Ich muss fast nichts und darf fast alles!. Richard Kaan
Pensionen sowie Bed-and-Breakfast-Zimmern.
Der Grund dafür nach Down Under zu reisen, war unsere Tochter, die vor einiger Zeit beschlossen hatte, nach ihrem Studium zumindest ein Jahr dort zu verbringen. Ich begab mich also ins Netz, fand diverse Plattformen, die eben diese ziemlich unkomplizierte Art des „woanders Wohnens“ anboten. Es fließt kein Geld, man tauscht (meist zeitgleich) seine Wohnung oder sein Haus, mitsamt Auto und Haustieren. Eine prima Variante wie sich später herausstellte, denn in den letzten zehn Jahren haben wir es über 30 Mal gemacht. Und mit viel mehr Interessenten getauscht, als ich anfangs vermutet hatte. Aus Australien, Frankreich, England, Deutschland, Argentinien, Brasilien, den USA und so weiter …
Ros führte uns fröhlich plappernd zu ihrem Auto, der ältere Herr schwang sich tatsächlich hinters Steuer. Er brachte uns zu einem tollen Haus hoch über dem berühmten Hafen von Sydney, sprach kein Wort, kam aber mit ins Haus. Nachdem Ros an unserem Verhalten erkannt hatte, dass wir nichts gegen den „Herrn Chauffeur“ hatten, stellte sie ihn beiläufig vor: „… übrigens, das ist John, mein Mann.“ Dann entschwand sie in die Küche, um uns die von ihr vorbereiteten Happen zu kredenzen. Wir begannen ein Gespräch mit John, der rasch auftaute und erklärte, warum er sich bisher so zurückhaltend benommen hatte: „Ich bin Aborigine, genauer gesagt, Halb-Aborigine. Mein Vater kam aus Irland, meine Mutter aus dem Norden von Australien. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass selbst heute noch viele Weiße größte Vorbehalte uns gegenüber haben, daher sind wir vorsichtig geworden, was Unbekannte betrifft.“ Huch, das kam überraschend! Wir, Europäer mit so gut wie keiner Erfahrung, was Australien und dessen Umgang mit seinen Ureinwohnern betraf, fühlten uns plötzlich unwohl, geradezu ertappt. Obwohl wir keinerlei Vorurteile gegen ihn hatten. Später sollten wir lernen, dass das Leben indigener Einwohner Australiens selbst heute noch so ganz anders verläuft als jenes der Weißen. Und gelegentlich nicht so, wie wir uns das vorstellen würden oder wollen. Heute sind wir mit Ros und John bestens befreundet, besuchen einander regelmäßig und haben sogar einmal Weihnachten gemeinsam gefeiert.
Auch andere bleibende Verbindungen, selbst ein neu-entdeckter Familienzweig, haben sich für uns aus dieser besonderen Art und Weise des Reisens ergeben, aber das dürfte eher selten passieren.
Das Besondere am Haustausch ist: Man fährt nicht „auf Urlaub“, nein, man wohnt woanders. Eine Zeit lang eben. Man trifft die Nachbarn der Tauschenden, geht zum gleichen Bäcker oder Fleischer und hat darüber hinaus manches Mal die Möglichkeit, Teile von deren Sozialleben zu übernehmen. Auch Konzert-Abo-Karten werden zuweilen konsumiert oder wechselseitig Bus- und Bahntickets verwendet. Und, sollte einer der beiden oder beide Tauschpartner Tiere haben, so wird auch für diese gesorgt. Es ist eine wunderbare Gelegenheit, günstig zu reisen, denn, abgesehen vom Transport dorthin braucht man in der Regel im anderen Land kaum mehr Geld als zu Hause. Je nach Wechselkurs manchmal sogar weniger.
Für all jene, denen selbst diese Reisemethode des Haustausches noch zu „normal“ erscheint, habe ich ein nettes Beispiel, wie man es auch machen kann:
Heidi-um-die-Welt
Es ist ein paar Jahre her, da nahm ich an einer Oldtimer-Rallye auf Mallorca teil. Weil einige Teilnehmer wussten, dass ich an alten Autos schrauben kann, wurde ich zu einem wunderschönen Hispano-Suiza aus dem Jahr 1921 gerufen. Unter dem Auto lugten zwei Beine in Arbeitsmontur hervor, an deren Bewegung zu erkennen war, dass der Mechaniker sich mit etwas Schwerem abmühte. Dann ein Plumps, das Getriebe fiel auf den Boden und der Mechaniker krabbelte unterm Auto hervor. Er war so um die 70, hatte kurze graue Haare, schmale lange Finger – schwarz vom Arbeiten – und ein verschmitztes Lächeln. Er stellte sich vor: „Hallo, danke, dass Sie mir helfen wollen. Ich bin die Heidi.“
Heidi Hetzer, Inhaberin mehrerer Berliner Opel-Betriebe, die sie von ihrem früh verstorbenen Vater übernommen hatte, war eine „fahrende Legende“. In jungen Jahren Rallye-Fahrerin, später bevorzugte Ansprechperson aller weiblichen Celebrities, welche irgendwas mit Autos oder Oldtimern zu tun haben wollten. Im Juli 2014 startete die rüstige 77-Jährige eine Fahrt rund um die Welt: siehe heidi-um-die-welt.com. Warum sie es tat? Nun, weil sie konnte. Sicher auch, weil sie sich einen Traum erfüllen wollte. Ihre Weltumrundung dauerte fast drei Jahre. Sie wurde durch eigene Krankheiten und Operationen sowie durch technische Gebrechen ihres Gefährtes immer wieder unterbrochen. Aber sie schaffte das schier Unmögliche. Gereist ist sie die meiste Zeit allein, dies aber nur zum Teil freiwillig. Sie hatte verschiedenen potenziellen Beifahrern angeboten, sie für jeweils mehrere Wochen zu begleiten, auch mir. Ich konnte es mir damals jedoch nicht einteilen, heute, nachträglich tut’s mir leid, nicht mitgefahren zu sein. Auf jeden Fall sind ein paar Damen eine Zeit lang mit ihr durch die Welt geschippert, soweit ich mich erinnere, aber kein Mann. Ich glaube, sie schrieb in ihrem Blog, dass sie darauf bestanden habe, immer selber zu fahren. Vielleicht war das der Grund, warum die Herren der Schöpfung darauf verzichteten? In Summe aber war es sicher ein wunderbar verrücktes Abenteuer für alle.
