Die Kunst des Seins. Klaus D. Biedermann

Die Kunst des Seins - Klaus D. Biedermann


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den es gibt, und wird vielleicht gerade deshalb von so vielen Menschen gemieden wie eine ansteckende Krankheit. Die Rationalisierungen und Ausreden, die Menschen finden, um nicht zu meditieren, sind enorm. Ein Grund dafür ist Angst.

      Der Mensch hat ein Leben lang gebraucht, zu glauben, dass er fehlerhaft, schlecht, nicht liebenswert sei, und natürlich hat er Angst, diesem Wesen zu begegnen. Intuitiv weiß er, dass er sich in der Meditation selbst begegnet, also meidet er sie.

      »Erkenne dich selbst, dann erkennst du das Universum und die Götter«, mahnte schon das Orakel von Delphi.

      Wenn Sie in den Spiegel der Meditation schauen, begegnen Sie sich ›pur‹, ohne Wenn und Aber, ohne psychologische Erklärungsmodelle, ohne religiöse oder gesellschaftliche Raster und Muster. Sich ›pur‹ begegnen heißt, dem göttlichen Kern in sich nahe zu sein; am Ende dieses Weges stehen – wie Buddha sagte – Licht und Ekstase.

      Es gibt viele Gründe, diesen Weg zu meiden. Beispielsweise kann es unangenehm sein, sich selbst genauer zu betrachten, die Dinge zu sehen, die man für Fehler oder Schwäche hält. Das hatte ich vorhin mit der Angst auf einer tieferen Ebene gemeint. Denn das könnte Abstriche an einem Perfektheitsanspruch machen, der uns vermittelt wurde, oder uns aus unserer ach so geschätzten Bequemlichkeit herausreißen.

      Meditation bedeutet auch, ›sich leer zu machen‹. Dieser Moment der Leere ist unendlich wichtig. Fast alle Meditationstechniken zielen auf diesen Zustand ab.

      Meditation ist in ihrer höchsten Stufe ein Zustand jenseits des Denkens, ein Zustand reinen Bewusstseins ohne Inhalt. Das Ziel sollte sein, in einen Zustand der Akzeptanz des eigenen Lebens und das aller anderen Wesen zu gelangen. Meditation ist keine Geheimwissenschaft und ist alleine für sich genommen noch nicht einmal unbedingt ein spiritueller Vorgang. Das Wort kommt aus dem Lateinischen: meditari = nachsinnen. Meditation ist also erst einmal eine besinnliche Betrachtung.

      Wissenschaftlich ist die positive Wirkung der Meditation längst bewiesen, und jeder, der meditiert, braucht diesen Beweis sowieso nicht mehr. Als Meditation werden Techniken bezeichnet, die von Heiligen aller Länder und Religionen entwickelt wurden, um seelische Leiden zu heilen und psychische und spirituelle Befreiung zu erlangen. Die Techniken variieren, doch sind die darunter liegenden Prozesse, die sich auf die spirituelle und psychische Entwicklung richten, mehr oder weniger gleich. Meditation kann eindrucksvolle Veränderungen im Bewusstsein auslösen. Sie wird als Kern der mystischen Wissenschaften angesehen, und Menschen, die meditieren, halten sich oft allein wegen dieser Praktik für ›spirituell‹.

      Seit den frühen 60er Jahren erfreut sich die Meditation auch bei uns eines zunehmenden Zuspruchs und ist inzwischen bis in manche Vorstandsetage großer Firmen ›salonfähig‹ geworden. Sie wurde außerdem zum Forschungsgegenstand, und den Wissenschaftlern ist es auch mit ihren Methoden gelungen, festzustellen, dass sie wirksam ist (hört, hört!). Das hat unsere moderne Wissenschaft herausgefunden: Meditation bewirkt physiologische Veränderungen im Zusammenhang mit Entspannung und psychologischen Erfolgen wie größere Ruhe und mehr Entspanntheit. Weiter führt Meditation zur Verbesserung des Allgemeinzustandes bei Bluthochdruck, Ängsten, Suchtverhalten und Phobien.

      Allerdings kommen solche Wirkungen nur denjenigen zugute, die über einen längeren Zeitraum meditieren, und die meisten Menschen tun das nicht.

      Die große Bedeutung der Meditation liegt darin, dass sie den Meditierenden allmählich die Wirklichkeit anders erfahren lässt, weil sich dessen Wahrnehmung und Verstehen durch sie verändert.

      Sicherlich ist Meditation als größter Beitrag der mystischen Traditionen zur heutigen Psychotherapie zu verstehen. Die Techniken der Meditation, die einer viel älteren Wissenschaft entspringen, erscheinen dem Verstand zunächst vielleicht sinn- oder bedeutungslos und erweisen sich erst nach jahrelanger Praxis als die ausschlaggebenden Dinge im Leben. Über eine der Funktionen des Verstandes sagte ich ja schon etwas.

