Original Mind - Anfängergeist und Bildung. Dee Joy Coulter

Original Mind - Anfängergeist und Bildung - Dee Joy Coulter


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zur Farbe als reine Erfahrung zu vermitteln strebten. Der französische Maler Yves Klein war besonders von einem bestimmten Blauton fasziniert. Er arbeitete sogar mit einem Chemiker zusammen, um ein Bindemittel zu entwickeln, welches dem Pigment all seine strahlende Brillanz ließ. Klein bemalte fast zweihundert Leinwände mit nichts als dieser Farbe, die er International Klein Blau nannte. Manche dieser Leinwände waren einfach von dem Blauton bedeckt und luden den Betrachter ein, das Bild weniger anzuschauen, als sich mehr dem reinen Eindruck der Farbe hinzugeben, der von dem Bild ausging.

      Ähnlich wie es John Cage in der Musik anstrebte, suchte der amerikanische Autor, Kriegsgegner und Künstler Ad Reinhardt nach einem Weg, die bildende Kunst von allen Formen und Informationen zu befreien. In seiner Erregung über das oppositionelle Denken während des Vietnamkriegs versuchte er, diese Polarisierung mit seinen Texten und seiner Kunst aufzuheben. Es ging ihm darum, »ein unmanipuliertes, nicht manipulierbares, nutzloses, nicht vermarktbares, nicht reduzierbares, nicht fotografierbares, nicht vervielfältigbares, unerklärliches Bild« zu schaffen. Die letzten dreizehn Jahre seines Künstlerlebens malte er auf große Leinwände mit höchster Sorgfalt kaum erkennbare Schwarz-in-Schwarz-Quadrate. Auf einer Ausstellung über sein Lebenswerk war kürzlich als zentrales Exponat eines seiner großformatigen Werke zu sehen, welches seit über fünfzig Jahren sorgfältig erhalten wird. Es zieht die Betrachter immer noch machtvoll in seinen Bann. Sie standen lange bewegungslos davor, ließen die analytische Wahrnehmung los und nahmen einfach die Schwärze auf, die von dem Bild ausging.

      Diese visuellen Ereignisse haben auch eine starke Beziehung zu dem reinen Eindruck von Wellen. Man könnte sicher das Licht selbst schon als Wellenerfahrung bezeichnen, doch das ist nur der Anfang. Mit etwas Übung können auch Sie mehr in den Genuss der Welt der Wellen kommen. Das Geheimnis besteht auch hier darin, die Eindrücke auf Sie zukommen zu lassen, statt nach ihnen zu suchen. Spüren Sie der aufbrandenden Empfindung nach, wenn Sie ein Pferd plötzlich losgaloppieren sehen. Spüren Sie den Strom des vorbeirauschenden Verkehrs, die mäandernden Bewegungen der Einkaufswagen im Supermarkt, das Herabströmen des Regens. Lassen Sie Ihren Blick weich werden und entdecken Sie die Bewegungspfade, die sich in der Welt um Sie herum abspielen.

      NASEWEIS: DAS ERSTAUNLICHE RIECHSYSTEM

      Unsere Nase steht mit einem speziellen neurologischen Organ in Verbindung, dem sogenannten olfaktorischen System, welches in unserem Großhirn sitzt. Es besteht aus einer sehr unabhängig agierenden kolbenförmigen Region mit etlichen Verzweigungen, die vom Rest des Gehirns nur wenig beeinflusst wird. Würde man Gehirn-Regionen einen Status zuordnen, säße dieser sogenannte Riechkolben mit seinen Verzweigungen in einer höchst elitären Gegend. Zu seinen Nachbarn gehören der Hippocampus, der Hauptsitz unseres Gedächtnisses; der frontale Cortex, in dem all unser höheres Denken stattfindet; und die Amygdala, unsere emotionale Wächterin, die traumatische Erinnerungen abspeichert und ständig nach Gefahren Ausschau hält.

      Die volkstümliche Überlieferung weiß seit jeher um die Fähigkeit der Nase, die Wahrheit zu erkennen und sich einen unabhängigen, unbeeinflussten Eindruck zu verschaffen. Das amerikanische Wort sage für einen Weisen stammt von dem lateinischen Wort sagax, was eine Person bezeichnet, die einen besonders feinen Geruchssinn hat. Dieses Gespür der Nase für Wahrheit kommt auch zum Ausdruck, wenn wir von einem Journalisten sagen, »er hat eine gute Nase für Sensationen« oder in Redewendungen wie »das riecht nach einer Falle« oder »die können sich nicht riechen«.

      Bei Verhören achten Kriminalbeamte darauf, ob der Verdächtige die Nase berührt. Beim Lügen gerät der Körper unter Stress, was die Blutgefäße in der Nase anschwellen lässt. Durch Reiben oder an der Nase Ziehen schwellen sie wieder ab. Die Nase spielt auch für die Wiedererkennung eines Gesichts eine große Rolle. Durch Nasenoperationen kann sich der Anblick eines Menschen bis zur Unkenntlichkeit verändern. Eine rote Kugel auf der Nase galt ursprünglich als beschämend, doch inzwischen wird ein Darsteller damit zum Clown.

