Die Kunst des Seins. Klaus D. Biedermann

Die Kunst des Seins - Klaus D. Biedermann


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können (können Sie?), an einem schönen Ort (nicht im Bett!) die Augen zu schließen, die Gedanken schweifen zu lassen und so zur Ruhe kommen – innerlich still zu werden.

      Lassen Sie die Gedanken einfach wie weiße Wolken am Himmel vorüberziehen, die Sie als stiller Zeuge lediglich beobachten.

      Sie werden wahrscheinlich am Anfang viel Unordnung vorfinden, die Sie dazu verleiten wird, damit aufzuhören. Mit Unordnung meine ich eine pausenlose Flut von Gedanken aus Ihren unterschiedlichsten Lebensbereichen. Akzeptieren Sie diese Unordnung, und genau das wird Ihnen helfen weiterzumachen. Wenn Sie sich wehren, geben Sie Ihrem Verstand Energie, und damit haben Sie schon verloren. Sie stärken das Objekt Ihrer Abwehr.

      Siegmund Freud, der ›Vater‹ der Psychoanalyse, hat dies erkannt: Impulse, die aus unbewussten Schichten nach außen drängen und von uns abgewehrt werden, weil wir sie uns nicht erlauben zu leben, gewinnen mehr und mehr Macht über uns. Wir benötigen mehr Energie, um diese Impulse abzuwehren.

      Seien Sie also lediglich Zeuge und Beobachter Ihrer Gedanken. Das ist der Anfang. Mit der Zeit werden Sie einfach meditativer in allem, was Sie tun. Ob Sie Geschirr waschen, Auto fahren oder in einer Konferenz sitzen. Bedenken Sie: Meditation heißt nicht abschalten, sondern ganz im Gegenteil: total bewusst in der eigenen Mitte ruhen, ganz im Hier und Jetzt.

      Sie können aus einer Vielzahl unterschiedlicher Meditationstechniken auswählen. Es gibt stille Formen der Meditation, aber auch sehr dynamische, die den ganzen Körper miteinbeziehen. Zu Beginn sind die dynamischen Formen sehr zu empfehlen, da sie erst einmal den Körper anstrengen und es dadurch später leichter wird, zu entspannen.

      Meditation ermüdet nicht, sondern ist die reinste Form der ›wachen Entspannung‹.

      Irgendwann werden Sie dann für Meditation keine gesonderte Zeit mehr einräumen müssen, sondern Sie sind einfach zu einem meditativen Menschen geworden: ausgeglichen, in sich ruhend, liebevoll und friedlich.

      Ein anderer Schritt zur Erleuchtung ist: Loslassen.

      Der Spatz in der Hand ist uns oft lieber als die Taube auf dem Dach, von der wir genau wissen, dass sie da ist. Um diese Taube in die Hand nehmen zu können, müssen wir den Spatz loslassen, und vor diesem Moment der Leere in unserer Hand haben wir Angst.

      Lassen Sie mich dazu eine kleine Geschichte wiedergeben:

       Es lebte einmal ein Mann, der aß mit Leidenschaft Nusskuchen. Die Nüsse hierzu waren in einem Krug aufbewahrt. Eines Tages wollte seine Frau ihm Nusskuchen backen. Der Mann nahm den Krug vom Schrank, griff gierig hinein, packte eine Handvoll Nüsse, und als er seine Hand herausziehen wollte, blieb er stecken. Er zog und zerrte, es nutzte nichts, die Hand steckte fest. Als er um Hilfe rief, kam seine Frau herbeigelaufen und zog an dem Krug. So sehr sie sich auch bemühte, die Hand steckte fest. Inzwischen hatten sich, angelockt durch das laute Gezeter der beiden, einige Nachbarn und andere neugierige Zuschauer eingefunden. Immer mehr Ratschläge und Spott kamen aus der Menge, aber nichts half.

       Endlich trat ein Fremder aus der Menge hervor und verschaffte sich Gehör: »Willst du genau befolgen, was ich dir sage, so werde ich dir helfen, deine Hand zu befreien.«

       »Oh, ich tue alles, was du mir sagst, wenn ich nur meine Hand wieder losbekomme und endlich meinen Nusskuchen essen kann«, erwiderte der Mann.

       »Gut, dann lasse die Nüsse, die du in der Hand hast, los.«

       »Aber warum denn das, ich möchte sie ja herausholen?«, jammerte der Arme.

       »Da du versprochen hast, meinen Rat zu befolgen, tue, was ich dir gesagt habe«, antwortete der geduldige Fremde.

