Die Stille in mir. Thomas Schmelzer

Die Stille in mir - Thomas Schmelzer


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      Noch ohne Ausbildung und mit viel Glück hatte ich im Casting dermaßen brilliert, dass man mir die Rolle zugetraut hatte. Am Set selbst aber war ich überwiegend allein und überfordert, hatte zudem noch einen Regisseur, der nur Englisch sprach und wenig Geduld hatte mit einem jungen Talent, das manche Gefühle nicht zeigen konnte – was man von einem Schauspieler natürlich erwarten sollte.

      Einsam, das war ich oft und viel in meiner Kindheit und Jugend gewesen. Meine Eltern verstanden meine Interessen für Kunst, Kultur, Philosophie und Science Fiction ebenso wenig wie Freunde oder Mitschüler in der Schule. Andererseits hatte ich auch nie gelernt, mich anderen Menschen wirklich zu öffnen, so tief waren meine Ängste und Verletzungen, die ich bis zu diesem Zeitpunkt schon angesammelt hatte. Dass man dies transformieren und auflösen kann, davon hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht gehört, wohl auch nicht hören wollen.

      Meine Sexualität war so gut wie nicht gelebt, obwohl Wünsche und Sehnsüchte mich plagten. War ich wütend oder ärgerlich, hatte ich gleichzeitig große Angst, dies zu zeigen, weil ich befürchtete, dass der andere noch wütender sein könnte. Irgendwie war ich mir selbst abhandengekommen und wusste gar nicht mehr, was ich war oder sein wollte, nachdem dieser Traum, ein TV-Star zu sein, mich so unglücklich zurückgelassen hatte.

      Ich betrachtete das Steak und fragte mich, ob das nun alles gewesen sein sollte. Warum war ich in dieser Situation so gefangen? Wo sollte es nur hingehen mit mir? Warum war keine Freude da? Immer wieder fühlte ich mich energielos, dann nervten leichte Schmerzen im Unterschenkel, die ich, so gut es ging, nicht beachtete. Aber die Schmerzen verschwanden nicht. Stundenweise schienen die Waden zu brennen, sodass ich schließlich einen, bald mehrere Ärzte aufsuchte, bis einer auf die Idee kam, mich einer Kernspintomografie zu unterziehen.

      Die untersuchende Ärztin sah mich nach der Reise durch die dröhnende Röhre mit großen, leicht geröteten Augen an. Nein, sie könne mir noch nichts Konkretes sagen, es müsse erst noch bestätigt werden. Ich spürte den Ernst in ihrer Stimme, erfuhr aber trotz beharrlichem Nachfragen nichts.

      Ein Bekannter empfahl mir eine Massage, ich bekam Fango-Packungen, aber das schien die Symptome noch zu verschlimmern. Ich ließ es über mich ergehen. Wollte nicht spüren, nicht darüber nachdenken.

      Adventszeit. Ich besuchte meine Eltern. Lag auf der Couch. Der Schmerz wurde immer stärker. Mein Vater meldete mich in der Klinik in München an, das Ergebnis der Kernspintomografie lag nun vor.

      Die Schmerzen wurden unerträglich. Jetzt hatte sich auch noch eine Mittelohrentzündung angemeldet. In meinem Kopf pochte es und es gab Momente, da war ich nur noch Schmerz. Der Körper schrie. Im Krankenhaus wurde das Ohr durchsucht, ich bekam eine besänftigende Spritze, aber nichts schien zu helfen.

      Als ich die Stufen aus dem Arztbüro herunterstieg, saß da – mein Vater. Plötzlich lösten sich Tränen, ich war so überglücklich, dass da ein Mensch saß, der nur wegen mir so lange gewartet hatte. Ich hatte das Gefühl für Raum und Zeit verloren und gedacht, tagelang auf dem Untersuchungsstuhl gesessen zu haben. Da war jemand, der mich trotz des Kokons, den ich jahrelang um mich herum gesponnen hatte, einfach liebevoll annahm. Auch er war gerührt, so lagen wir uns in den Armen. Jahrelang hatte ich nicht mehr weinen können, so sehr war ich abgeschnitten gewesen von meinen Gefühlen, meinem inneren Schmerz, den ich nicht wahrhaben wollte.

      Der äußere Schmerz aber war nun übermächtig geworden, eroberte sich meine gesamte Aufmerksamkeit, bündelte sie. Später sinnierte ich über mögliche Gründe des Schmerzes und seiner Orte: Damals hatte ich null Erdung, keine Liebe für meinen Körper, sodass sich die Beine als erste beschwerten. Und ich war ständig sorgend und grübelnd im Kopf, sodass dieser nun schier zu zerplatzen drohte.

