Befreie dich durch Selbstliebe. Teal Swan

Befreie dich durch Selbstliebe - Teal Swan


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mir seine »Hacky Sac«-Sammlung zeigen wollte. Blake und auch seine beiden Mitbewohner waren in dieser Nacht nicht zu Hause. In meiner Verzweiflung brach ich durch ein Fenster ein, und die einzige Möglichkeit, mit meiner Not fertig zu werden, bestand für mich darin, mich zu ritzen.

      Als Blake nach Hause kam, fand er mich zu seinem großen Entsetzen in seiner Badewanne, während Blut den Abfluss hinunterlief. Er machte mich sauber, verband die Schnitte und sagte, ich solle bei ihm bleiben. Und genau das tat ich. Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, Doc für immer zu entkommen; diese Möglichkeit kam mir gar nicht in den Sinn. Aber ich blieb einen Tag bei Blake, und dann noch einen, bis schließlich eine Woche und dann ein ganzer Monat vergangen waren. Ich wollte nie mehr zurück. Ich versteckte mich.

      Bei Gelegenheit erzählte ich meinen Eltern, bei wem, aber nicht, wo ich war. Anfangs wusste Blake nicht, warum ich offensichtlich so beunruhigt und gequält war, und zum Glück fragte er mich auch nicht danach. Aber er sorgte so treu und hingebungsvoll für mich, dass es mir allmählich besser ging und ich langsam aus meiner emotionalen Hölle herausfand.

      Kapitel 3

      Meine erschütternde Reise zur Selbstliebe

      In meinem selbst gemachten Gefängnis

      Schließlich erzählte ich Blake die ganze Geschichte meiner Kindheit, von Doc und den Kulten; daraufhin engagierte er sich noch mehr in meinem Heilungsprozess. Als ich sicher bei Blake angekommen war und mich bei ihm verstecken konnte, wusste ich, dass weder Doc noch ein anderes Sektenmitglied nach mir suchen würde, denn das hätte gegen die Regeln des »Bondings« und der »Call Back«-Programmierung verstoßen, die sie mir über die Jahre eingepflanzt hatten. Wenn sie nach mir hätten suchen müssen, wäre das für sie ein Manko gewesen und hätte auch bedeutet, dass ich die Kontrolle hatte. Sie verließen sich darauf, dass ich aufgrund meiner Programmierung willig wie ein entlaufener Hund zu ihnen zurückkommen würde. Aber das tat ich nicht. Langsam eroberte ich mir Schritt für Schritt mein Leben zurück. Bestimmte Leute und Aktivitäten halfen mir, zum ersten Mal so etwas wie Selbstwertgefühl zu entwickeln; das war allerdings keineswegs einfach und unkompliziert.

      Ein paar Jahre nach meiner Flucht wurde gegen Doc ein Verfahren eröffnet. Doch wie bei so vielen Missbrauchsfällen war inzwischen für mich zu viel Zeit vergangen, sodass körperlich kaum noch etwas nachzuweisen war. Es gab weder greifbare Beweise noch Zeugen, und so wurde der Fall von der Bezirksstaatsanwaltschaft aufgrund mangelnder Beweise fallen gelassen. Zusätzliche Beweise oder Zeugen wären nötig gewesen, damit der Fall wieder vor Gericht hätte kommen können.

      Man könnte meinen, die Geschichte wäre damit zu Ende. Doch körperlich einer Situation zu entkommen ist keineswegs das Ende des Heilungsweges; diese Straße geht noch sehr viel weiter. Ich war zwar der Kontrolle meines Peinigers entronnen, aber ich war nach wie vor nur eine leere Hülle. Ich hatte kein eigenes Leben, sondern nur die Bruchstücke eines Lebens, wie es hätte sein können. Als junge Frau hatte ich keine Ahnung, wie ich mich in der Gesellschaft zurechtfinden konnte. Ich war nicht »lebenskompetent«, litt unter schweren posttraumatischen Belastungsstörungen und war voller Selbsthass.

      In Wirklichkeit war mein Peiniger durch meine Flucht keineswegs verschwunden; vielmehr setzte er sich in meinem Kopf fest, und ich führte das Muster des Missbrauchs selbst weiter. Ich war süchtig nach Ritzen und nach wie vor selbstmordgefährdet. Fast jede Entscheidung, die ich damals bezüglich meines Lebens traf, diente der Selbstsabotage und nicht der Selbstliebe. Ich war davon überzeugt, ich müsste mich selbst missbrauchen, sonst würde das Schlechte in mir über das Gute siegen und ich würde ein genauso schlimmer Mensch werden wie die Peiniger meiner Kindheit. Ich glaubte wirklich, dass der einzige Unterschied zwischen ihnen und mir ledigleich in meiner Selbstbestrafung bestand.

      Blake, der für die ersten Schritte meines Heilungsprozesses eine so entscheidende Rolle spielte, wurde zu meiner rechten Hand, als ich mir eine berufliche Zukunft aufbaute. Wir haben eine Firma und eine Non-Profit-Organisation gegründet und helfen heute gemeinsam Menschen in aller Welt, positive Veränderungen zu bewirken. Der Weg dahin war jedoch sehr weit, und die Reise in mein neues Leben war alles andere als einfach. Ich musste eine Möglichkeit finden, mich selbst zu lieben. In diesem Buch stelle ich ein Toolkit, also einen »Werkzeugkasten«, mit Techniken und Methoden vor, mit deren Hilfe ich mein Leben verändern konnte.

