Befreie dich durch Selbstliebe. Teal Swan

Befreie dich durch Selbstliebe - Teal Swan


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sondern lieber die Ursache. Das schien ihr nicht zu gefallen. Ich fragte sie, ob sie wirklich bereit sei, tief in sich hineinzugehen und herauszufinden, worin das Problem bestand. Sie nickte wie jemand kurz vor einem Bungee-Sprung.

      Ich bat sie, so zu tun, als lebte sie in einer Welt, in der körperliche Beschwerden von schwierigen emotionalen und psychischen Problemen hervorgerufen würden. Dann fragte ich sie: »Was ist bzw. war für dich psychisch oder emotional belastend und schwierig, als die MS-Symptome das erste Mal auftraten?« Ich wollte herausfinden, wie bewusst ihr der Einfluss ihrer Vergangenheit auf ihre emotionale Befindlichkeit war.

      Sie antwortete: »Na ja, ich habe das Gefühl, ich sterbe. Es ist, als ob mein Körper keine Nahrung mehr aufnimmt. Ich werde immer dünner und weiß nicht warum.«

      Ganz sanft fragte ich sie: »Willst du leben?«

      Sie schaute mich geschockt an, war ein paar Minuten lang erst einmal ganz still, um ihre Emotionen zu unterdrücken, und begann dann zu weinen.

      »Nein!«, jammerte sie.

      Ich kniete mich neben ihrem Stuhl nieder und hielt sie im Arm, während sie heftig schluchzte. Als sie so weit war, erzählte sie mir, sie sei furchtbar einsam, aber sie könne einfach mit niemandem eine enge Beziehung aufbauen und habe eine Zeit lang schon geglaubt, sie wäre lesbisch, weil sie vor Männern eine solche Angst hatte.

      Ich fragte sie: »Weißt du, warum du Männern gegenüber solche Gefühle hast, Linda?«

      »Na ja, mein Papa hat immer mit mir geschlafen, als meine Mama schwanger war.«

      Ich sagte zu ihr: »Das allein reicht schon aus.«

      Wieder begann Linda zu weinen; wie sie erzählte, war das die einzige Zeit, in der beide Eltern ihr Anerkennung entgegengebracht hätten, und sie fühle sich schuldig, weil sie sich so fühlen wollte. Ihr Vater schlief mit ihr und sagte ihr dann, sie sei so hübsch, deshalb halte er es einfach nicht in seinem eigenen Bett aus. Sie sei sein Lieblingskind, meinte er, und das sei ihr kleines Geheimnis.

      Ich erklärte ihr, dass der Wunsch nach seiner Zuneigung, auch wenn sie vor ihm Angst hatte, bei einem sexuellen Trauma völlig normal ist. Dann fragte ich sie, welche Gefühle sie sich selbst gegenüber hegte.

      »Ich bin okay«, antwortete sie.

      »Möchtest du wissen, was ich glaube?«, fragte ich sie. »Ich glaube, du hasst dich selbst und wünschst dir, nie geboren worden zu sein.«

      Wieder begann Linda zu schluchzen. »Ja, du hast recht«, gab sie zu. Wie bei so vielen Menschen, die Missbrauch überlebt haben, hatte sie die Schuld verinnerlicht, und Selbstverachtung war zu ihrer zweiten Natur geworden.

      Wie Krankheit die Kontrolle übernimmt

      Im Laufe der nächsten Stunde teilte ich Linda alles mit, was ich über sie wahrnahm, und bestätigte ihr, mit ihrem Gefühl, sie würde sterben, liege sie richtig. Ich erklärte: Wenn jemand nicht wirklich leben möchte, weil sein Leben so schwierig ist, fällt der Körper aus. Das ist so eine Art passiver Selbstmord. Linda hatte nicht nur MS, sondern ihr Körper hungerte sich selbst langsam zu Tode.

      Ich erklärte weiter: MS ist eine Krankheit, von der Menschen befallen werden, die für alle Menschen alles sein wollen, weil sie überzeugt sind, das sei die einzige Möglichkeit, geliebt zu werden. Der Stress und der Druck sind zu viel, und da sie auch nicht um Hilfe bitten, macht ihr Körper irgendwann schlapp und zwingt sie, kürzer zu treten und sich von anderen helfen zu lassen. Ich sagte Linda, das sei eine Botschaft, damit andere Leute die Verantwortung für das Leben dieser Menschen übernehmen, und für sie, um sich nur noch auf sich zu konzentrieren.

      Lindas Problem war die fehlende Selbstliebe. Da sie sich selbst nicht liebte, konnte sie auch von anderen Menschen keine Liebe annehmen. Auf einer energetischen Ebene ist der Versuch, ein Leben ohne Liebe zu leben, wie ein Körper, der versucht, ohne Wasser zu leben.

      Gemeinsam entwickelten wir ein überschaubares Programm mit täglichen Übungen, bei denen es im Wesentlichen um Selbstliebe geht.

