EINSICHT in UNerhörtes. Dr. Manfred Nelting

EINSICHT in UNerhörtes - Dr. Manfred Nelting


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carbonbasiertes Wirtschaften mit Wachstum nicht weitergeht. Entweder wir ignorieren die Notwendigkeit, die Wandlung als Gemeinschaft anzupacken und ernten dann in einigen Jahren ein unbeherrschbares, jeden bedrohendes Chaos, oder wir beginnen radikal, also die Themen an der Wurzel packend, den Wandel zu gestalten, und begrenzen die Folgen so konkret, dass das Leben auf der Erde lebenswert bleibt.

      Dazu bietet die Corona-Krise eine hervorragende Chance, wenn die Politiker begreifen, dass sie und ihre Wähler um den Wandel nicht herumkommen. Im Wandel kann es schmerzhaft sein, aber wenn man durch diesen Schmerz durch ist, gewinnt man sogar die Menschlichkeit zurück und die Menschen ihre Würde.

      Die Politiker müssen anfangen, ihren Wählern zu erklären, dass es verantwortungslos ist, nicht zu handeln. Es geht um Radikalität, die ein Übel an der Wurzel packt, dabei aber Zeit zum Reifen lässt, im Gegensatz zur Revolution, die diese Zeit zum Reifen nicht ermöglicht. Radikalität ohne wortreiche, aber nichtssagende Ausflüchte ist jetzt notwendig, weil in der allgemeinen Verdrängung der entstandenen Notlage kein wirksames Handeln möglich war und so wertvolle Handlungszeit verschenkt worden ist.

      Es wird also unbequem für die Parteien, sie müssen den Bürgern die Wahrheit einschenken und ihnen gleichzeitig helfen, diese nicht nur zu verdauen, sondern als Aufbruch in eine neue menschlichere Zeit zu sehen. Dies wird sicherlich ein oder zwei Wahlperioden brauchen, weil die konservativen Kräfte ihren festgelegten und quasi gewonnenen Handlungsrahmen nicht ohne Weiteres aufgeben können und viele Wähler, insbesondere Ältere, weiter darauf hoffen, dass sich nichts ändern muss. Aber die Erderwärmung mit ihren spürbaren Folgen auch in Deutschland wird dieses Vorgehen pushen.

      Wichtig ist dabei, die älteren Menschen mitzunehmen, also ehrlich zu schauen, wie man älteren Menschen schon in und während dem radikal notwendigen Wandel Sicherheit und Geborgenheit geben kann. Man muss in die Änderung eintreten, aber kreativ und liebevoll vorgehen. Das geht, weil Kreativität und Liebe im Gegensatz zu Konkurrenz und Konsum keine solchen Kosten zeitigen. Dann werden „die Alten“ beginnen, den Wandel mitzutragen, weil sie merken, dass etwas Besseres im Gange ist.

      Dies gilt es im Weiteren genauer zu besprechen. Das werde ich in Kapitel 4 und 5 machen. Dort soll auch das für die Corona-Krise wichtige Thema des Immunsystems angesprochen werden, das wir in der gesellschaftlichen Diskussion wieder aus der Vergessenheit herausholen wollen.

       2.1.7 Stress durch sozialen Vergleich

      Zufriedenheit und Glück durch Geld steigt im niedrigen Einkommensbereich an bis zu einer Höhe, in der die Grundbedürfnisse von Miete, Mobilität, Ernährung und einem üblichen Equipment im Haushalt und von Haushaltsgeräten wie Waschmaschine, Kühlschrank, Fernseher usw. erfüllt sind.

      Danach steigt die Zufriedenheit nicht weiter an mit steigendem Einkommen, ja man beobachtet vielfach eine zunehmende Unzufriedenheit bis hin zum Stress, weil man anfängt, sich in der Bevölkerung, in der Nachbarschaft bzw. unter Kollegen im Sozialrating zu verorten.

      Der Mensch ist nicht in der Lage, eine universelle Bezugsgröße in sich zu fühlen, die ihn gänzlich unabhängig machen würde vor Vergleichen mit anderen Menschen. Man setzt sich also meist in einen konkreten Bezug zu Mitmenschen, verursacht also selbst ein Ranking, das einem guttut, wenn man darin gut abschneidet und einen verärgert bzw. sogar unter Stress setzen kann, wenn man darin schlecht oder ungenügend abschneidet oder immer in der unteren Skala verbleibt.

