EINSICHT in UNerhörtes. Dr. Manfred Nelting

EINSICHT in UNerhörtes - Dr. Manfred Nelting


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Fähigkeit zur Selbstkontrolle ausbilden konnten, zeigten im weiteren Leben im Alter zwischen 13 und 18 Jahren gehäuft Auffälligkeiten im Vergleich zu den Kindern, die eine gute Selbstkontrolle entwickelt hatten, z. B.:

      •häufiger Schulabbrüche

      •häufiger Schwangerschaften bzw. Schwängerungen

      •mehr Raucher

      Bei den Erwachsenen mit 32 Jahren fiel bei denjenigen, die als Kinder eine geringere Selbstkontrolle ausgebildet hatten, auf:

      •der körperliche Gesundheitszustand war schlechter

      •sie waren sozial schlechter gestellt

      •häufiger alleinerziehend

      •verdienten weniger

      •hatten häufiger finanzielle Probleme

      •waren häufiger drogenabhängig

      •und häufiger straffällig geworden.

      Diese Ergebnisse, durch die die Lebens-Chancen bei einem gesunden und glücklichen Leben der Kinder gut abgebildet sind, sind eine klare Aufforderung an alle Eltern, ihren Kindern eine gesunde Hirnentwicklung zu ermöglichen und für die Politik eine Verpflichtung, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Eltern diese Aufgabe meistern können! Außerdem ist dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft die jungen Menschen, die diese Liebe nicht erfahren konnten, nicht aufgibt, sondern ihnen zweite Chancen bietet, sich mit liebevoller Unterstützung hier heraus zu entwickeln.

       Kurze Zusammenfassung

      Kinder, die in liebevoller Umhüllung mit gesunder Hirnentwicklung und sicherer Bindung aufwachsen konnten, weisen folgende Merkmale auf:

      •Genügend lange Telomere bei der Vererbung

      •Stressarmes Wachsen im Mutterleib

      •Initiale Stillzeit, hohe Oxytocin-Ausschüttung

      •Dyadische Kommunikation

      •Unbehinderte Entwicklung des Gehirns

      •Gute Ausbildung und Training des ventralen Vaguszweigs

      •Angemessene Ernährung nach der Stillzeit

      •Vorbildfunktion der Eltern mit Medien

      •Sehr sparsame kindliche Medienerfahrung

      Diesen Kindern geht es in den allermeisten Fällen gut und sie sind in guter Gesundheit. Dies gelingt immer dann gut, wenn Eltern ihre Kinder lieben können, so wie sie sind. Dieser Satz endet mit einem Punkt! und nicht etwa mit einem Komma und einem dann folgenden „aber“ oder „wenn“. Darauf weist André Stern in seinen Vorträgen und Büchern immer wieder hin (siehe Literaturliste).

      Wir kommen auf diese Merkmalsliste in Kapitel 3 zurück, wenn wir uns die aktuelle reale Situation der Kinder in Deutschland anschauen.

      Jetzt in Kapitel 2 gehen wir erst einmal in der Übersichtsgrafik noch weiter zurück zu der Zeit der Eltern vor der Empfängnis, schauen uns ihre Verfassung an in Bezug auf ihre Gesundheit und ihre Kompetenzen und was es bedeutet, wenn sie Kinder bekommen.

Kapitel 2 ELTERN

       Kapitel 2 Eltern

      Eigene Erfahrung von über Jahre andauernder gelungener Partnerschaft zeichnet die Menschen aus (eines der Hauptmerkmale), die mit 50 Jahren von Zufriedenheit mit ihrem Leben berichten. Diese Menschen leben meist in guter Gesundheit.

      Dieses Kriterium lässt sogar die Prognose guter Gesundheit auch mit 75 Jahren sowohl körperlich als auch psychisch sehr verlässlich zu. (Harvard-Langzeitstudie zur Gesundheit seit 1938)5

      Prof. Robert Waldinger als Leiter der Studie betont, dass sich damit der Gesundheitszustand besser vorhersagen lässt als beispielsweise mit den Cholesterinwerten.