      Sei es nun, weil sie dazu bereit war oder aus Verzweiflung – auf jeden Fall kam Linda sechs Monate lang alle zwei Wochen zu mir. Sie hat alle die in diesem Buch dargelegten Prozesse angewandt. Sie lernte, jede Entscheidung auf Selbstliebe zu gründen. Und nur ein Jahr später war sie ein völlig anderer Mensch. Ihr ganzes Leben hatte sich verändert.

      Die große Macht der Selbstliebe

      In der Woche nach unserem ersten Treffen erzählte mir Linda am Telefon, sie habe ihren Kleiderschrank durchforstet und gemerkt, dass sie nur schwarze und braune Kleidung trug. Daraufhin setzte sie sich im Schlafzimmer auf den Boden, vor sich ein Bild mit einer Farbpalette, und fragte sich: Was würde jemand, der sich selbst liebt, tun? Dabei blickte sie auf die Farbpalette und fühlte sich sofort von dem Farbmuster Pastellrosa angezogen.

      Wie sie mir gestand, hatte sie Rosa eigentlich nie gemocht. Doch in Wirklichkeit hatte sie die Farbe mit eher »mädchenhaften« Mädchen assoziiert, die, wie sie ja wusste, verletzlich waren. Und das wollte sie nicht, also lehnte sie Rosa ab. Und weil sie sich nie wieder verletzlich fühlen wollte, lehnt sie auch Männer und alle ihre femininen Aspekte ab, ebenso ihre Persönlichkeit, und sie hatte sich sogar für einen, wie sie meinte, männlichen Job entschieden.

      Zwei Wochen nach unserem ersten Treffen gestand mir Linda, sie habe gemerkt, dass sie ihre Arbeit eigentlich schon immer hasste: in der Hitze herumzustehen und die Verkehrsabgase einzuatmen, von Autofahrern angeschrien zu werden. Also kündigte sie und beschloss, ihre wahre Leidenschaft gelte den Pflanzen.

      Drei Wochen nach unserem ersten Treffen kam sie zu mir und fing zu weinen an, sobald ich die Tür aufmachte. Sie erzählte: »Das ist das Schwierigste, was ich je im Leben gemacht habe. Ich musste alles verändern – und ich meine wirklich alles –, und so langsam wird mir klar, dass ich nicht einmal weiß, wer ich eigentlich bin.«

      Eine solche Reaktion ist ganz normal. Zunächst fühlt es sich gut an, wenn man sich nach jahrelanger Vernachlässigung endlich wertschätzt. Doch das heißt auch, sich auf eine Welt voller Unsicherheiten einzulassen und so gut wie alles, was man der eigenen Meinung nach gewünscht und gewollt hat, aufzugeben und sich dafür ein brandneues Leben einzuhandeln.

      Ganz von vorn anzufangen ist nicht einfach, ja es kann in echte Quälerei ausarten. Doch wie Linda herausfand, kommt der Schmerz, sein Leben im Namen der Selbstliebe umzuschreiben, nie an den Schmerz heran, der dadurch verursacht wird, dass man von seinem wahren Selbst abgespalten ist und nur halb lebt.

      Das erste Jahr arbeiteten wir miteinander. Linda zog nach Kalifornien, um nahe am Meer zu sein. Sie lieh sich Geld und kaufte sich davon ein kleines Stück Land, wo sie in einem Hauszelt lebte. Sie baute Heilpflanzen an und eröffnete schließlich einen Online-Shop für den Verkauf ihrer natürlichen Körperpflegeprodukte.

      Zwei Jahre später wurden ihre Produkte in einer Bioladenkette angeboten, und sie konnte sich den Kauf einer kleinen Farm leisten. Ihr Haar begann nachzuwachsen, und sie fand eine für sie stimmige Ernährungsweise, sodass sie auch etwas Gewicht zulegte. Sie lernte einen Mann kennen, der bei ihr immer frische Kräuter für sein kleines Restaurant in der Nähe kaufte. Die beiden heirateten, und trotz Lindas Zweifel hinsichtlich ihrer Empfängnisfähigkeit bekam sie vor Kurzem ein Kind. Und zum großen Erstaunen ihrer Ärzte hat sie seit über einem Jahr keinerlei MS-Symptome mehr.

      Lindas Fall ist nur ein Beispiel dafür, was passieren kann, wenn man sich selbst genug liebt – sich so liebt, dass es einem nicht egal ist, wie man sich fühlt, und man seine Gefühle so wichtig nimmt, dass man die richtigen Lebensentscheidungen trifft. Linda veränderte ihr Leben nicht, weil jemand anderes sie heilte. Sie entdeckte auch kein Wunderheilmittel. Aber sie war mutig und gab sich selbst das, was sie, wie sie immer gemeint hatte, hätte von anderen bekommen müssen. Sie war so mutig, dass sie alles riskierte, um zu lernen, sich selbst zu lieben.

      Kapitel 5

      Synchronizität

      Ein Punkt, an dem das Leben eine andere Richtung nimmt

      Kaum ein Jahr nach meiner Flucht vor Doc hatte ich


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