Original Mind - Anfängergeist und Bildung. Dee Joy Coulter

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kam, hielt mich und gab mir die Flasche. Ein erneuter kurzer Blick aus der Erwachsenen-Perspektive ließ mich erkennen, dass ich keinen besonderen Geschmack im Mund wahrnahm, dann überließ ich mich wieder dem Genuss der Wärme, die sich in mir ausbreitete und sich besonders in meinen Händen und Füßen zu sammeln schien. Die Zehen- und Fingerbewegungen der Babys, die gestillt werden, scheinen offenbar Teil der noch im ganzen Körper und nicht nur im Mund verankerten Geschmacks-Erfahrung zu sein. Es lässt sich vielleicht am ehesten mit dem sich ausbreitenden Wärmegefühl vergleichen, welches sich nach einem langen Aufenthalt in der Kälte mit einer Tasse heißem Tee oder Kakao einstellt.

      Der letzte unserer fünf Sinne, der Tastsinn, ist wieder leichter als reiner Sinneseindruck zu erfahren. Wenn wir über samtenen Stoff streichen, die Temperatur des Wassers aus dem Hahn prüfen, eine schwere Tasche probeweise hochheben oder einem kranken Kind die Hand auf die Stirn legen, verwenden wir unseren Tastsinn, um Informationen zu erlangen. Doch wenn wir unsere Suche auf Ganzkörper-Erfahrungen ausdehnen, können wir eine Fülle von unverknüpften Körpereindrücken entdecken. Die ganze Spielplatzgeräte- und Vergnügungspark-Industrie lebt von unserer Freude an solchen unverbundenen Empfindungen. Springen, Drehen, Fallen, Schaukeln und Wiegen sind alle für sich allein erfahrbar. Sie brauchen keinen Kontext, und selbst kleinste Kinder lieben diese Bewegungen.

      Manchmal entstehen solche Bewegungen ganz unvermittelt. Wenn ein Vogelschwarm aufsteigt, ein Fischschwarm losschießt, oder ein Hornissenschwarm entsteht, geschieht dies aus einem sogenannten Aktionsimpuls heraus. Im menschlichen Verhalten zeigt sich dieser Aktionsimpuls vielleicht in randalierenden Menschenmengen, in Begeisterungsstürmen eines Publikums oder in heroischen Akten. Lebensretter, die ins Wasser gesprungen, in ein brennendes Haus gerannt oder mit übermenschlichen Kräften ein Auto von einem Verletzten hoben, können hinterher oft nicht erklären, warum sie sich so verhielten, und können sich nicht erinnern, darüber nachgedacht zu haben.

      Eine weitere wichtige, wenn auch unangenehme Funktion des Tastsinns ist, Schmerz wahrzunehmen. Die meisten Schmerzempfindungen werden auf irgendeine Weise zugeordnet und analysiert und fallen damit in die Kategorie der verknüpften Sinneseindrücke. Doch wie ist es mit Wohlbefinden? Kann es vielleicht zu einer Art Hintergrundqualität werden, die mitschwingt, ohne dass wir es bemerken? Wenn wir nach einer schmerzhaften Krankheit wieder unsere Gesundheit schätzen, ist das eindeutig eine verknüpfte Erfahrung, die unser Gehirn bewusst und zufrieden abspeichert. Doch wenn wir unsere Gesundheit als selbstverständlich nehmen, rückt die Abwesenheit von Schmerz in den Hintergrund. Auch hier empfinden wir die reinen Sinneseindrücke eines Babys nach: Wenn es schmerzfrei ist, ruht es, schläft es und widmet sich den jeweils auftretenden Sinnesreizen. Auch kleine Kinder halten körperliches Wohlgefühl so lange für selbstverständlich, bis es unterbrochen wird.

      WEITERE GENÜSSLICHE SINNESEINDRÜCKE

      So beginnt ein kleines Kind damit, die Welt als reine Sinneseindrücke zu erfahren und sich allmählich ein Inventar an verknüpften Informationen zuzulegen, und wir haben hier damit begonnen zu versuchen, uns wieder dem reinen Sinneseindruck anzunähern. Vermutlich haben Sie dabei bemerkt, wie ein unverknüpfter Sinneseindruck durch Benennen zu einem verknüpften wurde. Im nächsten Kapitel werden wir anfangen, uns diesen verknüpften Informationen als Wahrnehmungen zuzuwenden, und erforschen, wie Sprache dazu dient, diese Wahrnehmungen zu festigen. Je stärker wir in die Welt der Sprache hineinwachsen, desto unzugänglicher werden die unmittelbaren Sinneseindrücke.

      Doch jeder unserer Sinne erlebt besondere Momente, in denen wir wortlos werden und uns wieder dem reinen Sinneseindruck hingeben. Die folgenden Beispiele können Sie vielleicht zu solchen Erfahrungen inspirieren.

