Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer. Franziska Schläpfer

Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer - Franziska Schläpfer


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in einem Menschen ruhe. «Du warst stets für mich etwas Unantastbares, das für sich besteht, gross und fest», antwortet Anne-Marie. «Mein Begehren entsprang einer Schwäche, einem merkwürdigen, schicksalhaften Getriebensein, dessen unglücklichen Ausgang ich zwar stets vorausahnte, aber dem ich nicht ausweichen konnte und wollte. Ich wusste, dass ich dadurch leiden würde, aber innerlich spürte ich irgendwie, dass mich dieser Konflikt reifer machen würde. Das physische Moment ist von keiner so grossen Bedeutung gewesen, wie Du es glaubst, was dir schon unser glückliches Zusammensein im letzten Monat bewiesen haben sollte; eine solche Rückkehr meinerseits wäre ja sonst nicht möglich.» Sie habe gewusst, dass er kraft seiner Stärke siegen, auch verzeihen werde. «Lass uns zusammen weiterleben, es ist bestimmt das Richtige. […] Wir können ja doch nicht ohne einander leben.» Sie sorgt sich um seine Nerven, sein Herz. Der Gedanke, er sei ihretwegen krank geworden, würde sie endgültig «aus den Fugen» bringen. Sie sei ein Mensch mit «ganz guten alltäglichen Qualitäten», mit einer gewissen Energie auch, im Grunde aber schwach. In wichtigen Momenten versage sie. Ein Jahr später liest Anne-Marie ein paar Zeilen ohne Liebesbeteuerungen: «Es tut mir unendlich leid, dass dieser Brief noch geschrieben werden musste. Aber Klarheit muss endlich sein. Du hast die Pflicht Dich zu entscheiden, Heini.»

      Es ist so, sie können ohne einander nicht leben. Anne-Marie verabschiedet sich wieder mit «1000 und aber 1000 Zärtlichkeiten für dich». Andere Sorgen beschäftigen sie. 1953 schreibt sie aus Berlin, am Vorabend ihres Geburtstags – «leider fast schon 34-jährig!», der morgige Tag stimme sie sentimental; «restlos glücklich» mache sie die Filmerei nicht und «das ganze Getue drumherum». – Alles an sich wunderbar und schön, berichtet sie drei Jahre später aus Wien, «ein herrlicher Sommeraufenthalt, bezahlt noch obendrein». Aber trotz ihres «Keepsmiling»: Sie ist beunruhigt, für die nächste Saison noch kein fixes Engagement zu haben. Sie seien doch eine verrückte Familie, schreibt Heini, «und am Ende des Lebens werden wir weder reich sein noch uns richtig kennen gelernt haben. Vielleicht sollten wir doch einmal etwas weniger arbeiten und ab und zu ein paar Wochen unabkömmlich sein. Ich könnte in nächster Zeit sicher ein paar Tage weg». Sie solle mit seinem Besuch rechnen und tue gut, «allfällige Ersatzmänner für später zu heuern». In einem anderen Brief bittet er sie: «Vergiss mich nicht inmitten der Kavaliere, ich bin auch einer und nicht der schlechteste. Meine Einsamkeit ist gross und nicht zu beheben, bis ich Dich wieder in meine Arme schliesse.» Seine vielen 100 000 Küsse zum Schluss ergeben eine Sextillion Küsse und «ein Streicheln übers ganze vielgeliebte Fell meines Häsekken von Deinem oft traurigen, immer daumenhaltenden Heini». Erschüttert stellt er fest, dass selbst im Freundeskreis ihre Arbeit nicht begriffen werde. Da glaube man, sie sollte nur Hauptrollen spielen. Was für «Banausenstandpunkte». Eigenart und Schwierigkeit, Schönheit und Einmaligkeit ihrer Berufe würden wohl nur Leute vom Fach verstehen. Er wisse, was das Erreichte bedeute, dass ihre Wege mühsam, aber stetig aufwärtsgingen. «Es ist nicht schade für Dich, in wenig künstlerischen Filmen zu spielen, es ist nicht schade, wenn ich Parkettfabrikationsfilme drehe – wichtig ist nur, dass wir das, was wir tun, gut machen und dabei viel lernen. Hab Mut in allem, was Du künstlerisch tust.»

      Höchste Qualität, das fordert Heinrich Fueter selbst für Auftragsfilme. Er produziert Filme zur Technik, Industrie, Wissenschaft, Kunst. Zahlreiche medizinische Filme für das Chemieunternehmen J. R. Geigy AG. Werbefilme, Aufklärungsfilme, Schulungsfilme, Tonbildschauen. Fernsehfilme. Die Musik ist ein Markenzeichen der Condor-Produktionen, Heinrich Fueter lässt namhafte Musiker komponieren: Paul Burkhard, Rolf Liebermann, Rolf Langnese, Armin Schibler. 1970 entsteht «Le Corbusier» mit Musik von Iannis Xenakis, Architekt und Komponist, der von 1947 bis 1958 mit Corbusier zusammengearbeitet hat.