      Das ist allerdings immer abhängig von kulturellen Einflüssen, also was jeweils als wichtig zu haben gilt, sowie von der Wirtschaftsform also, in welchem Ausmaß soziale Ungleichheit besteht und jeder mit jedem als Konkurrent gesehen und beurteilt wird. Weiterhin ist es wichtig, ob man mit dem jeweiligen sozialen Status gesehen wird oder eher nicht.

      Viele versuchen, andere nach Möglichkeit irgendwie zu übertreffen, um sich im Ranking sichtbar zu halten oder zu steigen. Das geschieht meistens durch sichtbaren Konsum, also Werkzeug, Mode, Auto, was die Nachbarn oder die Kollegen mitbekommen können. Vieles „muss man einfach haben“, mit anderem „kann man gut punkten“. Das fängt schon im Kindergarten an und wird in der Schule sozusagen quasi zelebriert, was soziale Ungleichheit ausgesprochen fördert.

      Die Werbung zeigt dabei in der Regel, wohin die Reise geht, man muss also auch schnell sein. Es kommt dabei nicht so sehr darauf an, ob man etwas braucht, sondern, wie man damit dasteht im Vergleich. Ich denke, jeder kann sich dabei erkennen, dass er oder sie aus solchen Gründen manchmal etwas kauft. Es ist uns bei unserer Art zu wirtschaften quasi von Kindesbeinen eingebläut worden, dass Besitz und Haben die soziale Stellung begründen, und besonders, wenn es sichtbar ist, uns als fortschrittlich, überlegen, vielleicht sogar als sexy auszeichnet. Nur so können wir Karriere machen und im Leben Erfolg haben, wird uns suggeriert.

      Wie verhindert man diesen sinnlosen Konsum, was man nicht wirklich braucht und was zum Glücklichsein herzlich wenig beiträgt? Wir alle kennen ja die Halbwertzeit von zufriedenen Gefühlen über unsere Konsum-Beute, sie ist kurz.

      Wir sind besonders anfällig dafür im Sinne einer Verführung (siehe auch Kapitel 4), wenn wir uns innerlich leer fühlen, wenn wir wenig Bestätigung bekommen oder bekommen haben, also wenig Selbstwert empfinden und nicht zu einer guten Selbststeuerung gelangen konnten. Diese Leere versuchen wir aufzufüllen, aber so, durch Konsum, klappt das nicht wirklich. Wir brauchen Zufriedenheit durch erfüllende Beziehungen, Begegnungen und Partnerschaft, Freude an unserer Arbeit und natürlich Anerkennung, aber nicht von irgendwem, sondern von Menschen, die uns nah und lieb sind. Dann kaufen wir viel eher nur das, was wir brauchen, garniert mit kleinen überschaubaren Lustkäufen als Belohnung für was auch immer.

       Exkurs: Konsum als systemrelevant

      Übermäßiger sozialer Vergleich ist ungesund, treibt aber den Konsum an und fördert den Wohlstand im systemischen Sinne. Konsum stabilisiert unseren Staat, in dem er in besonderer Weise der Wirtschaft ermöglicht zu wachsen. Konsum ist also in unserer Wirtschaftsweise im Grunde eine staatsbürgerliche Pflicht. Dies galt bisher meist, ohne dass dies so benannt wurde. Jetzt in der Corona-Krise drehte es sich nach dem Lockdown aber alles darum, den Konsum wieder anzukurbeln, um ein wirtschaftliches Zusammenbrechen bzw. eine schwere Rezession zu vermeiden. Dies wurde jetzt auch so ausgesprochen. Damit wurde offensichtlich, dass unser Wirtschaftssystem auf gefährliche Art und Weise verletzlich ist und Konsum systemrelevant. Ohne Konsum können wir diese Wachstumswirtschaft nicht retten, wie ungesund!

      Wir kommen als Bürger hier in ein Dilemma: Zum einen haben wir die ethische Verpflichtung, besonnen zu konsumieren, um Ressourcen zu schonen und klimafreundlich zu handeln, zum anderen haben wir die moralische, offensichtlich staatsbürgerliche Pflicht zu konsumieren, damit unser Wirtschaftssystem nicht zusammenbricht.

      Weiterhin werden wir implizit „gezwungen“, die Missachtung unseres Grundgesetzes durch unsere Wirtschaftsweise zu ignorieren mit der Folge, dass wir uns meist unbewusst aber doch im Hintergrund mitschuldig fühlen an den vom Staat zugelassenen massiven Rechtsbrüchen,

       im Besonderen an GG § 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, § 2, Abs. 2. „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ und § 14, Abs 2 „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

      Wieso die Staatsmacht darin keine krasse Divergenz sieht, darüber mehr in Скачать книгу