Befreie dich durch Selbstliebe. Teal Swan

Befreie dich durch Selbstliebe - Teal Swan


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war ein intelligenter Mann, der seine Hilfe anbot – ein Experte noch dazu, der mir leidenschaftlich gerne helfen wollte. Deshalb hatten meine Eltern Vertrauen zu ihm.

      Meine Eltern machten sich nach wie vor Sorgen um mich und waren ziemlich verzweifelt, weil ich ständig unglücklich war und, wie sie sehr wohl wussten, keinerlei Freunde oder Freundinnen hatte. Inzwischen glaubten sie, dass mit mir ernsthaft etwas nicht stimmte, aber sie hatten keine Ahnung, was das war oder was sie hätten tun können. Sie sahen die roten Warnflaggen, aber interpretierten sie falsch, und während der Jahre, in denen ich in Docs Klauen war, wies ich viele aufschlussreiche Symptome auf.

      Ich verletzte mich mit Ritzen; wenn ich also mit Verletzungen nach Hause kam, die mir Doc oder ein anderes Sektenmitglied zugefügt hatte, wurde das als Selbstverletzung abgetan oder als Unfall mit den Pferden. Wenn mein Verhalten wegen der Drogen, die Doc mir eingeflößt hatte, wirkte, als wäre ich geistig verwirrt, oder wenn ich geistig oder stimmungsmäßig wegen meiner übersinnlichen Fähigkeiten seltsam drauf war, lautete die Erklärung, ich hätte eine schizoaffektive Störung.

      Wenn ich eine extreme Trennungsangst an den Tag legte, die weit über meinen derzeitig angemessenen Entwicklungsstand hinausging, und mich zurückzog und überhaupt keine Freundschaften schloss, schrieb man das meiner Schüchternheit zu. Wenn ich Essen in meinem Zimmer hamsterte, sagten meine Eltern, das wäre einfach nur eine Macke von mir. Und wenn ich nicht wie andere Kinder einfach spielte, sondern bei allen Aufgaben obsessiven Perfektionismus an den Tag legte, vor allem beim Sport, betrachteten sie das als Zeichen dafür, dass ich eine talentierte Perfektionistin sei.

      Wenn ich dunkle, gestörte Gedichte verfasste oder verstörende Bilder zeichnete, meinten sie, ich sei überempfindsam und das wäre auf ein anderes Kind aus der Schule zurückzuführen, das missbraucht wurde. Meine ständigen bakteriellen Entzündungen und Harnwegsinfektionen, Migräneanfälle und die schlimmen Magenschmerzen, die mich ins Krankenhaus brachten, wurden meinem schwachen Immunsystem oder einem hormonellen Ungleichgewicht zugeschrieben.

      Mit dreizehn wurde ich von einer Freundin meiner Mutter, einer examinierten Krankenschwester, untersucht, und sie entdeckte, dass mein Jungfernhäutchen nicht mehr intakt war. Sie fragte meine Mutter, ob ich bereits sexuell aktiv sei. Als meine Mutter das verneinte, erklärte sie das gerissene Hymen damit, dass ich seit Jahren ritt.

      Wie konnte dieser fürchterliche Missbrauch unentdeckt bleiben?

      Alle meine durch den Missbrauch hervorgerufenen Symptome als Kind und Teenager wurden also auf etwas anderes zurückgeführt, wie oben beschrieben, bzw. ich wurde als psychisch krank eingestuft. Meine Eltern dachten, ich hätte eine psychische Störung, die kein Psychologe oder Psychiater diagnostizieren konnte. Verstehen Sie mich richtig – mir wurden von jeder Menge Psychiatern und Psychologen Diagnosen gestellt, aber lauter unterschiedliche, denn meine Symptome passten zu keiner bestimmten psychischen Erkrankung.

      Mehrere Male wurde von den Psychologen auch der Verdacht auf sexuellen Missbrauch in den Raum gestellt, aber nachdem weder mein Vater noch meine Mutter als Täter infrage kamen, mussten sie wohl oder übel nach anderen Erklärungen suchen. Kein Mensch konnte sich vorstellen, dass eine andere Person, der meine Eltern vertrauten, der Täter sein konnte. Ich weiß nicht, ob überhaupt jemand auf die Idee kam; das war für sie so abwegig wie eine Entführung durch Außerirdische.

      Und die ganze Zeit hatte ich eine Riesenangst davor, Doc als Schuldigen zu nennen und mitzuteilen, dass ich komplett unter seiner Kontrolle stand. Je kränker und unglücklicher ich wurde, desto öfter kam er als »Retter in der Not« mit dem Vorschlag an, ich solle mehr Zeit mit ihm verbringen, er wüsste schon, wie er mir helfen könne. Aus Sicht meiner Eltern waren alle Erwachsenen um mich herum – einschließlich sie und Doc – ernsthaft darum bemüht, herauszufinden, was mit mir nicht stimmte, und eine Lösung zu finden.

