Befreie dich durch Selbstliebe. Teal Swan

Befreie dich durch Selbstliebe - Teal Swan


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wie eine Barbie-Puppe in mittleren Jahren aus. Als sie mich das erste Mal in meine Erinnerungen führte, damit ich mit meinem kindlichen Selbst interagieren konnte, weinte ich unaufhörlich. Ich sah, wie klein, verletzlich und rein ich war. Nachdem ich mich so lange verdorben und schmutzig gefühlt hatte, war es für mich ein Schock, diese verletzliche und unschuldige Seite von mir zu sehen.

      Eine schockierende Begegnung mit mir selbst

      Zunächst hatte ich Angst vor meinem kindlichen Selbst. Beim mentalen Kontakt hatte ich Angst davor, dieses kleine Mädchen zu berühren. Ich musste mir Engel oder Kriegerprinzessinnen vorstellen, die es vor ihren Erinnerungen, in denen es gefangen war, retteten und es trösteten. Mit der Zeit gewann ich so viel Vertrauen, dass ich mir vorstellen konnte, wie ich selbst mein kindliches Selbst in den Armen hielt. Ich nahm Verbindung mit meinem inneren Kind auf und begann, dieses Kind zu lieben. Für mich ist die Arbeit mit dem inneren Kind die vielleicht beste emotionale Heiltechnik, die je entdeckt worden ist. Dabei wird nicht nur ein Symptom angegangen, sondern die Ursächlichkeit des emotionalen Traumas modifiziert. Doch mein Respekt für diese Arbeit sollte noch weiter steigen.

      Wie mir vor einigen Jahren klar wurde, geht das innere Kind mit dem physischen Erwachsenwerden nicht weg, bei niemandem – es wohnt immer in uns. Ich dachte mir, alles, was ich mir selbst antue, tue ich letztendlich auch meinem inneren Kind an. Wie fast alle Menschen mit Selbstverletzungstendenzen hatte ich einen »rituellen Ort«, an dem ich mir die Schnitte zufügte. Bei mir war das die Badewanne. Ich durchwühlte meine alten Fotos in der Garage, suchte nach einem Kinderbild von mir, auf dem ich ganz besonders unschuldig und liebenswert aussah, und befestigte dieses Bild an den Kacheln neben meiner Badewanne.

      Und tatsächlich verspürte ich eines Tages erneut ein wahnsinniges Verlangen, mich zu ritzen. Ich ging ins Badezimmer, sperrte die Tür zu, zerbrach eine Glastasse und nahm mir das größte Stück Glas, das ich finden konnte. Ich stieg in die Badewanne und sah mich selbst als kleines Kind auf dem Foto. Zuerst war ich fast wütend über die Last der Verantwortung, die ich beim Anblick dieses Bildes verspürte. Ich brauchte Erleichterung, aber dieses kleine Kind auf dem Bild schaute mich mit so unschuldigen Augen und so voller Vertrauen an – und ich war dabei, dieses Vertrauen zu enttäuschen und diese Unschuld zu zerstören.

      Ich überlegte mir: Was machte ich da im Hinblick auf »Alles, was ich mir antue, tue ich meinem inneren Kind an?« Ich sah geistige Bilder, wie dieses kleine Mädchen spielte und kicherte, sah, wie ich seinen winzig kleinen Arm ergriff und mit der Glasscherbe darüberfuhr, bis es blutete. Ich stellte mir vor, wie es weinte, sein Ärmchen von mir wegzog und einfach nicht verstand, womit es das verdient hatte.

      Ich fühlte mich wie eine Kinderschänderin und brach angesichts der Tragödie, die ein solches Handeln verursachen würde, in Tränen aus. Es war, als ob ich mich wieder mit der Unschuld und dem Vertrauen verband, welche, als ich ein Kind war, in mir zerstört worden waren. Ich konnte mich als Erwachsene verletzen. Aber einem Kind konnte ich nicht wehtun. Ich ließ die Scherbe in die Badewanne fallen, schaute das Foto an und weinte. Mein Körper verlangte immer noch danach, verletzt zu werden, aber ich brachte es nicht fertig.

      Durch den Kontakt mit meinem inneren Kind erkannte ich die Tragödie meines Lebens und konnte mich als verletzten anstatt als schlechten Menschen betrachten. Jahrelang hatte ich gedacht, bei mir wäre alle Mühe vergeblich und ich könnte nicht geheilt werden; doch jetzt sah ich, dass meine Unschuld nicht wegging. Sie war wie ein winziges Flämmchen eines Streichholzes, das zwar flackerte, aber nicht verlosch.

      Ich fand das mir innewohnende Gute wieder, den Teil von mir, der von diesen Leuten, die alles andere an mir verletzt und zerstört hatten, nicht verletzt werden konnte. Nach und nach beelterte ich mich neu. Ich liebte mein inneres Kind und sorgte für es, und so lernte ich, mich selbst zu lieben und mich um mich zu kümmern. Letztendlich befreite ich mich dadurch aus einer Sucht, mit der ich über 20 Jahre gekämpft hatte.

