Berge im Kopf. Robert Macfarlane

Berge im Kopf - Robert Macfarlane


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kam es, dass zum ersten Mal die intellektuelle Vorstellungskraft gefragt war beim Postulieren von Thesen über die Vergangenheit der wilden Landschaften der Erde. Durch die Burnet-Kontroverse wurde die Aufmerksamkeit auf das Erscheinungsbild der Berge gelenkt. Jetzt waren sie nicht mehr nur Tapete oder Hintergrund, sondern Objekte, die verdienten, dass man sie genauer betrachtete. Wichtig ist dabei auch, dass Burnet damals dafür sorgte, dass seine Nachfolger die Berge als furchtbar und aufregend zugleich wahrnahmen: Samuel Taylor Coleridge wurde beispielsweise von Burnets Prosa so aufgewühlt, dass er vorhatte The Sacred Theory in Blankverse zu übertragen. Und die Theorien des Erhabenen von Joseph Addison und Edmund Burke waren ebenfalls von Burnets Werk geprägt. Burnet sah und vermittelte das Großartige einer Berglandschaft und legte damit den Grundstein für eine ganz neue Betrachtungsweise der Berge.

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      Frontispiz zur zweiten Auflage von Burnets The Sacred Theory of the Earth (1691). Die sieben Erdkugeln stehen – chronologisch im Uhrzeigersinn – für die Stadien der Erdgeschichte, so wie sie in Burnets Buch beschrieben werden.

      Doch Burnet hatte wegen seiner Brillanz auch zu leiden. Cambridge hatte einen Cordon Sanitaire, einen Sperrgürtel, aufgebaut, um das Eindringen von schädlichen oder gegenläufigen Ideen zu verhindern. Burnet hatte aber mit der Infragestellung der Heiligen Schrift diese Sicherheitszone durchbrochen. Nach der Glorious Revolution (1686–1688), jenen Vorgängen, die zur Absetzung von König James II. und zur Krönung von William III. und Mary II. einschließlich der Verabschiedung der Bill of Rights führten, wurde Burnet gezwungen, seine Ämter am Hof niederzulegen und wurde bei der Vergabe des Amtes des Erzbischofs von Canterbury übergangen. Seine Reputation als Autor war aber nachhaltiger als seine vagen Verdienste als anglikanischer Geistlicher. Mit seiner These, das Antlitz der Erde müsse nicht immer gleich ausgesehen haben, löste Burnet die noch heute anhaltende Erforschung der Erdgeschichte aus. Im Vorwort seines Buches brüstet er sich damit, dass er »eine Welt wieder hervorgeholt habe, die seit Tausenden von Jahren in Vergessenheit geraten war!«. Er hatte allen Grund, sich damit zu brüsten, denn Burnet war der erste geologische Zeitreisende – ein Eroberer des entlegensten aller Länder: der fernen Vergangenheit.

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      Burnet hatte zwar infrage gestellt, dass die sichtbare Welt immer gleich aussah, aber er hatte nicht unterstellt, dass sie älter als jene 6000 Jahre sein könnte, die Ussher berechnet hatte. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das Alter der Erde maßgeblich älter eingestuft. Einer der bedeutendsten Abweichler von der orthodoxen Übereinkunft der »jungen Erde« war der selbstbewusste französische Naturhistoriker Georges Buffon (1707–1788). In seiner umfangreichen Allgemeinen Naturgeschichte (1749–1788) skizzierte Buffon einen Überblick über die Erdgeschichte, die er in sieben Epochen aufgliederte. Er schlug vor, dass jeder Tag der Schöpfung nur eine Metapher für einen wesentlich längeren Zeitraum sei. In der Öffentlichkeit schätzte er das Alter der Erde auf 75 000 Jahre, obwohl er spürte, dass diese Zahl zu konservativ war. Nach seinem Tod fand man in seinen Notizen die Schätzung von mehreren Milliarden von Jahren.

      Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten sich jene Denker, die sich für die Entstehungsgeschichte der Erde interessierten, in zwei Schulen mit unterschiedlichen Lehrmeinungen aufgesplittet, in die Anhänger der Kataklysmen – oder Katastrophen-Theorie und die des Aktualismus. Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Geologen des späten 19. Jahrhunderts, besonders aber Charles Lyell (1979–1875), zu Übertreibungen neigten, wenn sie darauf eingingen, wie sehr sich die Anhänger der beiden Lehrmeinungen intellektuell bekämpft haben. Dabei ist von Bedeutung, dass die Fronten zwischen ihnen, trotz ihrer unterschiedlichen Ansichten, nie klar abgesteckt wurden.