So ganz allein mit der Idee einer Weltumrundung war sie natürlich nicht. Andere tun es mit Booten, mit Camping-Mobilen oder wieder andere mit Motorrädern. Allen gemein ist aber, dass sie sich trotz höheren Alters nicht scheuen, Neues entdecken zu wollen oder Abenteuer zu suchen. Manche tun’s vermutlich auch, um sich selbst zu finden, wenngleich es dafür bereits etwas spät scheint …
Ich spiel verrückt, spielst du mit?5
Von harmlosen Hobbys sprachen wir schon früher, hier noch ein paar etwas anders geartete. Denn – ist es nicht das Vorrecht der Älteren, manchmal etwas seltsam sein zu dürfen? Nicht immer müssen die Vergnügungen mit Flugzeug, Oldtimer oder Segelboot passieren, auch kleine Extravaganzen im täglichen Leben bringen Sie in gute Stimmung und Ihre Umgebung zum Lachen:
Gehen Sie im Sommerregen ins Freie, sodass Sie so richtig nass werden. Lassen Sie Drachen steigen, lernen Sie selbst mit einem größeren zu fliegen. Bauen Sie ein Baumhaus. Schreiben Sie ein Buch. Lutschen Sie einen Lolli. Kaufen Sie sich ein Skateboard. Gründen Sie eine Rockband. Oder springen Sie in einen öffentlichen Brunnen – wenn es halt nicht zu kalt ist, sonst vermutet man in Ihnen einen potenziellen Selbstmörder. Reisen Sie einfach planlos, folgen Sie ihrer Intuition und booking.com; fahren Sie mit dem Kinderkarussell oder mit der Märchenbahn oder stellen sie sich auf den Hauptplatz, um eine Rede zu schwingen.
Wenn Sie’s noch „kerniger“ wünschen, wäre Bungeejumping ein guter Vorschlag: Helmut Wirz verfiel im zarten Alter von 74 dem extravaganten Schnur-Springen, und tat dies dann über 100 Mal! Freilich, zum Anfangen ist es vielleicht ein bisschen spät, aber mit jugendlichen 70? Alter ist also kein Hindernis, siehe auch diese Beispiele:
Wenn Sie gerne in die Luft gehen und das für etwas länger, dann müssen Sie den Flugschein machen. Der vermutlich älteste Flugschüler, welcher je einen Hubschrauberschein gemacht hat, war beachtliche 79 Jahre alt.6
Man hat dabei zwar weniger Zuschauer, dafür spricht einen unterwegs kaum jemand an: die Durchquerung der Wüste Gobi auf dem Fahrrad, ebenfalls keine Frage des Alters, sondern eher eine der Kondition.
Wussten Sie übrigens, dass Goethe seinen „Faust“ erst mit 80 vollendet hat oder George Bernard Shaw sich das Bein brach, als er beim Äpfelpflücken vom Baum fiel? Da war er über 96! Dass etwa Mick Jagger ebenfalls schon weit über 70 ist und immer noch auf der Bühne herumhüpft wie ein 20-Jähriger? Ja, auch Peter Kraus sieht man seine mehr als 80 nicht an, wenn er seine Hüften kreisen lässt und die Engländerin Helen Tew war sogar 89 Jahre alt, als sie mit ihrem Segelboot den Atlantik überquerte. Gut, es war ihr Sohn dabei, selbst rüstige 65 … Sie meinte anschließend: „Es war die schönste Zeit meines Lebens.“
Jeder hört ihn, wie er lacht, schreit und sich bemerkbar macht. Immerzu verrät mein Rabe, dass ich einen Vogel habe.7
Auch ich habe noch so eine vage Idee für meine Zukunft, bei der meine liebe Frau immer augenrollend den Kopf schüttelt. Irgendwann möchte ich mit dem Traktor durch Afrika reisen. Von Nord nach Süd. Warum mit dem Traktor? Dieses Gefährt