Original Mind - Anfängergeist und Bildung. Dee Joy Coulter

Original Mind - Anfängergeist und Bildung - Dee Joy Coulter


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um sie vom frontalen Cortex identifizieren und im Hippocampus Erinnerungen bilden zu lassen.

      Manche Anthropologen halten jedoch zwei Gruppen von Gerüchen für noch ursprünglicher. Der Geruch von Rauch und der Geruch von verdorbener Nahrung spielen für das Überleben eine äußerst zentrale Rolle. Manche Wissenschaftler meinen sogar, die Nase sei ursprünglich genau dafür entwickelt worden. Durch die moderne technologische Entwicklung brauchen wir diese Fähigkeiten jedoch kaum noch. Wir haben Rauchmelder, die auf uns aufpassen, und die Supermärkte versorgen uns ständig mit frischen Lebensmitteln. Viele Menschen sind daher nur noch eingeschränkt fähig, Gerüche zu identifizieren.

      Da viele Krankheiten von bestimmten Körpergerüchen gekennzeichnet sind, gehörte es früher auch zur westlichen medizinischen Ausbildung, den Geruchssinn zur Diagnose zu verwenden. Diabetes, Darmbeschwerden, Leberprobleme, Nierenversagen und Lungenkrebs bilden Duftmarker, die im Atem »riechbar« werden. In der östlichen Medizin ist die Lehre von Gerüchen als diagnostischem Instrument immer noch Teil der Ausbildung, doch im Westen ist es aus den Lehrplänen verschwunden, und immer weniger Studenten haben den feine Geruchssinn, der dafür notwendig ist. Die Diagnostik verlässt sich heute viel mehr auf visuelle Beobachtungen, Aussagen der Patienten und technische Messgeräte. Das neuerliche Interesse für den Geruchssinn hat dazu geführt, dass nun elektronische Riechgeräte und Hundenasen die Batterie der diagnostischen Mittel bereichern. Die frühesten elektronischen »Nasen« stammten aus der Parfüm-Industrie. Inzwischen sind die Geräte sehr viel einfacher, tragbarer und preiswerter geworden. Ein vielversprechender Ansatz identifiziert die Moleküle in der Atemluft mit Hilfe von Laserstrahlen. Therapiehunde wurden ausgebildet, um anzuzeigen, wann die Veränderungen im Atem ihrer menschlichen Gefährten auf einen bevorstehenden epileptischen Anfall oder auf niedrigen oder hohen Blutzucker schließen ließen. Manche Hunde haben sogar gelernt, im menschlichen Atem mit bemerkenswerter 99-prozentiger Sicherheit Krebs zu erkennen.

      Die menschliche Nase ist zu solchen Dingen von Natur aus nicht fähig, denn sie kann jeden Geruch nur ein paar Minuten lang wahrnehmen. Weil sich die Nase nicht verschließen kann, schützt sie sich damit vor olfaktorischer Überwältigung. Um einen Geruch anhaltend wahrzunehmen, müssen wir alle paar Minuten bewusst schnuppern. Vielleicht kennen Sie das: Auf dem Weg zur Haustür weist Ihre Nase Sie darauf hin, dass der Müll hinausgetragen werden müsste. Wenn Sie sich dann entscheiden, zuvor noch einen Blick in die Post zu werfen, verblasst die Wahrnehmung des Geruchs und die Chance ist groß, dass Sie den Müll wieder komplett vergessen.

      Hunde erleben Gerüche ganz anders. Sie haben eine spezielle Art zu atmen, um ihre Umgebung ständig auf Gerüche abzutasten. Beim Einatmen beben ihre Nasenflügel, um die Luft zu verwirbeln, und beim Ausatmen flattern die seitlichen Schlitze der Nasenlöcher, um eine leichte Luftströmung zu erzeugen, die den Geruch beim nächsten Atemzug frischer erscheinen lässt.

      Die Nasen von Hunden und den meisten anderen Tieren verfügen über zwei Geruchssysteme. Das eine ähnelt unserem primären Geruchssinn: Es registriert alle starken Gerüche der Umgebung. Der zweite Mechanismus dient dem Umgang mit sehr schwachen Düften, den sogenannten Pheromonen. Dazu gehören alle Körpergerüche, vom Atem über Urin, Stuhl, vaginale Gerüche, Erbrochenes und Blut bis zu schwärendem Fleisch, aber auch Gerüche von emotionalen Zuständen wie Angst oder Aggression, und die bereits erwähnten vielen Gerüche der gesundheitlichen Problemen und Krankheiten. Starke Pheromone werden von dem primären Geruchssystem verarbeitet, den schwachen widmet sich jedoch ein einfacheres System namens vomeronasales Organ oder VNO. Dieses winzige Organ sitzt bei Säugetieren tief in der Nase und bei Reptilien im Gaumen. Es steht mit dem Riechkolben in Verbindung, verfügt jedoch über eigene neuronale Bahnen und dient einzig und allein dem Aufspüren von Pheromonen. Solche Pheromone kommen einem nicht eingebundenen Geruchseindruck vielleicht am nächsten. Und wie sieht es damit beim Menschen aus?