      Leider habe sie in Frankfurt zwei heftige Verrisse bekommen, ärgert sich Anne-Marie. Sie spielt 1959 die Lady Milford in Schillers «Kabale und Liebe», inszeniert von Josef Gielen. Nach den Festspielen Innsbruck folgt eine Tournee durch Deutschland, Österreich, die Schweiz. Es ist frühmorgens, sie sitzt in eine Bettdecke gewickelt am Schreibtisch ihres Hotelzimmers in Hannover. Vielleicht sei sie nicht müde genug, vielleicht zu viel allein, vielleicht habe sie zu wenig zu tun, dass sie an sich selbst zweifle, sich frage, ob und wie es weitergehen werde. «Man überdenkt den Weg, den man gegangen ist, und stellt fest, dass er doch eigentlich mittelmässig war.» Es bestünden auch keine grossen Hoffnungen mehr auf einen «wirklichen Durchbruch». Andere, die sie für gleichwertig halte, seien weitergekommen. Vielleicht erkauft mit «Opfern privaten Charakters», was zur Erkenntnis führe, dass sie eben doch keine Vollblutschauspielerin sei, sondern nur eine talentierte kleine Bourgeoise. Mit zu viel Kritik an sich selbst, zu viel Klarheit, um sich und andere zu belügen, und zu wenig Rücksichtslosigkeit und Durchschlagskraft, «edle» Eigenschaften, in diesem Beruf nur hinderlich. «Man kann aber nicht aus seiner Haut heraus, weil man im Grunde weiss, dass man die Kraft zur Einsamkeit nicht hat … und so bleibt man mittelmässig.»

      1961 zieht sie einmal mehr Fazit: «Es will mir nicht gelingen, die richtige Rolle am richtigen Ort mit sicherer Führung zu spielen! Das ist wohl der Tribut, den ich für mein sonstiges glückliches Leben zu zahlen habe.» – «Ich brauche vollwertige Aufgaben, sonst bin ich wie gelähmt.» – «Mit 40 war ich zu alt für jugendliche Rollen, zu jung als Charakterdarstellerin. So wurde ich zur Spezialistin für die betrogene Ehefrau.» Heinrich tröstet, ermuntert zu Experimenten, zu mehr Selbstverstrauen und Optimismus. «Hab gute Laune – erproben macht Spass, verjüngt.» Er stürze sich bewusst in Neues, «ohne Gewähr des Gelingens». Sie hingegen fragt sich, ob ihr Beruf wirklich so wichtig sei, um Mann und Kinder diesen Entbehrungen auszusetzen. «Aber du hast wohl recht: unsere getrennten Leben, unsere Berufe ermöglichen es, unseren Buben eine schöne Jugend zu bieten und andererseits bewahrt es uns davor, einander überdrüssig zu werden. Wahrscheinlich ist das der Sinn unseres gemeinsamen Lebensweges.» Heini, überzeugt, dass die berufliche Verbindung eine «ideale Lebensgemeinschaft» ermöglicht, findet die Trennungen zwar traurig, «aber ein bescheidener Tribut an ein sonst so grosses und wohl rares Glück». «Ich habe die mir liebste und mich am glücklich machenste (und das ist gar nicht so einfach!) Frau in Dir gefunden. Ich weiss nicht, was das Leben, ich ohne Dich, wäre, würde, geworden wäre.» Ihr «Nur-mir-Sein» bedeute ihm tausendmal mehr, als sie ahne. «Ich will für und um Dich kämpfen bis ans Ende der Welt, koste es was es wolle. Lass Dich lieb haben, mein Herz, in grösster Zartheit, in flammender Liebe, im Verstehen, im Verzeihen, in unserer ganzen unverbrüchlichen Freundschaft, für die ich mein Letztes gebe, aber auch Grosses fordere.»

      «Wir versuchten immer, die Zeit, die wir füreinander reservierten, nicht mit Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten zu verschleudern», sagt Anne-Marie in einem Interview. Heinrich habe es verstanden, sie zu ersetzen, ohne sie je zu verdrängen. «Er verstand es, den Buben die Zufälligkeiten und Zwänge in meinem Beruf verständlich zu machen.» Ihre Familie sei «elastisch und anpassungsfähig». Mit «stark ausgeprägtem Familiensinn», ergänzt Peter-Christian, der älteste Sohn: «Beide kamen aus Familien, deren Eltern sich scheiden liessen, mein Vater und meine Mutter wollten das nicht.» Auch Martin Fueter betont: «Wir waren eine intakte Familie. Unser Haus war ständig voll von interessanten Leuten. Wir telefonierten dauernd, wir schrieben uns, und die ganze Familie fuhr an Mutters Premieren.» «Sie liess uns an ihrer Arbeit teilhaben», erinnert sich Daniel Fueter, der initiative Pianist, Komponist, Pädagoge, ehemalige Rektor der Hochschule Musik und Theater Zürich. «Wir haben oft mit ihr gespielt, wenn in einem Stück Kinder gebraucht wurden. Jeder von uns war einmal Walter, Tells Sohn in Schillers Stück.»

      Heinrich Fueter engagiert sich für die Arbeit seiner Frau, hilft ihr, die Rollen zu entwickeln. Verpasst keine Hauptrobe. Macht sich im Dunkeln Notizen (Kugelschreiber mit Beleuchtung!). Registriert jedes Detail: ein Wort falsch ausgesprochen, ein Lächeln zu angestrengt, eine Kleiderfarbe unpassend … Bei Premieren fürchtet Anne-Marie sein Urteil mehr als das der Journalisten. Unermüdlich ermuntert er sein «tapferes, fleissiges Milein». – «Mach’s gut, sei bester Dinge beim Spiel, sei ganz wer Du sein musst. Verliebe Dich in die Darzustellende – sei sie!» – «Mach’s weiterhin so gut und so tapfer, Du Säule der Familie in deutschem Gau.» – «In aller Eile. Ich hatte eine ganz grosse Freude an der heutigen Probe. Du bist ganz ausgezeichnet – klug. Du weisst sehr genau, was Du spielst, was Du sagst! M. E. ist alles 100 % und wenn ich mir noch den Glanz der Premiere denke … Bravissimo!»

      Ende


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