Original Mind - Anfängergeist und Bildung. Dee Joy Coulter
angeborene Fähigkeit des Staunens zu erhalten, braucht ein Kind darin die Begleitung von mindestens einem Erwachsenen, der mit ihm zusammen die Freude, die Aufregung und das Wundersame der uns umgebenden Welt entdeckt.
Die folgende Übung lädt Sie ein, ein kleines Kind auf diese Weise zu begleiten. Ich möchte Sie ermutigen, mit einem Kind zusammen einen sogenannten stillen Spaziergang zu unternehmen. Diese Übung hat im Laufe der Jahre Hunderte meiner Studenten und Teilnehmer überrascht, begeistert und angeregt, die Welt mit frischem Blick zu betrachten. Machen Sie sich in Ruhe mit der Anleitung vertraut, damit sie dafür bereit sind, wann immer sich die Gelegenheit dazu ergibt.
Die Anleitung
Nehmen Sie sich etwa 30 bis 45 Minuten Zeit, um mit einem Kind zwischen 2,5 und 5,5 Jahren spazieren zu gehen. Sie können einfach um den Block gehen, durch den Garten wandern oder einen nahe gelegenen Park besuchen. Wenn Sie mit dem Kind nicht gut bekannt sind, kann es sinnvoll sein, in der Nähe des ihm vertrauten Umfeldes zu bleiben. Lassen Sie das Kind die ganze Zeit das Tempo bestimmen. Lassen Sie alle Gesprächsimpulse vom Kind ausgehen. Das Ziel ist, so weit zur Ruhe zu kommen, dass das Kind Sie praktisch vergisst und auf natürliche Weise mit seiner Umgebung Kontakt aufnimmt. Um eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, kann es jedoch hilfreich sein, wenn Sie sich zu Anfang ein wenig mit dem Kind unterhalten. Vollkommen wortlos loszugehen könnte dem Kind unangenehm sein. Versuchen Sie dabei, jede Führung des Gesprächs oder Erklärungen zu vermeiden – keine Belehrungen! Idealerweise wird das Gespräch nach ein paar Minuten verebben, und der Spaziergang wird weitgehend schweigend erfolgen. Lassen Sie unabhängig davon, ob das Kind gesprächig ist oder nicht, Ihre Aufmerksamkeit mit weichem Fokus auf dem Kind und seinen Interaktionen mit seiner Umwelt ruhen.
Wenn Sie mit einem Kind unterwegs sind, das die ganze Zeit redet, wird Ihre Herausforderung darin liegen, gut auf das Kind und seine Aktivitäten zu achten, ohne sich auf die Worte des Kindes zu konzentrieren. Vielleicht durchlebt das Kind gerade einen Sprachentwicklungsschub und genießt es, seine Welt mit all ihren Wundern zu benennen. Versuchen Sie, der Verlockung zu widerstehen, sich in ein Gespräch verwickeln zu lassen. Wenn Sie sich besonders zwischen seinen Mitteilungen mit aktiver Aufmerksamkeit an dem Kind erfreuen, wird selbst das gesprächigste Kind allmählich spüren, dass es so etwas wie nonverbale Zuwendung gibt.
Achten Sie auf diesem Spaziergang darauf, welcher Art von Dingen und Aktivitäten sich das Kind zuwendet, wie lange es jeweils dabei verweilt, und was es zu entdecken scheint. Bemerken Sie auch, was mit Ihrem Tempo und Denken geschieht, wenn Sie sich so auf die Welt des Kindes einlassen.
Viele ehemalige Studenten von mir haben solche Spaziergänge ausführlich beschrieben. Beachten Sie in den folgenden Auszügen daraus vor allem, wie die Kinder ihre Welt wahrnehmen.
Sie nimmt einen Stein auf und wirft ihn auf die Straße. Sie vertieft sich völlig in das Steine Werfen. (2 Jahre alt)
Die Reize, von denen ich annahm, dass sie ihn anregen würden, interessierten ihn nicht. Er beschäftigte sich eher mit der Dose, dem Zigarettenstummel, dem Klopfen. (5 Jahre alt)
Die Leute auf der Straße nahmen ihre Aufmerksamkeit weniger ein als ein Grashalm, ein hoher Baum oder eine Bewegung. (5 Jahre alt)
Wir hielten an, um die nasse Zeitung auf dem Rasen zu betrachten. Beim nächsten Haus rochen wir an den Blumen. (3,5 Jahre alt)
Kurz bevor die Kinder die Dinge auswählten, denen sie sich zuwandten, nahmen sie eine gewisse Bewegung wahr oder einen Schimmer, etwas, das eher einer ganzen Reihe von Sinneseindrücken entspricht als einer strukturierten Wahrnehmung. Wenn sich ihre Wahrnehmung dann einem Ding zugewandt hatte, entstand eine bedeutsame Veränderung. Die zuvor unabhängig voneinander erscheinenden Merkmale verbanden sich zu einer bewussten Wahrnehmung, die ihre konzentrierte Aufmerksamkeit forderte.
