Ich muss fast nichts und darf fast alles!. Richard Kaan
komplett zusammenbrechen würde.
Ein paar Seiten weiter erfuhr ich jedoch von rüstigen 100-Jährigen auf höchsten Bergen oder Methusalems, die solo auf dem Fahrrad die Wüste Gobi durchquerten. Und die Top-Meldung war kürzlich eine 70-Jährige, die einen Sohn zur Welt gebracht hatte. Es hieß, es sei ihr erstes Kind!
Über meine eigene Zukunft hatte ich mir wenig Gedanken gemacht, denn ich bin seit rund 40 Jahren selbstständig. Da war so etwas wie Ruhestand nie eine Überlegung. Ich möchte auch heute noch weitere 15–20 Jahre arbeiten. Sicher nicht im selben Tempo wie bisher und nicht im gleichen Umfang, doch immer so, dass ich positiv mit dem beschäftigt bin, was ich gerade mache. Und dann kam die Idee zu diesem Buch, was dazu führte, dass ich mich intensiv mit dem Altern auseinandersetzte. Ich las viele Bücher und sprach mit interessanten Menschen. Ich bat manche von ihnen mir ein paar Zeilen zu diesem Thema zu senden und hiermit bedanke ich mich herzlich bei all jenen, die das taten. Waren die Texte Englisch, habe ich sie selber übersetzt.
Altern ist nicht immer lustig, oft sogar sehr unlustig. Altern ist nichts für Feiglinge, wie Joachim Fuchsberger es ausdrückte. Disziplin und rechtzeitige Planung allerdings helfen enorm und können uns das späte Leben massiv verbessern. Daher: Tun Sie etwas, lassen Sie die Dinge nicht einfach passieren. Befassen Sie sich positiv mit Ihrer Zukunft. Kümmern Sie sich um Ihre Freunde oder suchen Sie sich rechtzeitig neue, denn Freundschaft braucht einen „Vorlauf“. Trennen Sie sich von „schlechten“ Freunden, denn deren Gedanken und deren Gehabe sind ansteckend wie faule Äpfel in einer Kiste. Vergessen Sie das Geschwätz, es hat keine Bedeutung! Ich kann diesen Satz gar nicht oft genug lesen, schreiben oder sagen. Immer wieder fallen mir Gespräche ein, in denen ich bissige Kommentare, blöde Nachreden oder alle Arten von sonstigem Geschwafel über die eine oder den anderen vorgelabert bekam – Ohren zu oder Hörer auflegen ist meine unbedingte Empfehlung!
Lösen Sie sich von Objekten, denn das geschieht ohnedies. Jetzt aber können Sie noch mitreden. Dasselbe denke ich mir auch zur Wohnversorgung, hier ist das rechtzeitige Anpassen ebenso wichtig. Nutzen Sie medizinische Möglichkeiten aller Art, und gönnen Sie Ihrem Körper alle Annehmlichkeiten der modernen Zeit wie beispielsweise Ayurveda-Massagen oder neue Titan-Knie. Und wenn die Falten Ihrem positiven Selbstwertgefühl zu sehr im Wege stehen, lassen Sie sie wegmachen. Pflegen Sie ihr Sozialleben, genießen Sie die Zeit beim Nichtstun, erlauben Sie sich Verrücktheiten, die Sie immer schon machen wollten. Entdecken Sie neue Talente und graben Sie Ihre alten aus. Geben Sie Ihr Wissen, Ihre Erfahrung weiter, wo immer es geht. Denn genau IHRE Kenntnisse über seltene Apfelsorten oder giftige Pilze sind gefragt. Bringen Sie möglichst viele junge Leute dazu, freudig Neues zu lernen. Tun Sie etwas – und warten Sie nicht!
Auch die Beschäftigung mit dem Tod war ein unvermeidlicher Bestandteil dieses Buches. Aber wie sagte der griechische Philosoph Epikur?
Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.
Jeder möge das interpretieren wie er will, doch eines ist sicher: Wir können ihm nicht entrinnen. Entrinnen können wir aber der Ruhestands-Falle: uns nur noch zurückzulehnen und zu warten. Nicht zu leben, sondern nur noch da zu sein und auf den Tod zu warten.
Das kann ich über mich nicht sagen, ich habe schon bis jetzt intensiv gelebt und fast keinen Fehler ausgelassen. Und ich freue mich bereits heute auf alle weiteren Fehler! Wenn ich gehen muss – so soll’s sein. Danke Herrgott, danke für alles, es war toll! Und wenn ich gegangen bin, hoffe ich, dass viele sagen: „Schön, dass er da war“ (übrigens eine nette Grabinschrift). Und wenn nicht, dann habe ich zu vieles falsch gemacht. Lustig soll die Musik sein, freudig das Fest. Und wenn dann ein Schmetterling über unsere Gesellschaft fliegt, ja, dann bin ich das. Denn ich halte es wie Laotse, der einst sagte:
Was für die Raupe das Ende ihres Daseins, ist für den Rest der Welt ein Schmetterling.
