EINSICHT in UNerhörtes. Dr. Manfred Nelting
sogar Mobbing stattfindet, dann ist eine Stress-Wirkung auf das Kind sehr wahrscheinlich, selbst wenn die Schwangere selbst keine offensichtlichen Symptome hat. Aber auch eine empfundene Stressbelastung ohne aktuell nachweisbare Symptome trotz Einhaltung der Vorschriften des Mutterschutzgesetzes seitens des Arbeitgebers sollte im Interesse des Kindes ernst genommen werden.
Dies ist natürlich der Wahrnehmung und der Entscheidung der Schwangeren überlassen, aber es macht Sinn, dies ggf. mit dem Arzt des Vertrauens zu besprechen und zu klären, ob, aus Gründen der Vermeidung von Stressfolgen auch für das Kind, ein Beschäftigungsverbot geboten ist.
Aber das gilt natürlich genauso für Stress in der Partnerschaft oder andere Bereiche, wo möglichst Klärung erzielt werden sollte.
Stressfolgen in der Schwangerschaft für das Kind müssen zukünftig also viel ernster genommen werden, weil hier schon Weichen für die Zukunft gestellt werden. Dies war in der Vergangenheit in dieser Weise nie wirklich im Fokus, aber wir können mit diesem Wissen den Kinderschutz auf das Ungeborene nunmehr ausweiten, vorerst individuell, aber mit der Forderung nach weiteren praktikablen Kriterien im Mutterschutzgesetz.
Dies ist auch deshalb wichtig, weil so auch soziale Ungleichheit weiter vermindert werden kann, denn mit ausreichenden finanziellen Verhältnissen kann eine Schwangere diese Zeit natürlich auch stressärmer gestalten als bei der Notwendigkeit der Lohnarbeit der Schwangeren für den Lebensunterhalt der Familie bzw. im Single- oder alleinerziehenden Haushalt.
Hier müsste die Möglichkeit des Beschäftigungsverbotes klarer geregelt und sich auch explizit auf absehbare Stressfolgen für das Kind erstrecken, da im Beschäftigungsverbot die Lohn- oder Gehaltszahlung ja weiterläuft wie im üblichen Mutterschutz in den Wochen um die Geburt. Und Ärzte müssten sich hier unbedingt in epigenetischen Fragen weiterbilden, da dies in der bisherigen Ausbildung noch zu wenig Raum bekommt. So kann ein Faktor sozialer Ungleichheit etwas ausgeglichen werden, bevor allgemeinere gesellschaftliche Gestaltungen greifen.
Gute Begleitung in der Schwangerschaft
Es ist sehr sinnvoll, dass sich das Paar, sofern es sich nicht um eine zufällige oder nicht gewollte Schwangerschaft handelt, für die gemeinsamen Aufgaben gut abstimmt und gerade beim ersten Kind Ängste und Unsicherheiten empathisch ernst genommen und besprochen werden, die in Phasen kommen und normal sind.
Dies erfordert gute Begleitung von Hebammen und Ärzten, optimalerweise solchen, für die eine Schwangerschaft nicht eine Krankheit ist, sondern ein normaler, freudvoller Lebensabschnitt. Die Mehrzahl der Schwangerschaften ist nicht als Risiko einzuschätzen, sondern als natürlicher, lebensspendender Entwicklungsprozess mit eigener Kompetenz der Mutter zum Gebären. Generell gelingt eine Schwangerschaft umso besser, indem die Schwangere in dieser Kompetenz unterstützt wird und Ängste vor Komplikationen gut besprochen und bewältigt werden können, wenn keine Hinweise für Komplikationen da sind. Das gilt auch für Ängste des werdenden Vaters.
Bei Risikoschwangerschaften ist die entängstigende und lebensbejahende Betreuung umso wichtiger und die Kompetenzen von Hebamme, Arzt und Krankenhaus zu betonen, die Sicherheit gibt, ohne die Kompetenz der Schwangeren zur Frage des Tragens und Gebärens ihres Kindes infrage zu stellen. Ihre Wünsche und Gedanken dazu und der Rahmen ihrer Selbstbestimmung in dieser besonderen Situation brauchen großen empathischen Raum. Ein solches Vorgehen negiert nicht das Risiko, sondern minimiert es, indem die Schwangere und damit auch ihr Kind im Bauch eine bestmögliche Ausgangslage bekommt.
Die Frage der Indikation zum Kaiserschnitt möchte ich ausführlich in Kapitel 5, Gestaltungsräume, besprechen, ebenfalls dort das Thema Hausgeburten ansprechen.