      Die Anhänger der Katastrophentheorie glaubten, dass die Entstehungsgeschichte der Erde von größeren geophysischen Revolutionen bestimmt war – von einer oder vielen »Götterdämmerungen« in der Vergangenheit, welche die Erde mit Wasser, Eis und Feuer heimgesucht und dabei fast jegliches Leben ausgelöscht hatten. Die Erde war demnach ein Friedhof, eine Nekropolis, in der unzählige, jetzt ausgestorbene Arten begraben sind. Hochwasser, globale Tsunamis, schwere Erdbeben, Vulkane, Kometen – Katastrophen wie diese hatten die Oberfläche der Erde erschüttert und bis zu ihrer aktuellen Form gebracht. Eine populäre Theorie des Kataklysmus über die Gebirgsbildung ging etwa davon aus, dass die Erde, die seit ihrem weißglühenden Ursprungszustand abkühlte, langsam an Volumen verlor und ihre Oberfläche in der Folge immer stärkere Falten bekam – genauso wie die Haut eines Apfels schrumpelig wird, wenn er austrocknet. Die Gebirgsmassive der Welt waren folglich nichts anderes als die Falten und Runzeln der irdischen Haut.

      Die Gegentheorie zu dieser Vision von den gewalttätigen Vorfällen in der Entwicklungsgeschichte der Erde wurde von den Aktualisten propagiert. Sie hielten dagegen, dass die Erde nie von globalen Katastrophen heimgesucht worden sei. Erdbeben, Vulkane, Überflutungen, ja, zweifellos hatte es diese Phänomene in der Erdgeschichte immer wieder gegeben. Dabei handelte es sich jedoch nur um lokale Katastrophen, welche die Landschaft nur in der Umgebung zerstört und neu geordnet hatten. Gewiss war die Oberfläche der Erde drastischen Veränderungen unterworfen worden – der Beweis dafür war in jedem Gebirgsmassiv oder an jeder Küstenlinie zu erkennen. Diese Veränderung war jedoch erstaunlich langsam verlaufen durch die Zug- und Druckkräfte, die auch jetzt noch an der Erdoberfläche tätig waren.

      Mit genügend Zeit, so argumentierten die Aktualisten, konnten die normalen Einsatzkräfte der Natur wie Regen, Schnee, Frost, Flüsse, Meere, Vulkane und Erdbeben die größten Effekte bewirken. Was die Anhänger des Kataklysmus also als Folge eines Unglücks betrachteten, war demnach das Ergebnis eines langsamen, andauernden Bodenkriegs. Der Grundpfeiler der Aktualismus-Theorie lautete, die Gegenwart sei der Schlüssel zur Vergangenheit. Mit anderen Worten: Man kann durch die genaue Beobachtung der gegenwärtig an der Erdoberfläche ablaufenden Prozesse Rückschlüsse auf die Geschichte der Erde ziehen. Das war eine Version der Idee vom steten Tropfen, der den Stein aushöhlt: Lass einem Fluss oder Gletscher genügend Zeit, und er wird einen Berg in zwei Hälften teilen. Zeit, viel Zeit, das war es, was die Aktualisten brauchten, damit ihre Theorien der Arbeitsprozesse aufgingen. Und so datierten sie die Entstehung der Erde viel weiter zurück, als es je zuvor in Betracht gezogen worden war.

      Der berühmteste unter den frühen Aktualisten, dem gewöhnlich die Vaterschaft der »Alten Geologie« zugerechnet wird, war der Schotte James Hutton (1726–1797). Hutton besaß eine intuitive Fähigkeit, physikalische Vorgänge umzukehren und Landschaften rückwärts zu lesen. Wie alle Begründer der Geowissenschaft war Hutton ein begeisterter Wanderer und zog jahrzehntelang kreuz und quer durch das schottische Hochland, wobei er versuchte, durch eine Mischung von Induktion und Imagination die Prozesse zu erahnen, die diese Landschaften in ihren gegenwärtigen Zustand gebracht hatten. Während er mit dem Finger über den weißen Quarz strich, der die grauen Granitblöcke in den engen schottischen Glens durchzog, wurde Hutton klar, was einst beim Aufeinandertreffen dieser beiden Felsarten geschehen war: Er »sah« wie der durch unglaublich hohen Druck geschmolzene Quarz sich seinen Weg in die Schwachstellen des Muttergesteins Granit gesucht hatte. Hutton zu folgen bedeutete, in einer Welt mit einer furchterregend weit zurückreichenden Vergangenheit zu leben. John Playfair, einer seiner Kollegen und Bewunderer, beschrieb in einem berühmt gewordenen Bericht, wie er einmal zusammen


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