      Kapitel 4

      Meinen Sinn finden

      Die große Abkürzung

      Zu Beginn meiner Reise wurde ich, wie ich zugeben muss, oft eifersüchtig, wenn ich Leute beobachtete, die sich selbst liebten; ich saß da und machte ein finsteres Gesicht. Wer sich selbst und sein Leben hasst und dann auf Menschen trifft, die sich putzmunter und glücklich ihres Lebens erfreuen, würde diese Leute zunächst einmal am liebsten umbringen. Das klingt vielleicht arg hart, aber Sie wissen schon, was ich meine.

      Ich nahm es übel, wie sie nach Lust und Laune Entscheidungen trafen, die für sie am besten passten, als ob das so einfach wäre. Doch dann ging mir auf: Vielleicht ist es eben so einfach. Vielleicht machten wir anderen es uns schwer. Wie mir klar wurde, hatte ich die lange Straße genommen, um mich gut zu fühlen. Diese Leute dagegen, die sich selbst liebten, nahmen die Abkürzung. Ich war auf der Jagd nach Glück, doch sie entschieden sich dafür.

      Ich hatte keine Ahnung, was mich glücklich machen würde, ebenso wenig, was meine Lebensaufgabe bzw. der Sinn meines Lebens war. Doch inzwischen kenne ich die Wahrheit: Auf dem Weg zum Glück und zum Sinn des Lebens gibt es so etwas wie eine falsche Entscheidung nicht, denn es geht dabei nicht nur um eine Sache. Sein Glück und seinen Lebenssinn zu finden hat mit allen Entscheidungen zu tun. Zum besseren Verständnis folgen hier ein paar Beispiele aus meinem Leben.

      In jüngeren Jahren wollte ich ein professionelles Model werden. Auf den ersten Blick ergab das überhaupt keinen Sinn. Ich war eine Denkerin und ein Wildfang, extrem introvertiert und verbrachte fast meine gesamte freie Zeit mit Schreiben.

      Mit der Zeit ergab dieser Beruf sogar noch weniger Sinn. Ich hasste ihn. Es war ein erbarmungsloses, seichtes, unangenehmes Geschäft. Mein Versuch, in die Welt der Models zu passen, war wie der Versuch, einen viereckigen Zapfen in ein rundes Loch zu stecken. Doch wie ich inzwischen weiß, gibt es so etwas wie Fehler nicht, deshalb war dieser Schritt, so wenig er passte, dennoch auf vielerlei Art wertvoll. Meine Lebensberufung war das allerdings ganz bestimmt nicht.

      Die Wahl zwischen College und Wurzelbehandlung

      2006 war ich nach wie vor auf der Suche nach meinem Weg und entschied mich, das College zu besuchen und Philosophie als Hauptfach zu studieren. Ich stammte ja aus einer sehr gebildeten Familie und war davon überzeugt, mit einem College-Abschluss würde ich glaubwürdiger sein und mehr respektiert werden …, allerdings gab es da ein Problem. Ich hasse Unterricht. Ich saß in den dunklen Hörsälen, hörte den Vorlesungen zu und fühlte mich wie bei einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. Es war einfach schrecklich.

      Beim Anblick all der anderen Gesichter fragte ich mich, ob nur Leute Philosophie studieren, die, so wie ich, depressiv, passiv suizidal und verzweifelt auf der Suche nach einem Sinn im Leben sind. Nach einem Monat schwante mir, dass ein solcher Abschluss in Philosophie mir nie im Leben etwas nützen würde. Wenn wir erst einmal mit dem Studium fertig wären, würde uns kein Mensch dafür bezahlen, herumzusitzen und zu denken.

      Ich fragte mich: Warum wünsche ich mir eigentlich Glaubwürdigkeit und Respekt? Die Antwort lautete: Es würde sich gut anfühlen. Plötzlich ergab ich für mich selbst keinen Sinn mehr. Da saß ich im College, fühlte mich miserabel und hasste jede Minute, weil ich mich gut fühlen wollte? Anders ausgedrückt: Ich fühle mich jetzt schlecht, weil ich denke, dass ich mich dadurch irgendwann mal gut fühle? Ich brachte da wohl etwas durcheinander.

      Als Philosophiestudentin wusste ich natürlich meistens, wie solche geistigen Rätsel einen Sinn ergeben. Doch egal, von welcher Seite ich es betrachtete: Dies war überhaupt nicht sinnvoll. Anstatt direkt das in Angriff zu nehmen, wodurch ich mich gut fühlte, versuchte ich es mit einem Umweg. Also fragte ich mich: Was würde jemand, der sich selbst liebt, wohl tun?

      Und sofort wusste ich die Antwort: Eine solche Person würde das, was sich gut für sie anfühlt, auf der Stelle tun.

      Was fühlt sich für mich gut an? Wintersport. Ich liebte das Freiheitsgefühl, wenn ich auf meinen Schlittschuhen über die glatte Eisfläche glitt. Ein Jahr zuvor hatte ich es zwar ins U.S. Telemark Ski-Team geschafft, fand aber keinen Sponsor für meine Karriere als Skirennläuferin; also tauschte ich meine Skier offiziell gegen Schlittschuhe ein. Ich dachte, ich würde eine konkurrenzfähige


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