Parkour. Philipp Holzmüller
Parkour insoweit verständlich aufzubereiten, dass Sie selbst in die Lage gebracht werden, anregende, vielfältige und differenzierte Inhalte zu entwickeln, um genau diese Freude an der Bewegung in Teilnehmern zu wecken.
Damit dies gelingen kann, müssen zwei primäre Kompetenzfelder bearbeitet werden:
1.Wissen und Fähigkeiten eines Trainers sowie
2.Wissen und Fähigkeiten eines Traceurs.
Gemeinsam ergeben diese beiden primären Kompetenzfelder den Parkour-Trainer:
Abb. 1: Die doppelte Expertise eines Parkour-Trainers
Die Wissens- und Fähigkeitsbereiche des Trainers und des Traceurs unterteilen sich zudem in Inhalte aus Theorie und Praxis. Denn so gehört das allgemeine Bewegungsverständnis eines Überwindungssprungs genauso zum Repertoire eines guten Lehrenden, wie auch das Grundverständnis über pädagogische Prinzipien und die allgemeine Gruppenführung. Nichtsdestotrotz kommen alle Beispiele und Szenarien auch in diesem Teil aus dem alltäglichen Parkour-Training.
Zwar muss nicht jeder Coach selbst der beste Athlet sein und nicht jeder Athlet der beste Pädagoge, aber ein grundlegendes Wissen sollte erwartet werden. Und wer weiß, vielleicht ist das eine oder andere ja doch noch neu und hilfreich!
In diesem Sinn: Let’s jump into it!
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THEORIE
© Andreas Wöhle
KAPITEL 1
4Rahmen und Ziele der Parkour-Lehre
5Grundlagen des sportlichen Trainings
6Grundlagen der Bewegungsvermittlung
7Biomechanik und Bewegungsverständnis
Kapitel 1
GESCHICHTE UND DEFINITIONEN
„Ich fühle mich […] als Beschützer einer Methode, die ich geerbt habe.“
David Belle im Interview mit Sébastien Foucan (2010)
Oft wird David Belle, von welchem dieses Zitat stammt, als Erfinder oder Begründer von Parkour bezeichnet. Er soll es gewesen sein, der aus kindlichem Spiel heraus seine eigene Sportart entwickelte, die er später Parkour nennen sollte. Doch die oben dargestellte Aussage zeigt, dass es bereits vor ihm etwas gegeben haben muss, das er hätte erben können.
■Wo also liegt der Ursprung?
■War David wirklich alleine?
■Was hat es eigentlich mit FreeRunning auf sich?
■Und welche Rolle spielt James Bond in der Entstehung einer Sportart?
All diese Fragen sollen im folgenden Kapitel beleuchtet und beantwortet werden. Denn eines ist sicher: Die Geschichte der Bewegungskunst ist in sich selbst eine bewegte.
1.1Die „méthode naturelle“
Die „méthode naturelle“ (dt.: natürliche Methode) wurde im frühen 20. Jahrhundert vom französischen Marineoffizier Georges Hébert (1875-1957) entwickelt und gilt heute weitläufig als Startpunkt des modernen Parkour.
Wie der Name bereits vermuten lässt, liegt der Kern der Methode im Training diverser Disziplinen natürlicher Bewegungen. Es spielt keine Rolle, ob Schwimmen, Klettern oder Springen: Der Mensch solle sich bewegen, wie es von der Natur eigentlich vorgesehen ist. Hébert selbst formulierte es so:
Ein ideales Trainingsziel sei es „in der vorgegebenen oder minimalen Zeit den Körper, ohne diesem zu schaden, solcher Dosis an körperlichen Belastungen und Aktivitäten auszusetzen, welche einem Tag in der freien Wildbahn gleichgesetzt werden kann.“
(Hébert, 1925, S. 3)
Hébert war dabei der Überzeugung, dass ein solches Training zu einer optimalen physischen Entwicklung des Menschen beitragen würde, und zudem auch Fähigkeiten wie Intelligenz, Mut oder Empathie positiv beeinflussen könne.
Die Fähigkeiten eines einzelnen Menschen würden somit dem Wohle seiner ganzen Gruppe dienen. Sie sollten nachhaltig sein, gesundheitsfördernd wirken, Stärken vermitteln und letztlich allgemein nützlich erscheinen. Diese altruistische Überzeugung manifestierte er schließlich im Grundsatz „Être fort pour être utile“ (dt.: sei stark, um nützlich zu sein), der bis heute auch im Parkour-Sport noch lebt.
Die drei Grundsätze seiner „méthode naturelle“ definierte Hébert letztlich so:
1.physikalische Komponente: Gehen, Rennen, Springen, Klettern, Tragen, Werfen, Balancieren, Selbstverteidigung, Schwimmen und Bewegung auf allen vieren;
2.moralische Komponente: Mut, Hilfsbereitschaft, Beharrlichkeit, Tapferkeit;
3.energetische Komponente: Ausdauer, Schnelligkeit, Kraft, Resistenz.
Seine Lehre entwickelte Georges Hébert, während er in der Marine diente und auf Schiffswegen verschiedenste Kulturen und Völker kennenlernte. Dabei bewunderte er vor allem die Athletik der Einheimischen und erkannte, dass diese auf natürlichem Wege durch Arbeit und Überlebenssicherung seinen Soldaten physisch überlegen waren.
Als er schließlich 1902 bei einem Vulkanausbruch auf der Insel Martinique allein eine Flucht koordinierte, die 700 Menschen das Leben retten sollte, verfestigten sich seine Sichtweisen zu einer eigenständigen Philosophie. Er studierte daraufhin das heimische Sportsystem und konzipierte seine eigene Trainingsmethode.
Als er in den darauf folgenden Jahren die Gesamtleitung der Körperausbildungen der Marineschule in Lorient, Frankreich, übertragen bekam, begann er, diese zu revolutionieren. Dabei löste seine Lehre die bisherigen wettkampforientierten Disziplinen ab. Nach anfänglichem Widerstand und Schmähungen sprachen die Ergebnisse aber schnell für Héberts „méthode naturelle“.
Zukünftig würde Hébert seine eigenen Hindernisse und Parcours entwerfen, in Reims (Frankreich) lehren und das französische Militärtraining auf Jahre hin prägen. Genau dieses sollte in den 1960er-Jahren dann schließlich einige Schüler dazu inspirieren, seine Gedanken weiterzuspinnen. Unter anderem