Parkour. Philipp Holzmüller
Sportart auszuleben und zu vermitteln. Denn, angelehnt an ihre Erfahrungen im Frankreich der 1980er-Jahre und inspiriert von ihren Vorbildern aus dem Kampfsport oder den Comics, die sie lasen, entwickelten die Yamakasi ihr eigenes Gedankengut.
© Zbigniew Tomasz Kotkiewicz
Abb. 4: Parkour lebt vom Austausch, wie hier bei einem Workshop von „Esprit Concrete“.
Besonders beeinflusst wurden sie dabei wohl von ihrem Gefühl der Stärke, das ihnen die Gemeinschaft und Freundschaft verliehen hatte. Folglich entwickelten sich vor allem Inklusivität und eine tendenziell wettkampffreie Atmosphäre zu Kernaspekten ihrer Lehre.
Heute ermöglichen es uns genau diese Maximen und Gedanken, eine nicht nur physisch spannende Sportart zu präsentieren, sondern noch parallel dazu soziale Themen, wie Gemeinschaft, Respekt oder Bescheidenheit, mit zu adressieren.
2.1Die Werte im Parkour
Grundsätzlich entstehen die Werte einer Sportart aus den übergeordneten Überzeugungen ihrer Ausübenden. Sie dienen dabei als Ideale und Leitideen, die beschreiben, wie die Sportler handeln, denken und miteinander umgehen bzw. kommunizieren möchten.
Im Parkour haben sich die Traceure dabei viel von den asiatischen Kampfkünsten abgeschaut sowie die damaligen Strömungen von Gesellschaft und Politik mitadressiert. Entgegen der vorherrschenden Spaltung von Religion, Nationalitäten und Gesellschaftsklassen stellten die Jugendlichen Offenheit, Selbstbestimmung und Gemeinschaft in den Fokus ihres Umgangs. Sie wollten gegen Regeln, Rangordnungen und das reine Leistungsprinzip rebellieren.
Dabei dienten ihnen die Philosophien von Hébert und Raymond Belle als Ausgangspunkt, welche die körperliche Herausforderung als Mittel zur Persönlichkeitsschulung und Stärkung der eigenen Fähigkeiten betrachten. In diesem Kontext hielten sie Wettkämpfe, Vergleiche und die generelle Selbstdarstellung folglich für obsolet. Gegenseitige Hilfe, Bescheidenheit und das Vertrauen in sich und seine Trainingspartner rückten in ihren Fokus.
Tatsächlich lässt sich beobachten, dass das Befolgen und Einstehen für gewisse Werte auch die Kompetenzen von Anhängern des Parkour-Sports beeinflusst. So werden beispielsweise besonders kreative, in ihren Bewegungen sichere und generell offene und hilfsbereite Persönlichkeiten wertgeschätzt. Da auf diese Art und Weise eine Subkultur entsteht, in welcher gewisse Handlungsweisen und Ideale bestärkt oder auch kritisiert werden, streben viele der Anhänger folglich nach den in ihrem Umfeld akzeptierten Idealen.
Besonders eindrucksvoll zeigen das Beispiele aus Krisengebieten oder aus sozial angespannten Regionen. Hier begannen Menschen, die sich für Parkour begeistern konnten, ihre zerstörte Umgebung plötzlich nicht mehr nur als Trümmer zu betrachten, sondern interpretierten diese als Trainingsorte und Stätten der Selbstentfaltung und Möglichkeiten.
Die gemeinsame kreative Interpretation erlaubt es, politische Differenzen weichen zu lassen und so vereinte Ziele zu verfolgen und die Ideale des Parkour-Trainings zu stärken. Dabei fördert vor allem die Wettkampflosigkeit der Disziplin ein kooperatives Verhalten.