Als Erwachsene tun wir dasselbe, nur geschieht es so schnell, dass wir uns dieses feature-binding-Prozesses nicht mehr bewusst sind. Mit den bisherigen Übungen haben wir angefangen, diesen Prozess wieder zu verlangsamen, um ihn wieder in unser Bewusstsein zu holen. Im nächsten Kapitel werden wir uns dieses Feature-Binding näher betrachten und entdecken, wie jeder unserer Sinne Merkmale verbindet, um daraus Wahrnehmungen zu bilden, und vor allem, wie wir diese Bindungen wieder aufheben können.
2. VOM SINNESEINDRUCK ZUR WAHRNEHMUNG UND ZURÜCK
Wir spüren unendlich viel mehr Dinge, als wir wahrnehmen …
Wir baden in einem Pool an Sinneseindrücken, aus dem unsere
Wahrnehmung das entnimmt, was genau jetzt hilfreich ist.
Serge Carfantan
Philosophie und Spiritualität
Wir haben jetzt die wichtige Unterscheidung getroffen zwischen Sinneseindrücken, die vor einer genauen Fokussierung auftreten, und Wahrnehmungen, die sich bilden, wenn wir dem Reiz unsere Aufmerksamkeit zugewandt und ihn benannt haben. Das Überwechseln vom Sinneseindruck zu Wahrnehmung geschieht ganz natürlich und erfolgt umso schneller, je vertrauter wir mit unserer Umgebung sind. Vielleicht erinnern Sie sich daran, wie Sie einmal nach einer längeren Abwesenheit zu Hause erst mal durch die Wohnung wanderten, als wollten Sie sich vergewissern, dass noch alles da ist. Dabei feuerte Ihr Gehirn blitzschnell Wahrnehmungen, um all die bekannten Dinge wieder zu inventarisieren.
Wenn wir uns jedoch die Sinneseindrücke vor ihrer Verwandlung in Wahrnehmungen genauer betrachten, können wir etwas erforschen, was uns sonst nicht bewusst ist – den Akt der Rückverwandlung von der Wahrnehmung zum Sinneseindruck. Wir können lernen, eine nur selten genutzte Schwelle unseres Bewusstseins zu überschreiten!
Diese Fähigkeit, Schwellen zu überschreiten, ist die Grundlage jeglicher Intuition! Wenn Sie es üben, werden Sie vielleicht unter anderem bemerken, wie sich Ihre Intuition deutlich verbessert. Es ist einer der im Vorwort erwähnten verborgenen Schätze unserer gemeinsamen Reise, etwas, was nicht gelehrt werden kann, doch wenn es in Ihnen aufsteigt, kann es ein wertvoller Bestandteil Ihrer natürlichen geistigen Brillanz werden. Dieses Kapitel enthält eine Fülle von Übungsmöglichkeiten, um unsere erstaunlichen intuitiven Fähigkeiten zu erkunden und zu entfalten.
DAS TERRAIN ZWISCHEN ZWEI MYSTERIEN
Die Frage steht weiterhin im Raum, wie das Gehirn Informationen zu einer kohärenten Wahrnehmungserfahrung »verbindet«.
David Whitney
Center for Mind and Brain, University of California, Davis
In vielen Bereichen der Wissenschaft sind die polaren Extreme rätselhaft. In den Randbereichen scheinen manche Regeln plötzlich nicht mehr zuzutreffen. Newtons 1687 veröffentlichte Ideen dienten den Physikern fast drei Jahrhunderte lang wunderbar, bis sie sich mit den extrem kleinen subatomaren Teilchen und den extrem großen Wechselwirkungen zwischen Himmelskörpern befassten. Aus der Beschäftigung mit dem Mikro-Universum ging die Quantenmechanik hervor, und Einsteins Relativitätstheorie widmete sich den Phänomenen des Makro-Universums.
Auch beim Bevölkerungswachstum bergen die Extreme Rätsel. Wenn eine Bevölkerung vom Ausstreben bedroht ist, werden oft sehr viel mehr Kinder geboren. Wenn jedoch Überbevölkerung die Lebensgrundlagen bedroht, geht die Geburtenrate oft stark zurück und die Fruchtbarkeit lässt auf geheimnisvolle Weise nach.
Auch im Feature-Binding stoßen wir in den Extremen auf ähnliche Phänomene. Auf der zellulären Ebene ringen die Neurowissenschaftler immer noch mit der Frage, wie das Gehirn Informationen über Farben, Bewegungen, Formen und Klänge zu einer Wahrnehmung verknüpft. Im großen Maßstab hingegen debattieren die kognitiven Theoretiker darum, welche Rolle diese Fähigkeit zur Verbindung bei der Bewusstseinsbildung spielt und ob es überhaupt Bewusstsein geben kann, bevor solch eine Verknüpfung von unzusammenhängenden Eindrücken stattgefunden hat. Doch genau wie die Wissenschaft trotz dieser Rätsel das Gebiet zwischen den Extremen der Physik oder dem Bevölkerungswachstum erforscht, können wir auch die vielen faszinierenden Aspekte des Feature-Binding erkunden, die zwischen diese beiden Rätsel fallen.
Wir haben damit ja bereits begonnen. Die Bewegungspfade und die Wellenmuster, die Menschen beschäftigen, die