      Der indische Meister Osho hat einmal gesagt, dass Meditation das Ziel sei und jede Form von Therapie lediglich eine Vorbereitung sein könne. Einige Lehrer alter Traditionen sagen, dass Meditation eine Therapie allein für sich ist und dass mit gezielten Praktiken gewisse Zustände geheilt werden können. Durch Meditation kann man sicherlich inneren Frieden und Harmonie finden, es braucht oft allerdings Jahre an Training. Leider verbinden wir in unserem Kulturkreis den Begriff ›Meditation‹ oft mit den bisweilen zu Unrecht negativ belegten Begriffen ›Sekten‹ oder ›Gurus‹ und Menschen, die meditieren, werden von den ›Toughen‹ belächelt oder als ›esoterische Spinner‹ bezeichnet. Dadurch werden viele Menschen von einer sinnvollen Technik ausgeschlossen. In unseren Selbst-Erfahrungs-Seminaren erlebe ich Meditation immer wieder als eine der effektivsten Methoden.

      Das wichtigste Ziel der Meditation besteht in der Entwicklung des beobachtenden Selbst. Und dieser Punkt stellt sicherlich eine der größten Herausforderungen dar, weil Sie doch immer wieder dahingehend beeinflusst werden, die Dinge im Außen zu verändern.

      In der Meditation können Sie erleben, wie wichtig es ist, still zu werden, nach innen zu gehen und dort die Zeichen zu erkennen.

      Nach Ansicht vieler Mystiker sind andere Nutzen der Meditation wie größere Ruhe, bessere Gesundheit oder vermehrte Kreativität allerdings unbedeutend und können sogar zum Hindernis werden, wenn sie als Ziel definiert werden. Durch eine solche Zieldefinition würde die Wirksamkeit der Meditation für den eigentlichen Zweck abgeschwächt, sagen sie und sprechen von einem Missbrauch und einer Vergeudung des ihr innewohnenden Potenzials. Das sei, als faste man in erster Linie, um abzunehmen. Demnach sollte man also Meditation zu therapeutischen Zwecken allerhöchstens begleitend einsetzen. Einen feinen Holzmeißel zum Dosenöffnen herzunehmen, ist ja auch nur dann sinnvoll, wenn man damit nicht mehr schnitzen möchte.

      Wenn man Meditation nur für die Psychotherapie einsetzt, ist das, als sammle man Austernschalen und werfe die Perlen weg. Man neigt dann leicht dazu, von den relativ unwesentlichen Resultaten auf die mystische Wissenschaft zu schließen und man schaut nicht weiter. Der psychotherapeutische Nutzen der Meditation liegt sicher darin, dass der Meditierende allmählich seine Wirklichkeit anders erfährt, weil sich seine Wahrnehmung und sein Verstehen verändern. Man kann durch Meditation zum Beispiel mehr Distanz zu seinen Symptomen bekommen und aufspüren, was wirkt.

      Wenn Ihnen gesagt wurde, Meditation sei gefährlich oder Spinnerei, und Sie glauben das, dann nennen Sie das Ganze einfach beten. Dieser Begriff ist uns in der Regel geläufiger, obwohl ›Beten‹ eigentlich das Gegenteil von Meditation ist, weil Beten bitten heißt und ›meditari‹ nach Innen gehen. Damit meine ich nicht, dass Beten wertlos ist. Medizinische Forschungen haben inzwischen gezeigt, dass Gläubige, die beten, eher und schneller geheilt werden als Menschen, die das nicht tun. Was aber meiner Meinung nach den Wert des Betens ausmacht ist der Glaube der Betenden. Auch Jesus hat gesagt: »Steh auf, dein Glaube hat dir geholfen.« Wenn Sie beten, brauchen Sie in keine Kirche und keinen Tempel zu gehen, obwohl diese Orte als Raum der Kontemplation durchaus dienen können. Das eigene Selbst ist der göttliche Tempel. Wenn Sie beten wollen, gehen Sie in Ihr eigenes Inneres, wo immer Sie gerade sind, und sprechen Sie mit Ihrer inneren Macht. Dies wird Ihnen Kraft und Frieden geben.

      Das herkömmliche Beten ist für viele zu einer geistlosen rituellen Handlung geworden, die nach Dogmen praktiziert wird. Uns wurde gesagt, dass wir unvollkommen und klein seien und dass wir außerhalb von uns jemanden anbetteln müssten, der uns vergibt und errettet.

      Wenn Sie jemanden anderen um Vergebung Ihrer Sünden bitten, werden Sie diese nie erhalten; denn niemand außer Ihnen selbst hat die Macht, Ihnen zu vergeben. Vertrauen Sie darauf, dass der Gott, der Sie führt, in Ihnen wohnt, und werden Sie sich bewusst, dass Sie, wenn Sie beten, eigentlich ein Selbstgespräch führen.

      In der Regel setzen sich die Menschen im Gebet nieder und präsentieren Gott eine Liste von dem, was nicht in Ordnung ist. So als wollten sie sagen: »Nun, lieber Gott, da haben wir dieses und jenes, bitte bring das doch in Ordnung ...« Sie verstehen nur selten, dass Gott die ganze Zeit über bei ihnen gewesen ist, weil er ja in ihnen ist. Sie sind ein Teil von ihm. Er ist doch alles, oder? Wenn Sie also das nächste Mal beten, dann sagen Sie nichts. Seien Sie still, und wissen Sie, dass Sie Gott sind. Das ist Meditation. Meditation holt sich Hilfe von innen.


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