Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer. Franziska Schläpfer

Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer - Franziska Schläpfer


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Sonst kriegst du gleich 500 Franken, damit du dir einen schönen Mantel kaufen kannst». Heinrich bekommt den Mantel. Im April 1946 spielt Anne-Marie in Paris mit Erich von Stroheim im Film «On ne meurt pas comme ça». – «Mein Liebling, hier ist das Bahnticket, leider ist kein Flugzeug zu haben. Ich erwarte dich also Freitag in der Früh.» – «Mein liebstes poetisches Männchen», sie wolle ihn nicht mit familiären Sorgen belasten, er habe an ihr «genug Nüsse» zu beissen. «Aber ich glaube, dass ich jetzt wieder vernünftig bin», ihr Pariser Aufenthalt sei mit «dem Leben einer jungen Klosternovizin» zu vergleichen. Sie sei sogar enttäuscht, dass man sich so wenig um sie kümmere, «aber es ist recht so. Ich kann in mich gehen, meine Sünden bereuen und mich nach dir sehnen! […] Ich bin so froh, dass ich dich hab. Ich weiss schon, wie gut das ist, auch wenn ich manchmal spinne. Ich bin jung und war nur einmal verliebt in meinem Leben, darum finde ich es noch reizvoll, wenn es sich wiederholt. Hätte ich deine Erfahrenheit, würde ich es nicht mehr beachten!»

      «Mein Herz», schreibt sie im Herbst 1946 aus England, wo sie im Film «White Cradle Inn» spielt, in dem es um französische Kinder geht, die in den Kriegswirren ihre Eltern verloren haben, von Pflegeeltern in der Schweiz betreut werden – und nach Kriegsende zurück in ihre Heimat müssen. Sie gehe abends oft aus. «Aber ganz manierlich, nur keine Bange!» Dankbar ist sie um Heinrichs Vorschläge für einen Vertrag. «Du bist doch ein sehr kluges Männchen und ich habe recht gehabt, dich zu heiraten!» Er habe immer recht, sie werde weiterhin nur auf sein «hartes Urteil» hören – und hofft, er könne wieder mehr mit ihr arbeiten. «Ich will und muss eine gute Schauspielerin werden. Und wenn es gelingt, dann wird es zum grossen Teil dein Werk sein!» Nun, er kümmert sich gerade um die erkälteten Kinder. «Verlieb Dich nicht zu schnell, sonst ist Dein halb-knock-outes Männchen bald ausgepunktet. Aber ich freue mich irrsinnig, wenn bei Dir alles gut geht. […] Ciao, ciao, ciao, ich hab’ Dich lieb wie beim ersten Rendez-vous.» Manchmal ist er enttäuscht, gar traurig über sein etwas schreibfaules, mit Nachrichten persönlicher, um nicht zu sagen persönlichster Art «sehr, sehr – ja ungeheuer, zurückhaltendes Frauchen». Er melde ja jeden getrunkenen schwarzen Kaffee.

      Wiederkehrend betont er, ihr Erfolg sei für ihn das Wichtigste, Erfreulichste. «Wen das eigene Leben nicht befriedigt, der geht im Leben der anderen auf!» Ihr geht es ähnlich: «Du weisst nicht, was es für mich bedeutet, wenn du gut dran bist.» Sie erliegt seinem «tyrannischen Charme», ergötzt sich an seinem Witz, staunt über seine «schriftstellerische Ader». Ist stolz, dass er sie immer noch «so gut» leiden mag. Und unterzeichnet wie oft mit der Rückenansicht eines Hasen. Sie freut sich über eine neue Rolle, weil sie «alles andere als Zuckerpüppchen» ist und sie sich als Charakterdarstellerin ausprobieren könne. Sie ängstigt sich um Heinrichs labile Gesundheit, sein schwaches Herz, seine «übermässige Belastung». Fragt nach den Kopfmassen der Kinder, um Mützen zu kaufen. Sie schildert gute Hotels, schlechte Hotels, Treffen mit Freunden, Kinobesuche, Sightseeingtouren. Es geht um Verträge, Honorare, Steuerfragen. Rollenstudium, Fototermine, Interviews, schlechte Kritiken, Bravorufe, leere und halb leere Säle. Sie klagt über miese Stimmung in gewissen Theatern, unfähige Regisseure, schlechte Proben. Vor allem über ihre Einsamkeit. Gegenseitig ermutigen und trösten sie sich – aus fast jedem Brief klingt die «grosse Sehnsucht» nach dem anderen. «Ich habe natürlich nach Dir Heimweh», klagt Heinrich – «ich habe, es ist grotesk, wenn ich das sage, auch Heimweh nach Dir, wenn ich bei Dir bin, weil das Leben uns auffrisst mit Pflichten und Nöten, sodass das ‹Für sich Sein› rar ist. Es müssten schon Ferien sein … Tage für uns, zeitlose, programmlose Tage der Zweisamkeit. Darnach habe ich oft Sehnsucht. Lieberes kann ich Dir nicht sagen. Es ist darin nach 7 Jahren alles enthalten, was seit dem ersten Tag mich an Dich band: Dass Du mir genug bist! Ich liebe Dich über Alles.»