      Weil das vomeronasale Organ so klein und gut versteckt ist, hat man es beim Menschen erst kürzlich entdeckt. In der Hoffnung, neue Stoffe für die Parfümindustrie zu finden, versuchen die Wissenschaftler daraufhin, einzelne Pheromone herauszufiltern, doch die Ergebnisse waren enttäuschend. Erwachsene scheinen Pheromone nicht deutlich wahrnehmen zu können. Säuglinge reagieren da viel intensiver, insbesondere auf den Geruch ihres eigenen Fruchtwassers und der Milch ihrer Mutter. Der Fruchtwassergeruch wirkt sofort beruhigend, während sie beim Geruch der Muttermilch frustriert anfangen zu schreien, wenn sie nicht gleich die Quelle finden können. Die Gerüche der Mutter scheinen für die frühkindliche Bindung von großer Bedeutung zu sein. Auch diese möchte ich als reine Sinneseindrücke bezeichnen.

      Das ist alles, was die Wissenschaft über die menschliche Reaktion auf Pheromone weiß. Ich möchte Sie ermuntern, eigene Forschungen anzustellen. Können Menschen Angst riechen? Welche Rolle spielen solche »animalischen Kräfte« bei der Partnerwahl? Führen manche emotionale Ereignisse zu schlechtem Atem?

      GESCHMACK, BERÜHRUNG UND BEWEGUNG

      Wie Kirschen und Beeren behagen,

       muss man Kinder und Sperlinge fragen.

      Johann Wolfgang von Goethe

      Unser Geschmack beruht zum großen Teil aufvergangenen Erfahrungen und den Assoziationen, die damit einhergingen. War die erste Begegnung angenehm, und war es ein gutes Beispiel für diesen Geschmack? Auch bei Geschmäckern scheint es also ziemlich schwierig zu sein, einen Sinneseindruck zu erleben, der nicht verknüpft ist. Vom Genuss vertrauter Speisen über das Ausprobieren neuer Gerichte bis zum Prüfen, ob etwas noch genießbar ist oder vielleicht den bitteren Geschmack von Giftigem hat – wir verbinden alles mit Geruch oder mit Erinnerungen an bereits Erlebtes. Über die Geschmackserfahrung eines Neugeborenen können wir jedoch ein wenig über reine, unverknüpfte Geschmäcker lernen. Selbst unmittelbar nach der Geburt reagieren Säuglinge auf drei verschiedene Geschmäcker, und manche Studien lassen vermuten, dass sie das vielleicht sogar schon im Mutterleib tun. Wenn ihnen ein sauer schmeckender Tupfer mit milder Essigsäure angeboten wird, spitzen sie die Lippen, rümpfen die Nase und blinzeln stark mit den Augen. Wenn ihnen ein Tupfer mit Zuckerwasser angeboten wird, lecken sie sich die Lippen, fangen an zu saugen und zeigen Anzeichen von Zufriedenheit. Und wenn es eine ziemlich bitter schmeckende milde Chininlösung ist, strecken sie die Zunge heraus, versuchen zu würgen und zu spucken und kneifen die Augen zusammen.

      Manche Wissenschaftler vermuten, diese impulsive Ablehnung des Bitteren diene den Neugeborenen als Schutz vor Giften, da Gifte häufig bitter sind. Auch Kinder mögen in der Regel nichts Bitteres, erst als Erwachsene entwickeln wir uns darüber hinaus und genießen Dinge wie Kaffee, bittere Schokolade oder grüne Salate. Doch selbst kleine Dosen bitterer Nahrungsmittel können heranwachsenden Föten schaden, weshalb viele Schwangere eine natürliche Abneigung gegen alles Bittere entwickeln.

      Wenn wir wissen, wie sich bestimmte Geschmäcker auf dem Gesicht eines Babys widerspiegeln, sagt das jedoch noch wenig über ihre tatsächliche Geschmackserfahrung aus. Ich habe vielleicht einen Hinweis auf eine Antwort entdeckt. Während der 1970er-Jahre nahm ich an einer Gruppentherapie teil, in der es unter anderem um sogenanntes »Reparenting« ging, einen Therapieprozess, der dazu dient, den Teilnehmern in einem kindlichen Zustand gesunde elterliche Botschaften zu übermitteln. Die Gruppe traf sich jede Woche, um zunächst eine Stunde lang unter der Obhut der beiden Therapeuten zu spielen und dann in der zweiten Stunde das Erlebte zu besprechen. Die Teilnehmer begaben sich während der ersten Stunde in eine Art halbhypnotischen Wachzustand, in dem sie sich wie Kinder fühlten und verhielten, mit Spielzeug spielten und den Therapeuten kindliche Fragen stellten. Zu Beginn der Spielstunde fragten die Therapeuten jeweils, wer denn vielleicht ein Fläschchen haben wolle, und bereiteten dann warme Milchflaschen vor. Und tatsächlich fing die entsprechende Person dann im Laufe der Stunde häufig an, zu weinen und wie ein Kind nach der Flasche zu verlangen. Ich war mir sicher, dass mir das nie passieren würde. Ich verabscheue den Geschmack warmer Milch und konnte mir nicht vorstellen, bei diesem Geschmack im regredierten Zustand eines kleinen Kindes bleiben zu können. Doch nach sechs Monate wagte ich einen Versuch, und es hatte großen Einfluss auf mein Verständnis von frühkindlicher Erfahrung.

      Ich kam bewusst hungrig zu der Veranstaltung. Dann rollte ich mich in einer Ecke zusammen und ließ mich in eine ganz frühe Zeit zurücktreiben. Plötzlich spürte ich, wie mein ganzer Körper aus


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