      Weitere Tage im Dezember verbrachte ich zu Hause, aber es wurde nicht besser. Wieder fuhr ich zu meinen Eltern, wieder zur rechten Zeit. Nun wurden die Schmerzen in den Beinen, die mittlerweile auch die Oberschenkel erfasst hatten, unerträglich. Auch spürte ich meine Beine teilweise schon gar nicht mehr, konnte nur noch schwer laufen. Und wieder fuhr mich Vater ins Krankenhaus.

      Dort wartete ein neues Diagnosegerät auf mich. Man spritzte mir eine Kontrastflüssigkeit ins Rückenmark, ich wurde auf einer Liege angeschnallt, in die Senkrechte gebracht und aufs Neue von einem surrenden Gerät umkreist. Das Ergebnis waren scheibchenweise Aufnahmen meines Körpers, die anschließend auf dem Bildschirm betrachtet werden konnten. Die Nachricht war keine gute.

      Alles musste nun schnell gehen. Mehrere Metastasen waren in die Wirbelsäule gewachsen und hatten den Nervenstrang schon so weit abgedrückt, dass die Nervenbahnen gestört waren. Ohne Operation wäre wenige Tage später eine Querschnittslähmung die unabwendbare Folge gewesen.

      Apathisch und ohnmächtig unterschrieb ich noch am selben Tag die Einverständniserklärung, die auch beinhaltete, dass die Ärzte nicht garantieren konnten, durch den Eingriff die Nerven nicht noch mehr zu beschädigen. Eine dauerhafte Lähmung der Beine war nicht auszuschließen.

      Vollnarkose.

      Aufwachen in der Intensivstation.

      Dann die nächste Hiobsbotschaft: B-Zell Non-Hodgkin-Lymphom, bösartig, schnell wachsend. Der verantwortliche Arzt riet zu einer sofortigen Chemotherapie.

      Dieser Arzt war nicht wie die anderen. Er zeigte offen sein Mitgefühl, nahm meine Hand. Er würde an mir eine neue Mischung an Medikamenten erproben. Ich als junger Mensch hatte vielleicht eine Chance. Während er zu mir sprach, konnte er mir nicht in die Augen sehen, blickte nur auf seine Schuhe und murmelte: »Sie schaffen das schon.« Spätestens jetzt wurde mir der Ernst der Lage klar.

      War dies das Ende? Sollte es das tatsächlich schon gewesen sein? Mehr denn je fühlte ich mich wie ein hilfloser Beobachter, der die Ursachen des seelischen und nun auch körperlichen Leidens längst vergessen hatte und sich nun resignierend dem hingab, was unvermeidlich schien. Hoffnung? Ich war nicht mehr fähig zu tieferen oder optimistischen Gedanken.

      Zweite Geburt

      Die Chemotherapie hatte begonnen. Vier Tage sollte ich am Tropf hängen. Und das würde sich noch sechsmal wiederholen. Leichte Zweifel begannen sich zu melden. Im Prinzip aber begann ich erst ansatzweise zu verstehen, was das zu bedeuten hatte. Meine Eltern kamen natürlich regelmäßig, auch meine Schwester, und ich sah, wie auch sie fassungslos litten. Aber was sollte ich machen – sie hinausschicken?

      Zwei, drei Freunde kamen zu Besuch. Manch einer ging sofort wieder. Einer aber brachte mir eine erstaunliche Mitteilung: Eine Bekannte sei eine Heilerin und sie wolle mich besuchen. Warum nicht, dachte ich ...

      Elisabeth hatte ein liebenswürdiges, bescheidenes Wesen. Später erzählte sie mir, wie ungern sie ins Krankenhaus gegangen war, aber sie hatte einfach den Wunsch verspürt, mir zu helfen. Und so legte sie mir die Hände auf den Bauch. Tiefe, tröstende Wärme machte sich in meinem Körper breit und schenkte ihm Energie und Kraft.

      Dann war ich wieder allein.

      Langsam dämmerte mir, dass es mit Wegschauen und damit, sich einfach dem zu ergeben, was war, nicht mehr weiterging. Schließlich hatte ich ein ganzes Leben lang weggesehen, wenn es schwierig wurde.

      Nun war ich gefordert. Es ging um Leben und Tod. Ich wusste, dass es gefährlich war, diese fatalistische Resignation weiter zuzulassen. Ich hatte nie gelernt zu kämpfen, wusste nicht, was es heißt, sich dem Unbekannten, Bedrohlichen zu stellen – nun war es unvermeidbar geworden. Alles Wegschauen, alles Weiterspielen, alles Auf-ein-Wunder-Warten hatte zu nichts geführt als zu Frust, Traurigkeit und quälender Unbewusstheit.

      Früher hatte ich manchmal bei Freunden ein großes Potenzial gespürt und mich überkam eine Traurigkeit, wenn sie dies selbst nicht wahrnehmen und leben konnten. Nun wurde mir klar, dass all das letztlich ein Spiegel meiner Selbst gewesen war. Gab es in mir eine unerfüllte Energie? War es jetzt zu spät, diese lebendig werden zu lassen?

      Der Alltag war


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