      Durch Therapie zu einem neuen Leben

      Mit 21 wurde ich zu einer Therapie gezwungen, und zwar von einem Mann, mit dem ich zusammen war und der es einfach nicht mehr schaffte, mit mir eine stabile Beziehung zu führen. Die Nachwirkungen des Missbrauchs in meiner Kindheit machten das gar zu schwer. Er sah mich an und sagte: »Das ist einfach nicht normal; was du mitgemacht hast, ist nicht normal, und das musst du verstehen. Ich bleibe nur mit dir zusammen, wenn du dir professionelle Hilfe suchst.«

      Er brachte mich zu einem Krisenzentrum für Vergewaltigungsopfer und sagte der Frau am Empfang: »Sie gehört hierher.« Die Direktorin wurde gerufen, sie führte mit mir ein Gespräch und fragte, warum mein Freund meiner Meinung nach wohl glaubte, ich sei hier am richtigen Platz. Ich öffnete mich und erzählte ihr von den Leiden meiner Kindheit. Ihr Gesicht wurde angespannt, und sie wurde ganz unruhig, als ich ihr nur ein paar wenige Einzelheiten mitteilte.

      Sie versicherte mir, ich bräuchte tatsächlich ihre Hilfe, aber mit dem, wovon ich da sprach, seien sie und auch das Zentrum überfordert. Aber sie kannte eine Frau, die auf rituellen Missbrauch an Kindern spezialisiert war, und versprach, sie anzurufen und zu fragen, ob sie meinen Fall übernehmen würde.

      Noch in derselben Woche traf ich mich zum ersten Mal mit der Expertin. Sie war äußerst warmherzig und liebevoll, ganz anders als die Psychologen, die ich sonst so gewohnt war. Diese Zuneigung und ihr großes Wissen über Traumabehandlung rissen alle meine Mauern ein, und gemeinsam mit ihr begann ich, mir ein neues Leben aufzubauen.

      Durch die Therapie konnte ich irgendwann zugeben, dass ich den als Kind erlittenen Missbrauch nicht verdient hatte und keine Schuld daran trug. Doch mit 24 erkannte ich, dass ich das Ende dessen erreicht hatte, was durch Therapie möglich war. Ich wusste tief in mir, es musste noch etwas anderes geben als Mitleid oder das Gefühl, ein Opfer zu sein, mehr als den Versuch, mit meiner posttraumatischen Belastungsstörung fertig zu werden.

      Von Ihrem Standpunkt als Leser aus betrachtet, klingt das vielleicht schrecklich, aber für mich war Selbstmord meine Ausstiegsstrategie. Ich lebte von einem Tag zum nächsten, indem ich mich immer wieder daran erinnerte, dass ich mich morgen ja umbringen könnte. Dadurch konnte ich mich auf das konzentrieren, was ich am jeweiligen Tag tun konnte, um mich besser zu fühlen. Und ich tat alles dafür. Mich wohlzufühlen wurde zur wichtigsten Sache meines Lebens.

      Also stürzte ich mich in den Wintersport, übte mich als Köchin, fand Plätze, an denen ich in Sicherheit leben konnte, und begann mit dem Meditieren. Langsam veränderte sich mein Mantra von »Ich kann mich ja morgen umbringen, was mache ich also heute?« hin zu »Ich kann mich ja nächstes Jahr umbringen, was mache ich also in diesem Jahr?«.

      Irgendwann erkannte ich, dass ich mich nicht mehr umbringen wollte. Ich hatte zwar nach wie vor mit Suizidneigungen zu kämpfen, aber die gingen vorüber und setzten sich nicht mehr dauerhaft in meinem Leben fest.

      Nachdem ich dem Missbrauch entronnen war, wollte ich mit meinen übersinnlichen Fähigkeiten nichts mehr zu tun haben. Ich machte Wintersportwettkämpfe mit, um sie zu vermeiden. Ich versuchte, mich so gut wie möglich in der physischen Welt zu erden. Gelegentlich half ich mit meinen übersinnlichen Gaben zwar nach wie vor Leuten, wenn sie verzweifelt waren, aber für mich waren diese Fähigkeiten an all den Schmerzen schuld, die ich erdulden musste, und dass ich sie nicht loswerden konnte, war eine Qual für mich. Immer noch hatte ich furchtbare Angst vor der Welt.

      Auf der Suche nach Liebe aus falschen Gründen

      Weil ich mir Sicherheit und Fürsorge wünschte, heiratete ich mit 22 einen Mann, den ich nicht liebte. Diese Ehe ging in die Brüche und wurde nach sechs Monaten annulliert. Noch im selben Jahr heiratete ich ein zweites Mal, wieder aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus. Was mir damals nicht klar war: Ich benutzte die Männer, um zu versuchen, vor mir selbst wegzulaufen. Ich wollte in Sicherheit gebracht werden, nicht nur vor der Welt, sondern auch vor mir


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