist das deine Mutter?“

      „Nein, unsere Hausdame“, sagte er stolz.

      „Euer Dienstmädchen?“

      „Nein, das ist sie nicht. Da meine Mutter in Wien lebt und weil mein Vater viel reist, braucht er jemanden, der auf mich aufpasst.“

      Mehr erzählte er nicht über sie. So etwas kannten seine Freunde nicht, ihre Eltern hatten Dienstboten, die ständig wechselten und über die sie sich beklagten. Weil Lukas aber ein guter Sportler war, wurde er trotz der scheinbar fehlenden Amouren durchaus respektiert. Bei seinen Mitschülerinnen war er beliebt und wurde von ihnen dauernd eingeladen. Nicht nur, weil er ein hübscher Junge war, sondern auch weil sie das Bedürfnis fühlten, ihn zu berühren und zu streicheln. Von der Rüpelhaftigkeit und der Aggressivität junger Männer seines Alters war bei ihm nichts zu bemerken. Im Umgang mit Mädchen war er kameradschaftlich und höflich, und durch das Zusammensein mit Marie hatte er kein Bedürfnis, seine Chancen zu missbrauchen. Er empfand ihnen gegenüber eine Überlegenheit, die er nicht ausnutzen wollte. In seinem letzten Schuljahr hatte er Affären mit zwei Mädchen aus seiner Klasse, die sich seinetwegen miteinander stritten. Beide stammten aus reichen Elternhäusern und waren es gewohnt, ihren Willen durchzusetzen. Er erzählte Marie von dieser Geschichte.

      Sie sagt ihm nur: „Unterhalte dich doch mit Mädchen deines Alters. Pass aber auf, dass du dir nichts einfängst.“

      So kam es, dass er einige Zeit lang seine Wochenenden in Pariser Großwohnungen oder in kleinen Schlössern auf dem Land verbrachte. Beide Mädchen waren sich selbst überlassen und konnten tun, was sie wollten. Er schlief mit ihnen in Wohnungen, in Pavillons, auf der Wiese und in Pferdeställen. In diesen Häusern begegnete er vielen Menschen, deren Namen und Fotos in Zeitungen und Magazinen abgebildet waren. Manchmal saß er mit ihnen sogar bei Tisch und hörte aufmerksam zu. Immer ging es dabei um Geld und um Firmenbeteiligungen.

      Er war abwechselnd mit der einen und der anderen zusammen. Als er an einem Wochenende mit einer der beiden allein im Landhaus ihrer Eltern war, kam die Freundin mit ihrem Auto angebraust und es kam


Скачать книгу