Parkour. Philipp Holzmüller

Parkour - Philipp Holzmüller


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des Athleten, während die Ganzheitlichkeit des Trainingsbegriffs sich auf die Komponenten der Physis und der Psyche konzentriert. Zentral in der klassischen Definition steht somit eine gewisse Zielstrebigkeit und das klare Verlangen nach einer disziplinierten Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Umwelt.

      Das FreeRunning (auch: FR) ist die aktuellste Interpretation der ursprünglichen Bewegungskunst und wurde 2003 von Sébastien Foucan in der Dokumentation Jump London (2003) erstmalig verwendet. Zu Beginn sollte der Begriff lediglich als freie Übersetzung von l‘art du déplacement dienen, wurde aber schließlich von Foucan zum Überbegriff für sein Verständnis der Disziplin weiterentwickelt.

      Ähnlich wie die anderen Yamakasi, welche ADD prägten, versteht er FreeRunning als inklusive Aktivität (Foucan, 2008). Persönlich fokussiert er sich aber zunehmend auf die Facetten des Selbstausdrucks und der Kreativität.

      In seinem Buch FreeRunning: Find your way (2008) beschreibt Foucan FreeRunning gar als Lebensphilosophie und weniger als reine Sportart. Er sieht darin eine Denkweise, sich mit seiner Umgebung auseinanderzusetzen und diese in Kombination mit Bewegung zu einem individuellen Ausdrucksmittel zu formen. Eine an Foucans Sichtweisen angelehnte Definition könnte folglich lauten:

       „FreeRunning ist die Kunst, sich durch Bewegung frei in seiner Umwelt selbst auszudrücken. Dabei geht es um die Einheit von Körper, Geist und Umgebung.“

       (frei übersetzt aus: Foucan, 2008, S. 8)

      Zwar unterscheiden sich die oben vorgestellten Definitionen in einigen Facetten oder legen ihre Schwerpunkte auf verschiedene Nuancen, auf der anderen Seite verbindet sie auch viele Gemeinsamkeiten. Damit ist nicht nur ihr gemeinsamer Ursprung gemeint, sondern auch fundamentale Grundsätze, in denen sich die Pioniere überwiegend einig waren.

      Allen voran das Wissen darüber, dass Parkour, l’art du déplacement oder FreeRunning niemals auf ihre physische Komponente reduziert werden könnte. Alle drei stellen die mentale Ausbildung des Geistes ins Zentrum ihrer Bewegungslehre.

      Das Training sollte folglich dazu dienen, über physische Reize psychische Veränderungen hervorzurufen; einerlei, ob in Bezug auf Mut, Selbstausdruck, Altruismus, Anpassungsfähigkeit oder Willenskraft. Bewegungen wurden aus allen möglichen Kontexten für Parkour zweckentfremdet, dienten sie der Lösung eines Problems. Dieses Detail wird jedoch weitläufig übersehen oder missachtet.

      Des Weiteren fällt eine Differenzierung in die oben beschriebenen Subkategorien in der Praxis oft schwer. Im Training vermischen sich die Zielsetzungen der Athleten ständig und sind nicht immer trennscharf zu definieren. Verbunden mit der medialen Darstellung, in welcher sich der Begriff Parkour am stärksten durchsetzen konnte, wurde so ein Wirrwarr aus Definitionen, Meinungen und Darstellungen geschaffen, wobei Außenstehende kaum mehr einen klaren Durchblick erhalten können.

      Um also aus dieser Zwickmühle zu entfliehen und eine für das vorliegende Buch stringente Nutzungsweise der Begriffe zu erreichen, wird in den folgenden Kapiteln allein der Begriff Parkour genutzt. Dieser hat sich am weitesten verbreitet und zum Überbegriff der Sportart entwickelt.

      Zweifelsohne werden die Eigenständigkeit und Unterschiede der Subdisziplinen an dieser Stelle respektiert und anerkannt. Um dem modernen Zeitgeist jedoch gerecht zu werden, und auch für die Lehre eine etwas leichtere Definition anzubieten, soll der Begriff Parkour im Kontext dieses Buchs wie folgt verstanden werden:

       „Parkour beschreibt eine Trainingsform, in welcher versucht wird, Bewegungsherausforderungen in der Umwelt zu finden und allein mithilfe des eigenen Körpers zu meistern.“

      Diese, tatsächlich sehr offene, Definition von Parkour legt ihren Schwerpunkt primär auf den Begriff der Herausforderung. Welche Form von Herausforderung das nun individuell ist, ob technisch, kreativ, effizient oder mental, ist in erster Linie dem Athleten und den Möglichkeiten in seiner Umgebung überlassen. Bewegungen als solche sind somit eher ein Mittel zum Zweck der Lösungsfindung, als dass sie einem konkreten Anwendungsbereich unterzuordnen sind.

      Des Weiteren schließt diese Definition das Finden von eben solchen Herausforderungen mit in ihr Verständnis von Parkour ein. Dieses steht zwar dem ersten Anschein nach in direktem Konflikt mit der klassischen Sichtweise, dass Parkour auf Anpassung an die Umwelt und Bewegung somit als Reaktion auf diese versteht, nimmt aber die aktuellen Strömungen der Szene, und auch das Verständnis des FreeRunnings und ADD mit in sich auf.

      Ähnlich wie damals die Familie Belle im Wald von Sarcelles von ihrem Vater Raymond dazu aufgefordert wurde, sich intensiv mit den Begeben- und Beschaffenheiten der Hindernisse auseinanderzusetzen, ebenso versteht sich die Suche nach Herausforderungen als erster Schritt eines später anpassungsfähigen Denkprozesses; denn Adaption bedingt Kreativität. Nur wer verschiedene Möglichkeiten sieht, kann seine Möglichkeiten auch effizient zu nutzen lernen.

      1Kinderspiel, bei welchem der Boden nicht berührt werden darf, sodass man springen und klettern muss.

      2Zum Beispiel: Storror, Farang, The Motus Projects oder OHANA.

       3Zum Beispiel: Roof Culture Asia (2017); Sole Destroyer – A Parkour Film (2020)

      4Zum Beispiel: Art of Retreat.

      KAPITEL 2

       1Geschichte und Definitionen

       2Philosophie und Werte

       3Community und Szene

       4Rahmen und Ziele der Parkour-Lehre

       5Grundlagen des sportlichen Trainings

       6Grundlagen der Bewegungsvermittlung

       7Biomechanik und Bewegungsverständnis

       8Bevor es losgeht

      Kapitel 2

      PHILOSOPHIE UND WERTE

      Wie einem beim Lesen der Geschichte des Parkour-Sports bisher schon aufgefallen sein dürfte, ging es schon von Beginn an um mehr, als nur die reine Bewegung. Oftmals fällt dabei der Begriff einer Philosophie, eines Hintergrundgedankens, der als Grundlage einer bestimmten Trainingslehre dienen, und als wichtiger als ihre physischen Merkmale betrachtet werden sollte.

      So ging es bei Georges Héberts „méthode naturelle“ um den Rückschritt zu natürlichen Bewegungsformen, wo hingegen Raymond Belle die bedingungslose und variable Verfügbarkeit seiner Techniken in den Vordergrund stellte. Das moderne Parkour geht letztlich noch einen Schritt weiter und fügt den bisherigen Modellen die Wiedergewinnung des urbanen Raums und das kalkulierte Spiel mit der Herausforderung hinzu.

      Aber nicht nur eine Grundphilosophie hat die


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