© Minh Vu Ngoc
Abb. 5: Helfen, statt gewinnen; wie hier bei einem Training von ParkourONE
Dennoch fungieren Werte nicht einfach so als Friedensboten oder Heilsbringer. Sie können nicht wahllos über jeden Menschen oder jedes Angebot übergestülpt oder erzwungen werden, sondern müssen organisch entstehen sowie praktisch ge- und erlebt werden können. Das Verfolgen eines Wertideals kann also erst dann einsetzen, wenn sein Sinn verstanden und als persönlich wünschenswert empfunden worden ist. Folglich stehen sie in einer ständigen Wechselwirkung mit der gelebten Praxis.
Demzufolge ist es unabdingbar, dass die Parkour-Sportler sich selbst, ihre Motivationen und Handlungen jederzeit hinterfragen, sowie, dass sie das Verhalten der anderen Sportler um sie herum ständig beobachten und diskutieren. Missstände, wie Rassismus oder Sexismus, müssen daher auch innerhalb der Parkour-Szene immer wieder aufgedeckt und thematisiert werden.
Ob in den Kommentaren unüberlegter Social-Media-Posts, in gemeinsamen Trainingssessions oder auf größeren Veranstaltungen – die Sportler und Sportlerinnen müssen gemeinsam für die gleichen Ideale einstehen und diese kommunizieren. Nur so bleiben Werte bestehen und nur so können sie sich zeitgemäß mit den Strömungen der Gesellschaft auseinandersetzen und daran wachsen.
2.2Ein Wertemodell
Um die grundlegenden Parkour-Werte für Außenstehende und Novizen greifbar zu machen, haben sich in den letzten Jahren verschiedene Parkour-Organisationen damit beschäftigt, sie in verständlichen Darstellungen abzubilden. Durchgesetzt hat sich dabei vor allem das Fünf-Finger-Modell von ParkourONE, einem der ältesten kommerziellen Parkour-Anbieter Deutschlands. Hier dient eine Hand als metaphorische Illustration der zentralen Wertbegriffe.
Abb. 6: Das Fünf-Finger-Modell von ParkourONE (basierend auf Widmer, 2016, S. 11)
Der Daumen: Konkurrenzfreiheit
Der Ursprung von Parkour liegt in der „méthode naturelle“ und ihrem Leitspruch „être fort pour être utile“. Schon zu dieser Zeit wurde die gegenseitige Hilfe dem Wettkampf übergeordnet. Dabei sollen sich Teilnehmer in einem konkurrenzfreien Raum besser entfalten und ausleben können. Es soll kein gut (Daumen hoch) und kein schlecht (Daumen runter) geben. Jeder ist willkommen. Erlaubt ist, was funktioniert.
Der Zeigefinger: Vorsicht
Sicherheit ist unabdinglich. Folglich sind Riskobewusstsein und -einschätzung zentrale Kompetenzen eines gewissenhaften Traceurs. Eine korrekte Selbsteinschätzung sowie ein geschultes Auge für Umgebung und Situation müssen daher ständig trainiert werden.
Der Mittelfinger: Respekt
Respekt ist im Parkour in Bezug auf drei Bereiche anwendbar:
Respekt gegenüber sich selbst bedeutet vor allem ein regelmäßiges und nachhaltiges Training. Der Körper sollte gefordert, aber vor Verletzungen und Überlastungen geschützt werden.
Ähnlich wie der Körper, sollte aber auch die Umwelt sorgfältig behandelt werden. So sollte das Training keinerlei Spuren hinterlassen und niemals zu Zerstörung führen.
Letztlich gilt es zudem, die Mitmenschen zu respektieren, sowohl Passant als auch Trainingspartner. Empathie und Rücksicht führen zu einer größeren Akzeptanz und Trainingsfreude.
Der Ringfinger: Vertrauen
Das Vertrauen in sich selbst und seine Fähigkeiten ist die Grundlage der Selbstwirksamkeit. Nur wer selbstbewusst an die eigenen Stärken glaubt und sich seiner Schwächen bewusst ist, kann sich immer neuen Hindernissen stellen und lernen, an ihnen zu wachsen.
Der kleine Finger: Bescheidenheit
Im Parkour gibt es immer eine nächste, noch schwerere Herausforderung. Man kann Parkour nicht „können“! Entsprechend demütig sollten Traceure mit ihren Fähigkeiten