EINSICHT in UNerhörtes. Dr. Manfred Nelting
und kommen in ein frühes Burn-out.
Resilienz bei Kindern
Es gibt immer wieder unerwartet Kinder, die in armen und schwierigen, ja emotional rauen Verhältnissen aufwachsen und doch ihren guten Lebensweg mit ausreichender Selbstkontrolle machen. Auf der Suche nach den Gründen bzw. Schutzfaktoren, die ihrem Gehirn und ihrer Physiologie eine ausreichend gute Entwicklung ermöglichen, hat sich Folgendes ergeben:
•Sie haben einen meist gutmütigen Charakter
•Sie sind weniger stressempfindlich, vermutlich schon auf genetischer Basis
•Sie haben in ihrer Umgebung frühzeitig eine Person gehabt, die an sie geglaubt hat, sie okay fand und zu der das Kind Zugang hatte (Oma, Nachbarin, ältere Kinder, in einigen Fällen auch zutrauliche Tiere)
•Sie sind aufgrund ihrer stressunempfindlicheren Art in der Lage, die Situationen, die sie erleben, und die Wirklichkeit, in die sie gesetzt sind, erst einmal im Gehirn konstruktiv als für sie ausreichend okay einzudeuten.
Diese Kinder fallen in stabilen Familienverhältnissen oft nicht besonders auf und gelten als unkompliziert. In schwierigen Familienverhältnissen (wie beispielsweise Vater Alkoholiker oder Mutter depressiv bzw. umgekehrt), insbesondere bei Familien in Armut fallen diese Kinder dann in gutem Sinne auf, weil sie oft unerwartet ihren guten Weg machen.
Ihr Anteil kann bis zu 30 % der Kinder ausmachen, je nach sozialer Situation. Entscheidend für die Entwicklung ist aber hier auch die eine Person, die das Kind intensiv wahrnimmt und stärkt.
Die Hälfte aller Kinder liegt in ihrer Art zwischen den „Orchideen“ und den resilienten Kindern. Und sie sind ebenso wie die „Orchideen“-Kinder sehr auf die geschilderte Umhüllung in den ersten Jahren angewiesen. Auch resiliente Kinder brauchen dies natürlich für ihre beste Entwicklung, auch wenn sie in schwierigen Verhältnissen häufig doch noch eine hinreichende Selbststeuerung entwickeln können.
Weitere Forschung nötig
Viele wissenschaftliche Untersuchungen, auch solche in der Bindungsforschung, haben allerdings bei Kindern noch keine Untersuchungen zur Länge der Telomere gemacht bzw. machen können oder haben nicht differenziert nach hochsensiblen und resilienten Kindern. Insofern gibt es hier noch einen erheblichen wissenschaftlichen Nachholbedarf an integrativen Studien.
Die „genügend gute“ Mutter
Dieses Kapitel hat sicherlich gezeigt, wie unterschiedlich die Kinder auf die Welt kommen. Sie haben auch unterschiedliche Mütter und Väter und die Kinder fordern ihre Mütter und Väter auch unterschiedlich.
Es gibt dabei eben sehr pflegeleichte Kinder und andere, die als high-need-Babys benannt werden, weil sie kaum Trennungen von der Mutter vertragen, jede andere Nahrung als die Muttermilch verweigern und gerade die Mütter kolossal erschöpfen können.
Mir ist es dabei wichtig, darauf hinzuweisen, dass es das perfekte Verhalten der Mütter und Väter oder das überlegene Erziehungssystem nicht gibt und jede Familie eigene Erfahrungen machen wird. Hinweise einiger kluger Pädiater oder Entwicklungspsychologen sind hier zwar durchaus hilfreich, aber sie verweisen letztlich alle darauf, dass keine Mutter perfekt sein kann und alle mehrmals am Tag „Fehler“ machen. Fehler in Anführungszeichen, weil dies selten echte Fehler sind, sondern wir alle als Eltern in einem permanenten Lernprozess sind, der durch reflektierte „Fehler“ erst wirklich gut gelingt.
Der britische Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald Woods Winnicott hat den schönen und hilfreichen Begriff „der genügend guten Mutter“ eingeführt. Sie ist die beste Mutter, nicht die ideal gedachte oder perfekte Mutter. Und ich füge hinzu: Die Mutter, die versucht perfekt zu sein, ist für die Kinder und ihren Mann meist ein Graus und macht sich selbst unglücklich, weil sie ein unerreichbares Ziel verfolgt. Daher: „Genügend gut“ ist wunderbar!
