Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer. Franziska Schläpfer

Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer - Franziska Schläpfer


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Fueter, «menschenneugierig», ist ein Meister in der Kunst der Freundschaft: «Was im Leben zählt, sind Freundschaften.» Nicolas Baerlocher, Zürichs «Ambassadeur der schönen Künste» (NZZ), zehn Jahre für Fueters Firma tätig, nannte ihn ein «Genie der Freundschaft».

      Heinrich Fueter, Heini genannt, kam am 17. Februar 1911 in Zürich zur Welt. Sein Vater, der Basler Historiker Eduard Fueter, lehrte an der Universität Zürich, war Redaktor der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) und veröffentlichte im Jahr von Heinrichs Geburt seine «Geschichte der neueren Historiographie». Sie brachte ihm, in mehreren Auflagen und Übersetzungen, Weltruhm – und Widerspruch, vor allem in Deutschland. Er sei wohl der «innovativste Historiker» seiner Zeit gewesen, betonen Bernhard Ruetz und Susanna Ruf in der Biografie «Heinrich Fueter». Anstössig fand das Zürcher Bürgertum Eduard Fueters bohemehafte Ungebundenheit, seine zerrüttete Ehe, seine Deutschfeindlichkeit, was zum Bruch mit der NZZ und zum Abbruch der akademischen Karriere führte. Fueter zog zu seiner Mutter nach Basel, arbeitete als Sekretär bei der Basler Handelsbank, wurde mehr und mehr zum Eigenbrötler und starb, 52-jährig, kurz nachdem er nach Harvard berufen worden war. Heinrich verehrte den Vater, teilte seine liberalen, Deutschland-kritischen Ansichten und abonnierte aus Protest über dessen Behandlung die NZZ nie; er las sie, wenn sie irgendwo auflag. Die Mutter, Jenny Weber, Tochter von Henriette und Carl Weber-Sulzer, Chef der Winterthurer Textilausrüstung Zur Schleife, war zehn Jahre jünger als Eduard: lebhaft, energisch, interessiert, der Musik zugetan. Die unglückliche Ehe, 1907 geschlossen, wurde 1914 geschieden. Jenny zog mit Heinrich und dem drei Jahre älteren Eduard Karl ins «Rebgüetli» nach Zollikon, das ihr gehörte. Eine zweite Ehe ging sie mit dem Schriftsteller und Literaturprofessor Robert Faesi, Spross eines Zürcher Patriziergeschlechts, ein. 1919 brachte sie ihren dritten Sohn, Robert, zur Welt, Robin genannt. Vater Faesi pflegte eine liebevolle Beziehung zu seinen Stiefsöhnen und unterstützte sie grosszügig. Politisch hatten Heini und er das Heu nicht auf der gleichen Bühne. Im «Rebgüetli» wie im 1938 erworbenen «Neugut» ob Wädenswil gingen Dichter, Schriftsteller und Künstler ein und aus: Thomas Mann, Rainer Maria Rilke, Hugo von Hofmannsthal, Hermann Hesse, Stefan Zweig, und viele andere. Heini, Asthmatiker, verbrachte die ersten zwei Wintersemester der Primarschule in St. Moritz, lernte Andrea Badrutt kennen, was wohl erste Berufswünsche weckte: Hotelier, Skilehrer, Bergführer. Nach zwei Jahren Gymnasium in Zürich wechselte er an die Kantonsschule Trogen, wo er Andrea Badrutt erneut traf. Im April 1929 berichtete Rektor Fritz Hunziker nach Zollikon, Heini könne zwar mildernde Umstände anführen, vor allem den Tod seines Vaters, aber die Noten in Mathematik, Physik und Französisch seien ungenügend; er habe «seine Pflichten nicht getan», sei schnell zufrieden mit sich und gern der ungerecht Beurteilte, denke «hoch» von sich und kritisiere schnell. «Die Liebe nimmt ihm auch sehr viel Zeit weg.» Heini schaffte die Matura, studierte erst Literatur und Musik, dann Rechtswissenschaft an der Universität Zürich. Zusammen mit zwei Studienkollegen spielte er Klavier in Bars und Nachtklubs und besserte so sein Taschengeld auf. Er hatte als 17-Jähriger «Mein Kampf» gelesen, engagierte sich gegen den Faschismus und gründete 1933 mit Gleichgesinnten die an Universität und ETH aktive «Kampfgruppe gegen geistigen Terror». In seiner Dissertation, «Verlaggeber und Verleger im Verlagskonkurs», untersuchte er die Folgen für den Autor, wenn dessen Verleger in Konkurs gerät. Robert Faesi war in diese Situation geraten, Heini hatte ihn vor dem Konkursgericht vertreten. Seinen Unterhalt verdiente sich der ausgebildete Skiinstruktor in diesen Jahren weitgehend selbst: im Winter 1937/38 im «Tivoli» in Kopenhagen als Skischulleiter und Skilehrer auf einem mit Salz bestreuten Rupfenteppich mit einer Neigung von bis zu dreissig Grad. Er arbeitete bei einer Zürcher Privatbank, auf Kur- und Verkehrsdirektionen, als Sekretär beim Lesezirkel Hottingen, als Journalist. Als Sportreporter für den Bund, die Nationalzeitung und Sport nahm er als offizieller schweizerischer Pressevertreter an den Olympischen Winterspielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen teil – und gewann die Abfahrt der Pressevertreter. Im Anschluss an die Olympiade verhinderte ein anderthalbjähriges Einreiseverbot nach Deutschland wegen «publizistischer und aktiver politischer Tätigkeit» ein Engagement beim französischen Regiemeister Julien Duvivier.