       Der Mann tat es, die Nüsse fielen in den Krug zurück, und er konnte seine Hand ganz leicht aus dem Krug herausziehen. Daraufhin nahm der Fremde den Krug, kippte ihn so, dass genau die richtige Menge an Nüssen herausfiel, und verabschiedete sich mit folgenden Worten:

       »Siehst du, so einfach ist Loslassen.«

      Wie oft geht es uns wie diesem Mann! Mit aller Macht wollen wir etwas erreichen, setzen unsere ganze Energie daran und müssen bald merken, dass wir festsitzen. Wohl dem, zu dem dann jemand wie in der kleinen Geschichte kommt, mit dessen Hilfe aus der Distanz heraus die Lösung ganz einfach gefunden werden kann. Diese Helferlein gibt es aber nicht wie Sand am Meer. Wenn Sie also wieder einmal an solch einem Punkt in Ihrem Leben angekommen sind, entspannen Sie sich, lassen Sie los, treten Sie ein Stück zurück und betrachten die Situation, als seien Sie ein Fremder – sozusagen aus der Vogelperspektive. Sie werden erstaunt sein, wie viele Lösungen Ihnen einfallen.

      Ein sehr erfolgreicher Unternehmer, der öfter meine Seminare besucht, sagte einmal: »Meine Geschäfte gehen am besten, wenn ich hier bin. Wenn ich abschalte, mich ganz um mich selbst kümmere, etwas für meine Entwicklung tue, wenn ich loslasse. Dann kommen zu Hause in der Firma die größten Aufträge herein.«

      Wenn Sie jetzt allerdings zu einem Seminar kommen, damit zu Hause die Geschäfte besser laufen, wird es nicht funktionieren, weil Sie ja nicht wirklich loslassen, sondern mit einer Absicht da sind.

      Loslassen bedeutet: Absichtslosigkeit.

       In einer Garnisonsstadt gab es ein Offizierskasino, in dem eine sehr attraktive junge Frau die Gäste bediente. Jeder der Offiziere wünschte sich, zumindest einmal mit ihr auszugehen. Alle Avancen, ob indirekter oder aufdringlicher Art, scheiterten. Es gab unter all diesen Männern einen, der sie nie angeschaut hatte und der sich immer mit dem Rücken zur Theke gesetzt hatte. Den, der so offensichtliches Desinteresse gezeigt hatte, den hat sie letztendlich geheiratet.

      Das, was Sie halten wollen geht, das, was Sie loslassen kommt.

      Im Besonderen gilt dieser Satz für Beziehungen. Ein Mensch, den ich halten möchte – oft mit allen Mitteln –, wird gehen (und sei es auch nur innerlich), ein Mensch, den ich frei sein lasse, kann bleiben, denn Liebe ist ein Kind der Freiheit. Der schlimmste Satz, den man einem anderen Menschen sagen kann, lautet: »Ohne dich kann ich nicht leben.« Damit sagen Sie dem anderen nichts anderes, als dass Sie sich abhängig machen von ihm und ihm die Verantwortung für Ihr Wohl übergeben. Einen Menschen, der das sagt oder einen das auch nur spüren lässt, kann man aber nicht lieben, den muss man eigentlich hassen.

      Woran es hier hapert, wird manchmal in einer dramatischen Weise klar. Dramatisch deswegen, weil es nicht wenige Menschen gibt, die Suizid begehen, wenn sie verlassen werden. Anstatt den Umstand des Verlassenwerdens und der damit erlebten Kränkung als Chance zu sehen, um an sich zu arbeiten und den Eigenanteil zu betrachten, bringt man sich um und gibt dem anderen die Schuld daran. So ist dessen Leben in einer auch für ihn oft unerträglichen Weise belastet.

      Schauen Sie sich einmal um. Wie viele Menschen bleiben in Beziehungen oder an ihrem Arbeitsplatz, weil sie nichts Besseres in Aussicht haben oder nicht glauben, dass es etwas Besseres für sie gibt? Das Bessere kann aber erst in Ihr Leben treten, wenn Sie das Alte losgelassen haben. Und wirklich besser ist es erst, wenn Sie gelernt haben, wofür das Alte gut war, und wenn Sie es gewürdigt haben. Sonst erleben Sie das gleiche Drama in der neuen Beziehung oder am neuen Arbeitsplatz. Wir bekommen nämlich so lange das Gleiche vorgesetzt, bis wir unsere Lektion gelernt haben. Dies gilt, wie schon gesagt, im Großen wie im Kleinen, innen wie außen. Zu diesem Lernprozess gehört auch, dass Sie schließlich die Bewertungskriterien ›besser‹ und ›schlechter‹ loslassen und wertfrei das sehen können, was Ihrer Entwicklung dient.

      Das größte Loslassen ist der ›Tod‹. Ich setze das Wort Tod in Anführungszeichen, weil es in Wirklichkeit keinen Tod gibt. Vielleicht ist das unsere größte Illusion: glauben, dass es den Tod gibt. In diesem Universum kann nichts ›sterben‹. Fragen Sie einen Physiker. Nichts kann vernichtet werden, sondern es erfolgt nur eine Zustandsänderung. Der geschmolzene Eiswürfel, ist ja auch nicht tot. Die äußere Form des Eiswürfels existiert zwar nicht mehr, aber das, was ihn ausmacht, das, was er ist, seine Essenz also, existiert weiter.

      Dieses Universum besteht aus Energie in unterschiedlichsten Schwingungsmustern und Formen. Der Tod bringt


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