Dies ist übrigens auch in vielen anderen Bereichen so: Der perfekte Chef, der nicht delegieren kann, kommt bald ins Burn-out. Ein Chef muss schon Vertrauen in seine Mitarbeiter haben, auch wenn er glaubt, hätte er es gemacht, wäre es noch besser geworden. Na und? Die Mitarbeiter wollen sich auch entwickeln und werden immer besser. Und wenn man ein Klavier perfekt sauber nach sogenannten reinen Sinustönen stimmt, klingt es eher scheußlich. Der erfahrene Klavierstimmer stimmt es so, dass ganz feine Schwebungen zu hören sind, Abweichungen von den Sinustönen, und dann klingt es wunderbar, das für das menschliche Ohr wohltemperierte Klavier!
1.6 Epigenetik
Die Gene, die im Zellkern auf den Chromosomen angeordnet sind, sind wie eine riesige Bibliothek aufzufassen. Aber da man nicht alle Bücher gleichzeitig lesen kann, ist immer nur ein Teil der Gene aktiv geschaltet. Diese Schaltung wird von speziellen Botenstoffen bewirkt, die in der Zelle und im Zwischengewebe gebildet werden, wenn der Bedarf an bestimmten Eiweißen steigt, also ein Mangel auftritt oder wenn sie nicht mehr so gefragt sind, also ein Zuviel vorhanden ist. Mangel oder Zuviel entsteht durch die Nutzung des Stoffwechsels in der jeweiligen Lebenssituation bzw. im Lebensstil. Insofern können Wirkungen aus der Umgebung Informationen bis in den Zellkern tragen, andererseits Schaltungen im Zellkern die Umgebung beeinflussen.
Zwei Beispiele zu den Vorgängen in der Epigenetik zur Veranschauung:
1.Apfelbäume können nicht einfach blühen. Die Gene, die die Ausbildung der Blüten bewirken, sind im Normalbetrieb erst einmal blockiert, also ausgeschaltet. Diese Blockade muss also aufgehoben werden, damit der Apfelbaum blühen kann und dies geschieht tatsächlich durch einige Tage Frost. Durch Frost wird die Blockade aufgehoben, dann können die dafür zuständigen Gene ihr vorgesehenes Werk, in diesem Fall also die Ausbildung der Blüten in Gang setzen. Das hat der Epigenetiker George Coupland, der an der Universität in Köln mit Pflanzen forscht, herausgefunden.3
Allerdings zeigt dies auch, dass wir falschliegen, wenn wir glauben, alles unter Kontrolle zu haben. Wir können nur hoffen und mit daran arbeiten, dass durch eine Begrenzung der Erderwärmung noch Frosttage stattfinden, damit es weiter Äpfel geben kann.
2.Wenn wir zur Erkältungszeit im Bus fahren und alles um einen herum niest und schnupft, dann kommt es darauf an, in welcher Emotion wir mitfahren, weil diese unsere Abwehrkraft epigenetisch mit beeinflusst. Denken wir an etwas Schönes, dann wird innerhalb von wenigen Minuten mehr vom Immunglobulin A im Speichel gebildet, ein wichtiger Immunstoff in unserer ersten Abwehrreihe gegen Viren. Fahren wir aber mit innerlichem Ärger oder mit negativen Bildern in unserer Vorstellung im Bus mit, dann sinkt der Immunglobulin-A-Spiegel ebenfalls innerhalb von Minuten und wir gewähren den Viren so freien Eintritt.
Die Lebensweise bewirkt nun epigenetisch ein bestimmtes Muster angeschalteter bzw. blockierter oder nur eingeschränkt verfügbarer Gene, und das bedeutet z. B. gute Regulation und Gesundheit oder ein Verlassen der regulatorischen Balance mit Verschlechterung von Funktionen und der Förderung von Krankheiten.
Wie kann man nun eine gesundheitsförderliche und eine krankheitsförderliche Lebensweise beschreiben?
Gesundheitsförderliche Lebensweise
Eine Orientierung für lebensförderliche Lebensweise kann man bekommen, wenn man sich das Leben in den sogenannten Blue Zones anschaut. Als Blue Zones sind fünf Gegenden in der Welt entdeckt und erforscht worden, in der überproportional viele Hundertjährige leben:
•Sardinien, Dörfer der Central Region von Barbagia
•Okinawa, japanisches Viertel
•Loma Linda, Kleinstadt in Kalifornien (Glaubensgemeinschaft)
•Ikaria, griechische Insel
•Nicoya, Halbinsel in Costa Rica.
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