Mindful Parenting. Susan Bögels
andere (mit dem Elternsein verbundene) Emotionen wie Traurigkeit und Wut auf nichturteilende Weise wahrzunehmen, statt solche Emotionen auszuagieren, außerdem fokussierte und unvoreingenommene Aufmerksamkeit, Nichtreaktivität und eine selbstfürsorgliche Haltung zu entwickeln. Es ist zu erwarten, dass eine solche Praxis internalisierende psychische Störungen und Symptome wie Angst, Depression, somatische Symptome oder die Tendenz zu sozialem Rückzug ebenso beeinflusst wie externalisierende psychopathologische Symptome, etwa delinquentes und aggressives Verhalten.
Ebenfalls bemerkenswert sind die (selbstberichteten) Verbesserungen des Erziehungsverhaltens, wenn man berücksichtigt, dass der Schwerpunkt des Kurses – anders als etwa beim Parent-Management-Training – nicht auf einer Veränderung von Erziehungsstilen oder -verhaltensweisen (wie Loben oder das Verhängen von „Auszeiten“) lag. Die Reduktion der elterlichen Stressbelastung ist wichtig, da Stress sich Studien zufolge negativ auf Erziehung und Elternsein auswirkt (Crnic et al. 2005). Bemerkenswert sind schließlich auch die Verbesserungen beim Coparenting, da nur wenige Paare am Kurs teilnahmen. Der Befund ist deshalb bedeutsam, weil die negativen Effekte, die das Austragen von Konflikten in Anwesenheit des Kindes und ein Mangel an elterlicher Kooperation in der Erziehung auf die kindliche Psychopathologie haben, gut belegt sind. Dass sich im Hinblick auf die Funktionalität der Partnerschaft keine Verbesserung ergab, zeigt klar, was Mindful Parenting für die Familienfunktionalität im Durchschnitt bewirkt und nicht bewirkt (Cummings 1994;
Majdandzic et al. 2012). Hier ist darauf hinzuweisen, dass die meisten Teilnehmer ohne Partner oder Partnerin am Kurs teilnehmen, obwohl wir die Eltern ausdrücklich zur gemeinsamen Teilnahme ermutigen. Möglicherweise ist ein gemeinsamer Besuch des Kurses die Voraussetzung für Verbesserungen im Bereich der Partnerschaftsfunktionalität. In Kapitel 4 gehen wir näher auf die Vor- und Nachteile von ausschließlich für Paare bestimmten Mindful-Parenting-Kursen ein.
3.2Studie 2: Effekte in den folgenden zehn Gruppen
Nachdem wir die Effekte von Mindful Parenting auf die kindliche und elterliche Psychopathologie, das Elternverhalten und das Coparenting untersucht hatten, wollten wir wissen, ob Mindful Parenting tatsächlich dazu führt, dass Eltern sich im Allgemeinen und im Erziehungskontext achtsamer verhalten sowie starke Emotionen bei ihren Kindern weniger oft meiden und eher akzeptieren – unserer Vermutung nach wesentliche Veränderungsmechanismen bei Mindful Parenting. Außerdem wollten wir den Kurs nun auf einer breiteren Grundlage evaluieren, d. h., weitere kinderpsychologische und -psychotherapeutische Zentren und eine größere Bandbreite von Lehrkräften in die Evaluation einbeziehen.
Für diese zweite, von Meppelink, de Bruin und Bögels (in Vorbereitung) durchgeführte Studie wurden 74 Eltern (davon 91 % Mütter) von 72 Zielgruppen-Kindern (Durchschnittsalter: 8,9; SD = 3,3) aus zehn verschiedenen Gruppen befragt. Fünf Mütter (6,8 %) verließen den Kurs vorzeitig. Alle Teilnehmenden waren wegen der psychopathologischen Symptome ihrer Kinder an eine der drei kommunalen kinder- und jugendpsychologischen Kliniken überwiesen worden, die bei diesem Projekt zusammenarbeiteten, darunter UvA minds. Die primären psychiatrischen DSM-IV-Diagnosen der Kinder waren: Autismus-Spektrum-Störungen (29 %), ADHS (23 %), Angststörungen (3 %), Störung mit oppositionellem Trotzverhalten (1 %) oder Anpassungsstörungen (1 %), Eltern-Kind-Probleme (V-Code) (24 %), sowie „andere“ (4 %). Bei einigen Kindern (5 %) war die Diagnose unbekannt. Für die übrigen Kinder (11 %) lag keine Diagnose nach DSM-IV vor, psychiatrisch relevante Symptome waren jedoch vorhanden.
Die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer füllten ein Prä-, ein Post- und ein 8-Wochen-Follow-up-Fragebogenset aus: den kurzen Five Facets Mindfulness Questionnaire (Baer et al. 2006; 2008), den wir für die niederländische Bevölkerung validiert hatten (de Bruin et al. 2012), die Interpersonal Mindfulness in Parenting Scale (Duncan 2007), die wir ebenfalls für die niederländische Bevölkerung validiert haben (de Bruin et al. 2013), die Parental Experiential Avoidance Scale, mit der die Tendenz von Eltern, auf emotionale Erfahrungen ihrer Kinder handlungsvermeidend zu reagieren, und ihre Abneigung, mit den emotionalen Erfahrungen ihrer Kinder in Kontakt zu treten, gemessen wird (Cheron et al. 2009), und die wir für Kinder mit internalisierendem und externalisierendem Problemverhalten adaptierten, außerdem einen Fragebogen zur elterlichen Stressbelastung (Abidin 1983) und schließlich einen Fragebogen zur Messung der elterlichen Reaktivität (Arnold et al. 1993; ndl. Validierung: Prinzie et al. 2007). Die Daten wurden einer Mehrebenenanalyse unterzogen und im Sinne einer Intention-to-treat-Analyse ausgewertet, d. h., die fünf Mütter, die den Kurs abbrachen, wurden ebenfalls berücksichtigt.