      Der Jurastudent lebte in einer Wohnung an der Neustadtgasse in Zürich, zusammen mit Hans-Ueli Buff, später eine internationale Kapazität für Wiederherstellungschirurgie, und Karl Schmid, dem späteren Professor für Deutsche Sprache und Literatur an der ETH Zürich. Unsicher, ob er das Schlussexamen bestehen würde, bewarb er sich vorsorglich bei Praesens-Film – und wurde Produktionsleiter des Films «Füsilier Wipf» (1938) nach der gleichnamigen Novelle seines Stiefvaters. Filmbegeistert, das war er, aber nach bestandener Prüfung hätte er sich doch lieber in ein Anwaltsbüro gesetzt. «Unterschrift ist Unterschrift», beharrte Produzent Lazar Wechsler, das müsse der Jurist doch wissen. Wechsler, Sohn jüdischer Eltern aus Polen, war 1914 in die Schweiz gekommen, hatte an der ETH Zürich Ingenieurwesen studiert und im Brückenbau gearbeitet. Ohne jede Filmerfahrung gründete er 1924 die Praesens-Film AG; sie wurde für lange Zeit zur einzigen bedeutenden Schweizer Filmgesellschaft.

      Als Aufnahme- und Produktionsleiter erlebte Heinrich Fueter 1940 die Schicksalsstunde seiner Frau hautnah: Sie spielte die Gilberte de Courgenay, die schöne Wirtstochter, welche die Moral der Soldaten stärkte. Andere bemühten sich um die Rolle, etwa Elsie Attenhofer und Ditta Oesch. Anne-Marie Blanc wäre für die Rolle der Tilly, der Braut aus der Stadt, vorgesehen gewesen, die sie schon im gleichnamigen Singspiel auf der Bühne verkörpert hatte. Bei den Castings gab sie den Bewerberinnen die Stichworte, bis Wechsler bestimmte: «Frau Blanc, Sie spielen die Gilberte, schliesslich sind Sie eine Welsche.» Die Auserwählte war unsicher. Was, wenn sie durchfallen würde? Sie fiel nicht, sie wurde zur Ikone einer Generation – und Franz Schnyders Film zum Symbol der Geistigen Landesverteidigung. Er beruht auf der wahren Geschichte der Kellnerin Gilberte Montavon, der patriotischen Kultfigur im Ersten Weltkrieg. Eine Kompanie rückt im welschen Städtchen Courgenay ein. Die Soldaten erliegen dem Charme der Wirtstochter – der Refrain ihres Lieds klingt quer durch die Schweiz: «C’est la petite Gilberte, Gilbert’ de Courgenay; elle connaît trois cent mille soldats et tous les officiers. C’est la petite Gilberte, Gilbert’ de Courgenay; on la connaît dans toute la Suisse et toute l’armée.» «Die richtige Gilberte war klein, rundlich, eine mütterliche und ein bisschen energische Person», erzählt Anne-Marie Blanc im Buch «Das volle Leben». «Meine Gilberte war weniger bodenständig, ein bisschen vergeistigt, zurückhaltend und dadurch vielleicht zeitloser. Ich war ja eine blonde Bohnenstange.» Ein wenig geflirtet habe sie gern. «Richtig los ging die Anmacherei erst durch den Film. Da raunte es ständig auf der Strasse: ‹Salü Gilbertli!› Die erotische Komponente ist wichtig in diesem Beruf.»

      Anne-Marie Césarine Blanc, eine Welsche. Kein Tropfen Deutschschweizer Blut. Am 2. September 1919 in Vevey geboren, Tochter der Valentine Chevallier und des Louis Blanc. Die Mutter Genferin, der Vater Waadtländer, Geometer und Grundbuchverwalter – Spross einer Weinbauernfamilie. Der Grossvater Präfekt – sein Haus stand mitten in den Reben. Valentine hatte als sehr junge Frau den wesentlich älteren Mann geheiratet. Seine erste Frau, an Tuberkulose gestorben, hatte drei Buben zurückgelassen und ein Mädchen, das zehnjährig starb. Valentine Blanc kümmerte sich um die Kinder, als wären es ihre eigenen. «Grossartige Brüder» – Anne-Marie blieb lebenslang mit ihnen verbunden. Louis Blanc hingegen, der Vater, «ein richtiger Kleinstadtkönig», entpuppte sich als Schürzenjäger und Alkoholiker. Anne-Marie war zehn, ihre Schwester Françoise acht, als Mutter und Töchter fanden: «Ça suffit.» Anne-Marie drängte Valentine, mit den drei Kindern (Jacques war zweijährig) zu ihrer ältesten Schwester, Emma, nach Bern zu ziehen – und schwor sich, einen Beruf zu lernen, um nie mittellos einer solchen Situation ausgeliefert zu sein. Im Frühjahr 1930 fanden sie im internationalen Mädchenpensionat von Tante Emma und deren Mann, Kaspar Fischer, eine neue Heimat. Valentine arbeitete als Gouvernante, kümmerte sich um die Schülerinnen, wenn sie krank waren, und begleitete sie in den Ausgang. Das Gastrecht für ihre Familie war der Lohn, das Pensionat mit Töchtern aus gutem Hause eine Lebensschule für die Blanc-Kinder. Anne-Marie lernte in drei Monaten so gut Deutsch, dass sie den Übertritt ins literarische Gymnasium schaffte. In der Gruppe «Junge Bühne» spielte sie die Hosenrolle der Rosalinde in Shakespeares «Wie es euch gefällt», später eine ihrer liebsten Rollen. Die Rosalinde habe sie zum Theaterspielen verführt. In etwas zwitterhaften Rollen sei sie in ihrem Element, und bei Shakespeare seien die Frauen oft stärker als die Männer. «Sie war dafür


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