      Wenn wir durch die Nase einatmen, strömt die Luft zu einer Höhlung in der Nähe des Riechkolbens und kühlt dabei den frontalen Cortes. Auf ihrem Weg vom Herzen zum frontalen Cortex verläuft ein Zweig der Halsschlagader durch diese Höhlung. Wenn das Blut hier nur um zwei Zehntel Grad abgekühlt wird, können wir schon einen »kühlen Kopf« bewahren. Sonst werden wir leicht »hitzköpfig« und handeln, ohne vorher nachzudenken. Vielleicht erinnern Sie sich an Zeitungs-Fotos von Randalierern: Sie atmen häufig durch den Mund und haben das Gesicht zur Grimasse verzogen. Beides fördert die Hitzköpfigkeit.

      Der Kühlungseffekt der Nasenhöhle beruht auf zwei Verhaltensweisen: der Einatmung kühler Luft durch die Nase, weshalb die Nasenatmung sehr wichtig ist, und dem Vorbeiströmen des kühleren Bluts auf dem Weg vom Kopf zum Herzen. Wenn das Gesicht eine Grimasse bildet, fließt das Blut direkt vom Gehirn zum Herzen, ohne den Umweg über die Nasenhöhle zu machen. Wenn ein Mensch hingegen lächelt, leiten die Gesichtsmuskeln das Blut durch ein Netzwerk von Adern zur Nasenhöhle hin. Der vietnamesische Mönch und Nobelpreis-Kandidat Thich Nhat Hanh rät deshalb allen: »Strebe nach Frieden. Lächele, atme und gehe langsam.« Das ist nicht nur ein weiser philosophischer Rat, sondern auch neurologisch sinnvoll. Sie können diesen Rat prüfen, indem sie ausprobieren, welche Wirkung es auf ihren Geisteszustand hat, ob Sie durch die Nase oder den Mund atmen und ob Sie lächeln oder eine Grimasse schneiden.

      Die Nasenhöhle hinter dem Nasenrücken ist der einzige ungeschützte Zugang zum Gehirn. Dass dieser in einen so wichtigen Bereich des Gehirns führt, macht Medizinern gleichzeitig Sorgen und Hoffnung. Sie sorgen sich, weil auf diesem Weg Umweltgifte wie Abgase, Pestizide oder Schimmelgifte direkt ins Gehirn gelangen und dort ernsthaften neurologischen Schaden anrichten können. Alzheimer-Plaque bildet sich als Erstes in dem Bereich um den Riechkolben, und auch Parkinson entwickelt sich hier. Deshalb gehört der Verlust des Geruchssinns zu den ersten Anzeichen dieser Krankheiten. Bislang versuchten die Mediziner, diese Regionen des Gehirns über den Blutstrom mit Medikamenten zu erreichen, doch sie scheiterten an der Blut-Hirn-Schranke, die keine Fremdsubstanzen ins Gehirn dringen lässt. Jetzt forscht man an Inhalationsmitteln und hofft, diese Krankheiten über die Nase direkter behandeln zu können.

      Und eine weitere spannende Entdeckung verweist auf die besondere Stellung des Geruchssinns. Gehirnzellen können sich zwar in einem gewissen Umfang regenerieren, doch sie erneuern sich und ihre Verbindungen zu anderen Zellen nur selten vollständig. Man hat diesen Prozess der Zellerneuerung, die sogenannte Neurogenese nur in zwei Bereichen des Gehirns nachweisen können: dem Hippocampus (dem Hauptsitz des Gedächtnisses) und dem olfaktorischen System.

      Jüngere Untersuchungen zeigen, dass etwa zehn Prozent der Hippocampus-Zellen sich regelmäßig erneuern. Doch im olfaktorischen System werden alle sechs Monate hundert Prozent aller Zellen durch identische neue Zellen ersetzt. Die Wissenschaftler wissen nicht, warum das so ist, doch wenn dieser Prozess behindert wird, siecht der Riechkolben schnell dahin. Diese Fähigkeit zur Regeneration bildet die Grundlage einer Forschung an Ratten, bei der die Zellhülle der olfaktorischen Nervenzellen verwendet wird, um zertrennte Rückenmarksnerven wieder miteinander zu verbinden. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass die Zellen sich reparieren und die Ratten danach wieder laufen können. Die Wissenschaftler hoffen, damit einen Weg zu finden, auch menschliche Rückenmarksverletzungen zu heilen. Während das olfaktorische System vor zwanzig Jahren noch als wissenschaftlich uninteressant galt, erscheint es heute als neurologische Goldgrube.

      Im nächsten Abschnitt werden wir uns den Gerüchen selbst zuwenden, wie wir sie aufnehmen und wie wir unverbundene Geruchsempfindungen entdecken können.

      VON DÜFTEN ZU PHEROMONEN

      Die Neigung der Nase, Gerüche zu identifizieren und mit einem Namen oder einer Assoziation zu versehen, ist so stark, dass die Suche nach einem nicht derartig belegten bewussten Geruch aussichtslos erscheint. Da der Riechkolben unmittelbar neben dem Hauptsitz des Gedächtnisses sitzt, lösen Gerüche sehr leicht Erinnerungen aus. So kann Aromatherapie Menschen mit Alzheimer helfen, ihre schwindenden Erinnerungen wieder zu fassen. Ein einziger Geruch kann eine ganze Flut von Erinnerungen auslösen, wie bei dem Autor Marcel Proust, den ein einziger Duft aus der Kindheit zu seinen Memoiren Auf der Suche nach der verlorenen Zeit inspirierte.

      Es scheint jedoch unterschiedliche Kategorien von Gerüchen


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