      In Bezug auf Geschmack versuchen gute Köche immer wieder, Geschmackserlebnisse zu kreieren, die den Gästen vor Genuss die Sprache verschlägt. Es gibt wunderbare Filmszenen dieses Moments, zum Beispiel in Tom Jones oder in Babettes Fest.

      Die Natur kann uns auch über den Geruchssinn in diesen erweiterten Zustand versetzen. Der Duft eines blühenden Lavendelfelds oder der frische Geruch des Waldes nach einem Regenschauer können uns so tief berühren, dass wir in Schweigen verfallen.

      Ähnliches geschieht manchmal angesichts überwältigender Schönheit, sei es wenn uns ein Kunstwerk gefangen nimmt oder wenn sich das ganze Panorama eines farbenprächtigen Sonnenuntergangs vor uns entfaltet.

      Auch Musik kann Zuhörer und Ausführende in diese sprachlose Welt versetzen, ja sie tut es so oft, dass wir es beinahe erwarten. Solche Art der Musikerfahrung gehört zu den zutiefst erfüllenden Erlebnissen des Lebens.

      Zu guter Letzt können der Tastsinn und das Spüren sowohl Liebende in ekstatische Zustände versetzen als auch einen Zugang zu subtilen Energiefeldern vermitteln. Die Energie einer Gedenkstätte oder eines spirituellen Ortes kann so ergreifend sein, dass wir spontan in ehrfürchtiges Schweigen verfallen.

      Wir haben uns bislang darum bemüht, die Fähigkeit zu reinen, unverknüpften Sinneseindrücken zurückzugewinnen. Jetzt wird es darum gehen, daraus bewusst Wahrnehmungen zu bilden. Dazu bedarf einer gewissen fokussierten Aufmerksamkeit und Analyse, und es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Qualitäten zu verstärken. Es geht darum, den frontalen Cortex zu aktivieren. Sie werden mit diesem Bereich des Gehirns im Laufe unserer Reise noch sehr vertraut werden und ihn gut zu nutzen wissen. In den ersten Übungen dazu möchte ich Sie anregen, Ihre Aufmerksamkeit und Ihren Fokus mit Hilfe von fünf wirksamen sensorischen Auslösern spielerisch zu stärken.

      Wenn Ihre Ohren Mühe haben zu hören, können Sie die Augenbrauen heben. Damit heben sich auch die Ohren ein wenig, wodurch sich das Trommelfell anspannt und die Aufmerksamkeit wacher wird. Tiere, die die Ohren spitzen, tun etwas ganz Ähnliches.

      Wenn Sie merken, wie ihre Augen abschweifen oder Ihr Blickfeld verschwimmt, kann Blinzeln helfen, den Fokus zu aktivieren. Achten Sie mal darauf, was Sie tun, wenn Sie bei schlechter Sicht Auto fahren oder einen Text zu Ende lesen wollen, obwohl Sie sehr müde und Ihre Augen erschöpft sind. Wahrscheinlich werden Sie merken, wie Sie blinzeln.

      Wenn Sie sich geistig erschöpft fühlen und Ihnen die Welt schal erscheint, probieren Sie mal, tief und schnüffelnd durch die Nase zu atmen. Das erfrischt nicht nur Ihren Geruchssinn, sondern auch Ihr Denkvermögen. Wenn Studenten, Manager oder alte Menschen Gehirnaerobic-Atemübungen machen, um ihren Geist auf Trab zu halten, bedienen Sie sich genau dieses Mechanismus.

      Wenn Sie einen wachen Geist brauchen, können Sie auch mit der Zunge gegen den Gaumen schnalzen. Tierforscher haben festgestellt, dass viele Säugetiere solche Schnalzlaute verwenden, um die Aufmerksamkeit ihrer Jungen zu erregen.

      Und wenn Sie mal um die richtigen Worte ringen, können Sie die Fingern Ihrer rechten Hand beklopfen oder mit Daumen und Mittelfinger der rechten Hand schnalzen. Der Bereich des Gehirns, der diese Finger bewegt, liegt im linken frontalen Cortex direkt neben dem wichtigsten Sprachzentrum und kann dieses anregen, die passenden Worte zu finden.

      Im nächsten Abschnitt der Reise werden wir entdecken, dass viele Kinder und Naturvölker genau dazu fähig sind. Sie können die Welt der Formen wahrnehmen und dann ihren Fokus so verändern, dass sie nur die energetischen Aspekte hinter den Formen sehen. Sie können sich frei über die Schwelle zwischen Sinneseindruck und Wahrnehmung hin- und herbewegen. Auch der zu Anfang erwähnte Mönch schien das zu tun, als er die Blume jedes Mal neu sah, wenn er sich ihr zuwandte. Wenn Sie die beschriebenen Übungen praktizieren, können auch Sie Wege finden, diese Schwelle leichter zu überschreiten.

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