      So ließen meine Eltern zu, dass Doc immer mehr Zeit mit mir verbrachte, denn sie waren verzweifelt auf der Suche nach Hilfe und nach jemandem, der mir zeigen konnte, wie ich mit meinem ungewöhnlichen Gehirn klarkommen konnte. Ich glaube, die Vorstellung, er könnte dank seiner starken Kontrolle über mich das alles direkt vor der Nase meiner Eltern machen, verstärkte Docs Erregung zusätzlich. Wie ein Süchtiger musste er immer mehr Täuschungen und Risiken eingehen, um dieselbe rauschhafte Erregung zu empfinden. Dasselbe galt für seine Grausamkeit – was wiederum die Gefahr für mich und meinen Schrecken noch verstärkte.

      Die Einzelheiten möchte ich Ihnen ersparen, nur so viel: Zwischen 6 und 19 Jahren wurde ich körperlich und sexuell in kultischen Ritualen gefoltert, vergewaltigt, mir wurde die Nahrung verwehrt, und ich wurde zu drei Abtreibungen gezwungen (Doc war in allen Fällen der Vater, und er führte auch die Abtreibungen durch). Es wurden sadomasochistische, pornografische Fotos von mir gemacht, die auf den Toiletten von Tankstellen an Männer verkauft und in Kellern und einem Loch im Boden auf Docs Hinterhof aufbewahrt wurden. Ich wurde mit Elektroschocks und Isolationsfolter gequält und über Nacht in Lavahöhlen im südlichen Idaho festgebunden.

      In dieser Zeit wurde ich von Doc ständig narkotisiert; er war Tierarzt und hatte unbegrenzten Zugang zu diesen Mitteln. Doc jagte mich auf »Verfolgungsspielen« durch die Wildnis von Idaho und Utah, und wenn er mich fing, musste ich entsprechend büßen (er brachte mir Schnitte am Brustkorb bei oder vergewaltigte mich). Und ich diente ihm als Köder für andere Kinder, die verletzt und manchmal auch getötet wurden.

      Durch einen Fehler öffnet sich die Tür in die Freiheit

      Mit 19 war ich nur noch eine leere Hülle. Ich war eine sogenannte Ritzerin und die meiste Zeit dissoziiert. Ich hatte Selbstmordversuche unternommen und war nach wie vor suizidgefährdet. 13 Jahre lang hatte ich geglaubt, meine Familie wäre nicht meine wirkliche Familie und mein Leben mit ihr wäre eine Fassade. Ich lebte mit dem Schuldgefühl, ich hätte ihrem wirklichen Kind sein Leben weggenommen. Ich hielt mich für schlecht und dachte, wenn ich jemandem von meinem »wahren Leben« mit Doc erzählte, würden sie alle brutal umgebracht.

      Meine Eltern hatten alles versucht, Hilfe für mich zu finden; sie waren erschöpft, verwirrt und völlig machtlos, wussten nicht, was sie mit mir machen sollten, und so hatten sie mehr oder weniger aufgegeben.

      Doch als ich 19 Jahre alt war, machte Doc einen Fehler – den ersten in 13 Jahren. Und zwar dosierte er eines der Betäubungsmittel, die er mir verabreichte, falsch. Er wollte mich so mit Drogen vollpumpen, dass er mich davon überzeugen konnte, ich hätte etwas getan, was ich gar nicht getan hatte. Doch durch die falsche Dosis erinnerte ich mich daran, dass das, was er mir da einreden wollte, nicht stimmte.

      Irgendwann war mein Kopf klar genug für den Gedanken: Wenn Doc da gelogen hat, was hat er mir dann wohl sonst noch für Lügen aufgetischt? Der einzige Grund dafür, dass er mir einreden wollte, ich hätte etwas getan, was ich gar nicht getan hatte, bestand darin, mir so viel Angst einzujagen, dass ich total machtlos und abhängig war. Diese Erkenntnis kam mir nach der Fehldosierung, und so hatte ich schließlich die Chance, die Flucht zu ergreifen, und die nutzte ich.

      Noch in derselben Nacht floh ich zu einem Mann, den ich nur zweimal vorher getroffen hatte. Er hieß Blake, und ich hatte ihn kennengelernt, als meine Mutter versuchte, mein nicht vorhandenes soziales Netzwerk zu erweitern. Sie war in Kontakt mit einer Familie, deren Sohn (nicht Blake, sondern ein anderer Junge) eine bipolare Störung diagnostiziert worden war. Meine Mutter dachte, wenn ich zu einem anderen psychisch gestörten Teenager eine Beziehung aufbauen könnte, würde ich mich weniger einsam fühlen.

      Ich war mit diesem neuen Bekannten zu einer Party gegangen, und als ich die Haustür aufgemacht hatte, wo die Party stattfand, hatte mich ein enthusiastischer, gertenschlanker junger Mann mit einem »Hallo« begrüßt, war in die Luft und über das Geländer in die Büsche gesprungen. Ich dachte damals: Was für ein Idiot.

      Doch als er wieder ins Haus zurückgekommen war und wir zum ersten Mal Augenkontakt hatten, waren seine Augen und seine Essenz so durch und durch sanft und er mir so vertraut, dass wir in dieser Nacht unzertrennlich waren. Irgendwann gingen wir mit ein paar anderen zum Nacktbaden in einen Stausee, und ich verspürte eine greifbare Kameradschaft. Ich wusste: Dieser Mann war so rein und unschuldig, ich konnte ihm vollkommen vertrauen.

      In der Nacht also, als


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