Leben wir in einer Illusion?. Lutz Gaudig

Leben wir in einer Illusion? - Lutz Gaudig


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Astronomie in 13 Büchern, war bis Ende des Mittelalters Standardwerk in Europa.

      Sie enthielt eine präzise Berechnung des von Hipparchos von Nicäa vorgeschlagenen geozentrischen Weltbildes, das später „Ptolemäisches Weltbild“ genannt wurde.

      Dieses herrschte 1300 Jahre in Europa vor.

      Nach Ptolemäus wurde es dunkel – dunkel für viele Jahrhunderte.

      Wiedererweckt

      „Wollt Ihr, Galileo Galilei, widerrufen und abschwören, dann tut es jetzt.“

      Die Stimme des Großinquisitors war schneidend.

      Der Widerhall in der nur spärlich beleuchteten Halle war kurz wie der Knall einer Peitsche.

      Er war als freier Mann gekommen – zu seinem Prozess.

      Heute war der 22. Juni 1633.

      Er hatte gehofft, dass die Verhandlung nebenan in „Santa Maria sopra Minerva“ stattfinden würde.

      Er war schon dort gewesen, nicht nur einmal.

      Sie war für ihn seit jeher die Kirche in der Heiligen Stadt, die einlud, Geist und Gefühlen freien Raum zu lassen.

      Nach dem Passieren der wenig einladenden, schmucklosen Fassade war man versetzt in eine andere Welt, in ein Gotteshaus aus Farbe und Licht. Der helle Marmor des Fußbodens und der Säulen reflektierte die Sonnenstrahlen zur hellblauen Decke mit ihren goldenen Fresken und Malereien.

      Wer hier eint rat, fühlte: Der Himmel selbst offenbarte sich.

      Der Weg führte vorbei an der Jesusstatue von Michelangelo.

      Jedes Mal war er stehen geblieben.

      Jesus hielt das Kreuz fest in beiden Händen, schaute zur Seite, zum Besucher, zu ihm.

      Seine Blicke schienen mitzuwandern.

      Galileo fühlte jedes Mal, Jesus spräche zu ihm:

      »Hier, übernimm es, nimm mein Kreuz.

      Mach weiter auf deinem Weg.“

      Aber er war nie hier gewesen wegen der farbigen Lichtspiele.

      Er war auch nicht hier gewesen wegen der zahlreichen Statuen von Michelangelo.

      Galileo war hier gewesen wegen eines einzigen Fensters.

      Er blickte hinauf zu dem lichtdurchfluteten Rund.

      Bei den bildgebenden Farben dominierten blaue und goldbraune Töne.

      Der Hintergr und war strahlendes Weiß.

      Er hatte das Fensterbild wieder und wieder betrachtet.

      Es schien eine geheime Botschaft zu beinhalten – aus den Anfängen der Kathedrale.

      Im Mittelpunkt der zwölf blättrigen Rosette strahlte die Sonne.

      Davon strebten zwölf Blätter symmetrisch ab, wie bei einer Blume auf einer wunderschön gestickten Tischdecke.

      Die Enden der zwölf Rosettenblätter zierten abwechselnd ein betender Engel und ein Sonnensymbol, auf das der Engel blickte.

      Wieder und wieder hatte er hinaufgeschaut.

      Es war eine Botschaft.

      Eine Botschaft an ihn?

      Die Sonne steht im Mittelpunkt, und viele andere Sonnen sind da draußen.

      Und die Engel Gottes bewachen sie.

      Galileo hätte sich gewünscht, dass sein Prozess in der lieblichen, lichtdurchfluteten Kathedrale unweit des Pantheons stattfindet.

      Stattdessen stand er jetzt nebenan im angeschlossenen Kloster des Benediktinerordens.

      Die Halle war düster, spärlich von Fackeln erleuchtet.

      An den Seiten reihte sich dunkles Kirchengestühl.

      Ein steinernes Kruzifix thronte über dem Fresko eines griechischen Tempels an der Stirnwand.

      Davor waren vier Tische aufgebaut.

      Ein rotes Samttuchverhüllte sie.

      Dahinter saßen der Großinquisitor und einige wichtige Beamte der Inquisition.

      An der Seite hatten die für die Verurteilung zuständigen zehn Kardinäle Platz genommen.

      Unter ihnen war Francesco Barberini, der Neffe des Papstes.

      Er setzte riesige Hoffnungen in ihn.

      „Wollt Ihr endlich widerrufen Galilei?

      Dann tut es jetzt!“

      Die einschneidende Stimme des Großinquisitors riss ihn aus seinen Gedanken.

      Er roch den Ruß der Fackeln.

      Die Dunkelheit des Raumes drückte auf seine Schultern.

      Er hielt sich an dem kleinen Tisch fest, hinter dem er stand.

      Vor ihm lag sein Buch „Dialogo“.

      Die beiden Soldaten link s neben ihm nervten.

      Sie standen auf ihre Hellebarden gestützt.

      Die Fackeln zuckten im Widerschein über ihre silbernen Helme.

      „Ja, Monsignore, gleich, sofort!

      Ich bitte Euch, geduldet Euch noch einen kleinen Augenblick.

      Ich war und bin gerade im Gespräch mit Gott.“

      Alles hatte angefangen mit Nikolaus Kopernikus und seinen verdammten Schriften.

      In „De revolutionibus orbium coelestium“ („Über die Umschwünge der himmlischen Kreise“) beschrieb er das heliozentrische Weltbild des Sonnensystems.

      Es waren die grundsätzlichen Ideen des antiken Astronomen Arist archos von Samos in neuen Berechnungen.

      Kopernikus versetzte damit die wissenschaftliche Welt in helle Aufregung: nach 1700 Jahren.

      Er beschrieb die Planetenbahnen als Überlagerungen von gleichförmigen Kreisbewegungen.

      Das Zentrum befand sich in der Nähe der Sonne.

      Gewollt oder ungewollt hatte er damit das vorherrschende Weltbild infrage gestellt, das geozentrische Weltbild des Ptolemäus.

      Und nicht nur das!

      Galilei lächelte still in sich hinein. „Schlauer Fuchs“, dachte er.

      Die Veröffentlichung seiner Schriften hatte Kopernikus erst kurz vor seinem Tod im Jahr 1543 vorgenommen, bei Johannes Petreius in Nürnberg.

      Sie wurden bis dato nicht verboten, „De revolutionibus orbium co elestium“ wurde lediglich „suspendiert“.

      (Anmerkung des Autors: Sie durfte fortan, im Einflussbereich der Römischen Inquisition, bis 1822 nur noch in Bearbeitungen mit einem eindeutigen Zusatz erscheinen.

      Es musste klar herausgearbeitet werden: Das heliozentrische System ist ein bloßes mathematisches Modell, das zur Diskussion freigegeben ist.)

      „Galileo Galilei! Ich fordere Euch nicht noch öfter auf: Widerruft Ihr?“

      Die Stimme war gewohnt zu befehlen.

      Er sah hinüber zu Kardinal Francesco Barberini, dem Neffen des Papstes, seinem Bewunderer und Gönner.

      Er, Galileo, hatte sich in seinen Schriften der Meinung von Kopernikus angeschlossen, dass die Planeten auf Kreisbahnen die Sonne umlaufen.

      Die anschließende langjährige Korrespondenz mit Johannes Kepler hatte ihn nicht dazu bewegen können, dessen Meinung zu akzeptieren.

      Kepler behauptete, dass die Planeten auf Ellipsen um die Sonne kreisen.

      Natürlich hatte er begriffen, dass die Planetenbewegungen mit Keplers Modell äußerst exakt berechnet


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