Bedeutung für die ersten Lebensjahre
Lebensstil, Mediennutzung und gesundheitliche Verfassung der Eltern sind sehr wichtig für das Gedeihen und die Hirnentwicklung des Babys.
Im Kapitel Stress und Digitalisierungs-Stress habe ich beschrieben, wie die reale Lebenssituation vieler Erwachsener Dysbalancen auf vielen Ebenen ergibt und sicherlich die Mehrheit der Menschen sich im Alltag dauerhaft überfordert fühlt angesichts des permanenten und beschleunigten Wandels. Wer hier nicht mit günstigen Voraussetzungen, Kompetenzen und Ressourcen im Ring steht, geht leicht k.o., also kommt z. B. ins Burn-out. Die Zahl der Menschen mit Stress-Folge-Erkrankungen wie Burn-out, Depression, Diabetes Typ 2, Tinnitus u. a. gehen, wie schon gesagt, in die Millionen (jeweils ca. jeder 5. Mensch in Deutschland), beim Bluthochdruck und nicht erholsamem Schlaf ist es fast die Mehrheit der Menschen hierzulande.
Der Schlaf der Eltern aber ist in der Regel mit einem Baby nicht ungestört, sie können insofern meist auf die regenerative Wirkung guten Schlafes nicht umfassend zurückgreifen.
Wenn jetzt ein Kind zu einem gestressten Paar kommt und diese zukünftigen Eltern keine Lebenspflege, wie vorher beschrieben, vor der Empfängnis gemacht haben oder machen konnten bzw. das Kind unerwartet kommt, wird das Kind in eine Belastungssituation hinein empfangen und auch geboren. Für Eltern in bereits bestehender Überforderung wird die Belastung dann in der Schwangerschaft stärker und nach der Geburt ebenfalls. In dieser Belastung können Eltern dem Kind eine verlässliche Umhüllung oft nicht geben, zusätzlich waren bei Empfängnis und in der Schwangerschaft die physiologischen und epigenetischen Voraussetzungen für das Kind nicht optimal und auf dieser Lebensgrundlage läuft die Hirnentwicklung des Kindes noch nicht in der bestmöglichen Bahn.
Es ist für die Eltern und die Entwicklung des Kindes insofern hochbedeutsam, dass die Eltern spätestens jetzt dafür sorgen, dass es ihnen ausreichend gut geht und sie in eine bessere vegetative Balance kommen. Und sie müssen jetzt auch unter diesen ggf. schwierigen Umständen klare Entscheidungen treffen bzw. sich Unterstützung holen. Wie sie dahin gelangen können, bespreche ich in Kapitel 5. Dies muss in der Gesellschaft aber umfangreich kommuniziert werden und zu jeder Geburtsvorbereitung dazugehören. Wer hier Unterstützung braucht, muss diese auch bekommen, unabhängig von der persönlichen finanziellen Lage.
Wenn die Eltern aber auch noch biografische Belastungen mit sich tragen wie eigene oder familiäre Traumata, eigene Krankheiten, psychische Störungen, Suchtentwicklungen oder Dauer-Streit und Trennungen mit ihren Partnern, können die aktuellen Lebensanforderungen noch schwerer zu bewältigen sein mit Vernachlässigung oder emotionalem Mangelerleben der Kinder bis hin zur Gewalterfahrung. Hier kommt dann die Entwicklung der Kinder in ganz schwierige Bahnen, die unsere ganze Aufmerksamkeit und Unterstützung brauchen (Kapitel 3 und 4).
Ursachen und Folgen in biografisch belasteten Familien
Belastete Eltern, die bereits für sich schwer kämpfen müssen, um mit dem Leben klarzukommen bzw. nach Lösungswegen für ihr eigenes Dilemma suchen und nicht finden, können natürlich dem Kind keine wirklich tragfähige Grundlage für das Leben mitgeben. Diese Belastungen wirken auf die Kinder und die Verhaltensweisen bzw. Beziehungsformen, die aus den schwierigen Erfahrungen der Eltern im eigenen Leben resultieren, gehen vielfach auf die Kinder über.
Mütter können als Ergebnis eigener schwieriger Entwicklung auf unterschiedliche Weise problematisch für das Kind sein, z. B.:
•sie können das Kind ablehnen, abwerten, bestrafen
•sie können das Kind völlig für ihre Zwecke vereinnahmen
•sie haben z. B. keine Liebesfähigkeit oder keine Zeit für das Kind
•sie füllen mit dem Kind ihren eigenen Mangel an Selbstwert auf.
Diese Mütter können ihr Kind im Lebensbeginn nicht liebevoll umhüllen und überdies bewirken sie schwere Probleme beim Kind mit existenzieller Bedrohung, Identitätsstörungen, emotionalem