William Shakespeare hatte für sein Stück „Wie es Euch gefällt“ sieben Akte gewählt, das gefällt mir. Angelehnt an den großen Meister unterteile auch ich die Notwendigkeiten eines positiven Zugangs zum Alter in deren sieben:
leben, lernen, laufen, lachen, lieben, lösen und lehren
Natürlich ist die Gewichtung der Kapitel unterschiedlich, alle jedoch scheinen mir wichtig und alle passieren zeitgleich. Jedes einzelne halte ich für nötig, um möglichst gesund und fröhlich älter zu werden. Sie sind Information und – wie der Titel meines Buches – ermunternde Aufforderung zugleich.
Und bevor ich Sie in meine Welt der „heiteren sieben ‚l‘“ führen darf, erlauben Sie mir noch diesen Hinweis: Ich liebe weibliche Wesen, sie sind, meiner Überzeugung nach, den männlichen ebenbürtig. Dennoch finde ich es überzogen und der Emanzipation nicht dienlich, wenn in Texten jedes maskuline Wort auch weiblich ausgedrückt werden muss. Ich verwende daher aus Gründen der besseren Lesbarkeit die jeweils geläufige Form von Substantiven und bitte bei allen Damen um Nachsicht. Sollte ich damit Ihre Gefühle verletzen, so werde ich mich gerne bei einem Glas Prosecco entschuldigen – und sofern diese Einladung als zu forsch aufgefasst wird, dürfen Sie dann gerne selber zahlen.
leben
Ach, wie ist das Leben schön!
Die Kinder sind prächtig geraten und beide aus dem Haus; die Enkelin, die süße kleine „Terroristin“, dürfen wir des Öfteren um uns haben, aber müssen selten. Zuhause ist es warm und wir wissen, wo wir morgen unser Essen herbekommen. All das als Besonderheit, als Privileg der geografischen Lage sowie unserer Zeit, welche bloß ein kleines Fenster der Geschichte gewesen sein wird. Kein Krieg seit mehr als 70 Jahren, so etwas hat es hier seit Jahrhunderten nicht gegeben. Aufgewachsen in einer heilen Umgebung, sauber, sicher, bequem, Wohlstandskinder eben. Aber immer wieder mit traurigen Ereignissen konfrontiert, mit Flüchtlingsdramen zum Beispiel, die uns in Mitteleuropa jedoch in Wahrheit nur sehr am Rande treffen. Seien wir ehrlich, was bedeuten eine oder zwei Millionen Menschen mehr unter uns 500 in der EU?
Die einzige wirkliche Bedrohung derzeit ist ein Virus. Covid-19, im Volksmund: Corona. Bedingt durch unser Leben, das uns in kürzester Zeit an jeden Ort der Welt bringt, und durch Lieferketten der Globalisierung, die Produkte oder Teilprodukte aus aller Herren Länder zusammenfügt, ist es überall zu finden. Und trotz riesiger Anstrengungen und Restriktionen wird das wohl auch noch ein bisschen länger so bleiben. Zumindest bis die meisten von uns dagegen geimpft sind.
Damit gehen aber auch Massenentlassungen einher, weniger Arbeit verteilt auf immer weniger Menschen. Eine rasant fortschreitende Digitalisierung, die alte Arbeitsstrukturen dramatisch ändern wird. Und eine vermutlich nicht zu vermeidende Konfrontation Alte gegen Junge. Die nicht (in Quarantäne) eingesperrt sein wollen, die meinen, dass die Älteren, die ihre Zukunft ohnedies schon hinter sich haben, ihnen ihre Arbeitsplätze streitig machen.
Wie dieses Match ausgehen wird, steht in den Sternen. Was wir aber schon heute wissen, ist: Wir werden langsam aussterben, wir re-produzieren uns nämlich zu wenig. Woher das kommt? Vielleicht daher, dass gemäß einer Berliner Altersstudie von Karolina Kolodziejczak und Denis Gerstorf rund ein Drittel der Senioren mehr Sex hat als die 20–30-Jährigen. Das hilft halt in Blickrichtung auf mehr Kinder wenig. Denn unsere Reproduktions-Verweigerung hat andere Gründe, wie zum Beispiel Angst vor Arbeitslosigkeit, große Karriere-Wünsche, traurige Aussichten für alleinerziehende Mütter, Religion, schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Es gibt also relativ und absolut immer mehr „Alte“. Doch was ist alt?
Die Dehnung der Zeit
Die Wissenschaft unterscheidet „junge Alte“ und „alte Alte“ oder spricht vom „dritten“ und „vierten Lebensalter“. Beide meinen so ziemlich dasselbe, nämlich den Zeitraum von ca. 60–80 Jahren und darüber hinaus. Früher war das für uns Jüngere ganz klar: die einen waren die „Oldies“, die anderen die „Kompostis“. Erinnern Sie