      (Zur häufigen Fehleinschätzung der Bedeutung von Cholesterinwerten siehe auch mein Buch „Schutz vor Burn-out“, S. 140f.).

      Auf mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland trifft „gute Gesundheit“ aber nicht mehr zu. Wie ist die gesundheitliche Verfassung der Deutschen?

      Wir schauen uns daher die Situation der Eltern bzw. der Menschen, die Kinder bekommen wollen, also vor der Empfängnis (in der Mitte der schon bekannten Abbildung) genau an.

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      Abb. 1: Phasen des Lebenslaufs von der Empfängnis bis zur Erwachsenenzeit

       2.1 Gesundheit und Erkrankungen in Deutschland

      Gesunde Eltern sind ein Geschenk für die Kinder, aber das können nicht alle Kinder erleben. Viele Eltern fühlen sich selbst nicht wohl, haben es schwer, ihr eigenes Leben zu meistern oder müssen mit eigenen Krankheiten fertig werden und einen Umgang damit finden.

      Fast die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung hat Bluthochdruck in verschieden starker Ausprägung. In unserem Gesundheitssystem gilt das nicht als großes Problem, da man den Blutdruck mit Medikamenten senken und ihn „einstellen“ kann.

      So „eingestellt“ ist das Problem weg, wie es jedenfalls scheint. Das stimmt allerdings nicht, denn ein längere Zeit erhöhter Blutdruck ist physiologisch eine manifeste Krise, weil die Regelung des Blutdrucks im Vegetativum ein grundsätzlich ganz stabiles System ist. Wenn es aus der Balance kommt, muss man sich die Ursachen anschauen.

      Und dann sieht man regelmäßig, dass ein nicht balancierbarer Anforderungsdruck im Alltag, woher er auch immer kommen mag, offensichtlich die physiologische Regelung zunehmend beeinträchtigt, beim Blutdruck und vielen anderen vegetativen und Stoffwechsel-Funktionen.

      Wird dies aber nicht als Krise gesehen, dann bleibt der Alltag unverändert, spitzt sich vielleicht sogar zu. Stress, insbesondere Dauerstress bei einem allgemeinen Anforderungsdruck, der die Bewältigungskräfte übersteigt, bildet dabei die dysfunktionale Grundlage der meisten sogenannten Zivilisationskrankheiten und insbesondere der Zunahme psychischer und psychosomatischer Störungen. Das schauen wir uns jetzt genauer an.

       2.1.1 Stress

      Dies können wir in der modernen Stress-Diagnostik (siehe Kapitel 5) sehr genau nachweisen. Bei Dauerstress (trotz „eingestelltem“ Blutdruck) kommen viele physiologische Regelungssysteme aus der Balance und wir sehen dann z. B. Burn-out, Depressionen, auch Diabetes Typ 2, die jeweils aktuell etwa jeden fünften der erwachsenen Bevölkerung betrifft (viele auch mit mehreren dieser Krankheiten, da es sich um eine gemeinsame Stress-Ursache handelt). Dass Depressionen oder auch Diabetes Typ 2 u. a. eine Stress-Ursache haben, ist dabei in der Bevölkerung gar nicht so bekannt.

      Das Stress-System ist seit Jahrtausenden speziell ausgelegt für Situationen, in denen man kämpfen oder fliehen muss. Wenn beides nicht geht, kann man sich noch „tot“-stellen. Früher waren die Gefahren klar und diese Entscheidungen überlebenswichtig. Wenn der damalige Mensch überlebt hatte, kehrte wieder Ruhe ein und das Stress-System ging in seine Ausgangs-Ruhelage zurück.

      Heute sind die Gefahren eher unterschwellig, sie sind vielfach nicht greifbar, aber diese unterschwellige Bedrohungsempfindung (Angst vor Arbeitsplatzverlust, Überforderung, digitales Ausspähen, empfundene Erniedrigung,


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