      Sie denke oft an ihn, auch wenn sie nicht viel «schreibe und flirte», schreibt Anne-Marie im August 1948. «Ich hoffe für dich und deine romantischen Venedig-Tage, dass du auch so eine seelenverwandte Jungfrau (ein- oder zweideutige!) gefunden hast, denn so allein am Meeresstrand zu sitzen scheint mir für dich nicht das richtige zu sein. […] Tausend liebste Küsse – ich sehne mich nach Dir! Grüss mir die süssesten Kinder Zürichs. Sie sollen ihre Rabenmutter nicht vergessen.» Die «Rabenmutter» ist auf Tournee, der Hausmann stolz auf die erste eigene Produktion seiner jungen Firma: «Grat am Himmel». Spektakuläre Aufnahmen einer 35-Millimeter-Kamera aus 4000 Metern Höhe. Die Zuschauerin erlebt die Traversierung des Mittellegi-Grates auf dem Weg zum Eiger aus der Sicht der Bergsteiger. Der Kurzfilm ist über die Schweizer Grenze hinaus erfolgreich. Dazu der erste Grossauftrag: tägliche Reportagen über die Olympischen Winterspiele 1948 in St. Moritz für BBC und NBC. Condor übt das Fliegen.

      «Es geht schon gegen Mitternacht, aber ich muss Dir doch noch schnell schreiben.» Der Brief wird sechs Seiten lang. Heinrich erzählt von Peter-Christians Zeugnis, seinen Fähigkeiten; von Martin, der zwei Stunden lang Schiffe zeichnet und perfekt das Vaterunser beten kann, nicht ohne maliziöse Zwischenbemerkungen. Von der Haushälterin. «Frl. B ist unersetzlich. Was soll einmal werden, wenn sie nicht mehr da ist, frage ich mich oft. Unser Leben wäre mit jemand anderem in der jetzigen Form gar nicht realisierbar. […] Es waren zwei gute Tage – gestern Dein Anruf, heute Dein Expressbrief. Schimpf mich kindisch, glaube mir, ich weiss vielleicht zum ersten Mal, was die grosse, grosse, letzte Liebe für einen Menschen ist.» Das Paar denkt gerade über seine Beziehung nach. Anne-Marie ist mit Ibsens «Gespenster» auf einer ausgedehnten Tournee durch Holland. Sie ist 29, seit gut acht Jahren verheiratet. Er quäle sich unverhältnismässig, beruhigt sie ihren Mann: Sie könnte keine freundschaftliche Beziehung haben zu jemandem, der sich mit Absicht «zwischen uns» schalten würde. «Wir haben uns gut verstanden, haben gemeinsame Lektüren, er hat sich um mich gekümmert – und das alles wohl, weil er mich gerne hat, aber er hat nie daran gedacht, etwas zu fordern, was ich nicht von mir aus bereit wäre zu geben. Meine Zurückhaltung und die Rücksicht, die ich auf dich nahm, waren ja auch Dinge, die ihm besonders gefallen haben und die ihm sehr verständlich waren.» Sie habe sich sehr an ihn «attachiert», aber es sei kein Grund, «diese Affäre» zu dramatisieren, jedenfalls bitte nicht von «Platz räumen» reden und «Kugel durch den Kopf jagen». «Für mich steht fest, dass keine andere Lebensgemeinschaft besser sein könnte als mit dir. Was ich mit dir erlebt und aufgebaut habe, könnte ich nie abschütteln.»

      Drei Tage später leuchtet im Hotelzimmer ein riesiger Rosenstrauss, «so rot, so rot» … Anne-Marie ist gerührt, hofft aber doch, er habe die Blumen in Amsterdam besorgen lassen, sie seien hier «4 mal billiger» als in der Schweiz. Sie redet ihm aus, den Fehler bei sich zu suchen, doch sie könne und wolle nicht jemanden vor den Kopf stossen, der «nichts Böses» getan habe. Die «schuldige Sünderin» mag sie nicht spielen. Sie brauche Zeit. Schreiben könne sie nicht darüber, alles sei zu kompliziert, zu verworren. «Gefühle, Empfindungen entstehen auf seltsame Art, man kann sie nicht so leicht analysieren, registrieren, ein- oder abstellen, wie man will, besonders wenn sie in einem Menschen entstehen, der so voller Widersprüche und Zwiespältigkeit ist, wie ich es bin. Das soll keine Entschuldigung sein, es ist aber auch kein leeres Gerede, es ist so.» So wie sie Theater spiele aus einer gewissen Intuition heraus, unfähig, dies mit genauen Worten zu umschreiben, so sei es in ihrem Leben. Sie würde nach ihrer Rückkehr mit Heini gern ein paar Tage nach Venedig fahren, als «kleiner Ausgleich für die lange Trennung».

      Ein paar Tage später beruhigt sie ihn nochmals: «Ich habe eine Krise durchgemacht, die, glaube ich, nicht so ungeheuerlich ist, weil sie im menschlichen Leben sehr oft schon da war. Ich wollte und musste mich ganz klar und mit genauster Überlegung daraus herausarbeiten und … mit mir selbst ins Reine kommen, um dann dir gegenüber wieder so zu sein, wie ich war. Nun bin ich soweit und ich freue mich unendlich, bei dir zu sein und zu bleiben. […] Ich habe erkannt, dass du mein Mann bist mit allem, was dieses Wort in sich birgt.» Von Verzichten halte sie nichts, «ich musste aus freien Stücken, unbekümmert um deine mich beängstigende, bedrängende Stimmung dazukommen». Vielleicht dachte sie auch an ihr Versprechen anlässlich der kirchlichen Trauung: «Eine Scheidung wollen wir den Kindern einst ersparen und nicht beim ersten Knatsch auseinandergehen, sondern durchstehen, was durchzustehen ist.»

      «Soeben kam Dein Brief aus Amsterdam», schreibt Heini. Aber auch dieser vermeide halt das Persönliche. Das stimme ihn nachdenklich, besorgt, traurig. Das schrecke Gefühle auf, das nage an seinem Selbstvertrauen.


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