Die Ergebnisse ließen keinen Effekt des Kursortes erkennen. Zwischen Prä- und Posttest war jedoch eine signifikante Zunahme bei der von den Eltern berichteten Achtsamkeit im Erziehungskontext festzustellen und im Follow-up zeigte sich hier noch eine weitere leichte Zunahme. Diese Befunde stimmen mit denen der randomisierten Pilotstudie von Coatsworth et al. (2010) über ein achtsamkeitsbetontes gegenüber einem regulären Elternprogramm und einer Gruppe mit verzögerter Intervention (65 Familien) überein. Wie in unserer Studie waren die Effektstärken der berichteten Zunahme von Achtsamkeit im Erziehungskontext in der Studie von Coatsworth et al. mittel bis hoch. Bei detaillierter Betrachtung (zu beachten ist, dass die sechs niederländischen Subskalen sich leicht von denen unterscheiden, die Larissa Duncan, die Entwicklerin der Skala, vorgegeben hat) berichten die Eltern signifikante Verbesserungen beim Posttest und im Follow-up im Vergleich zum Prätest in folgenden Subskalen: „dem Kind mit voller Aufmerksamkeit zuhören“, „emotionale Nichtreaktivität“, „Wahrnehmen von Emotionen“ und „Selbstmitgefühl“ sowie „nichturteilende Akzeptanz in Bezug auf die elterliche Funktionalität“. Eine signifikante Veränderung bei „Mitgefühl mit dem Kind“ und „Wahrnehmen kindlicher Emotionen“ wurde nur im Follow-up gefunden.
Außerdem berichteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach dem Mindful-Parenting-Training eine signifikante Zunahme der allgemeinen Achtsamkeit; hier ergab sich im Follow-up eine signifikante weitere Zunahme. Sie gaben an, sie seien besser in der Lage, in Stresssituationen die Kontrolle zu behalten, weniger explosiv zu reagieren, einen Schritt zurückzutreten und mehr zu denken und fühlen, statt sofort zu reagieren. Des Weiteren berichteten sie im Posttest eine signifikante Reduktion der elterlichen Tendenz zur Erfahrungsvermeidung, die sich im Follow-up noch etwas mehr reduzierte, d. h., die Eltern wichen den Emotionen ihrer Kinder nun weniger häufig aus und zeigten auch weniger Abneigung, auf emotionales Erleben ihrer Kinder zu antworten. Außerdem berichteten sie auch über eine reduzierte elterliche Stressbelastung – ein Effekt, der erst im Follow-up signifikant war.
Da diese Studie in drei verschiedenen Mental-Health-Care-Zentren durchgeführt wurde, legen die Ergebnisse den Schluss nahe, dass die positiven Wirkungen, die der Mindful-Parenting-Kurs in dem Zentrum hatte, in dem das Programm ursprünglich entwickelt wurde, auch andernorts in gleicher Weise erreicht werden können.
3.3 Studie 3: Effekte des aktuellen Mindful-Parenting-Programms in der zuletzt durchgeführten Gruppe
Die endgültige Version des Mindful-Parenting-Programms, wie sie in diesem Buch beschrieben wird, wurde an einer neuen Gruppe mit 14 Teilnehmenden evaluiert, die an unser Mental-Health-Care-Zentrum UvA minds überwiesen worden waren. Es handelte sich um 3 Väter und 12 Mütter, darunter ein (Frauen-)Paar. Die Zielkinder waren 9 Jungen und 5 Mädchen zwischen 4 und 14 Jahren mit folgenden Diagnosen: Autismus oder Autismus-Spektrum-Störung (2), ADHS (3), Trennungsangst (1), posttraumatisches Belastungssyndrom (1), frühkindliche Störung (1) oder Probleme der Eltern-Kind-Beziehung (V-Code) (3). In einem Fall war eine Diagnose des Elternteils der Überweisungsgrund (generalisierte Angststörung) (1).
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer füllten Fragebogen zu ihren eigenen psychischen Problemen und den psychischen Problemen ihres Kindes, zu elterlicher Stressbelastung, elterlicher Reaktivität, Achtsamkeit in der Erziehung, allgemeiner Achtsamkeit, elterlicher Erfahrungsvermeidung (experiential avoidance) und elterlichen Überreaktionen aus. Ebenso füllten sie wie schon die Teilnehmer der ersten Studie den Posttest-Fragebogen zur Programmevaluation aus, allerdings wegen des neuen Kursformats mit geringfügigen Modifikationen.
Die Auswertung (s. Tabelle 3.1) ergab signifikante und substantielle Verbesserungen mit hohen Effektstärken in den Bereichen Achtsamkeit im Erziehungskontext,