Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer. Franziska Schläpfer
aufzugeben. Warum? Was weiss ich? (müsste es doch wissen), vielleicht weil ich … dieses sehr komplexe Wesen ganz einfach gern habe, es nicht missen möchte (was ja wohl auch nur ich verstehe). Alterserscheinung? Ich glaube allen Ernstes Nein, und zwar schon deshalb, weil es unsere Kreise (und das im grössten Ernst!) auch nicht im Kleinsten tangiert oder gar beeinflusst (dann würde ich es nur schon aus Dankbarkeit, aber vor allem aus Liebe und Verknüpfung … sofort abblasen). Es ist so etwas wie ein romantisches Jugend-Rückspiel – ein Vater-Tochter-Heimweh, ein schwärmerisch-verletzbares Spiel. Also näher kann ich es nicht deuten und auch dieser Versuch einer Charakterisierung ist sehr unvollkommen. Was es nicht ist (und das ist entscheidend) eine reife, tiefgreifende Mann-Frau-Beziehung (auch nicht force majeure!), eine Bindung oder Wunschbeziehung dieser Art. Ich wäre ja ein Narr und dazu noch ein Miesling. Wie kannst Du glauben, dass Du überhaupt und in besonderem in mir konkurrenzierbar bist! Sei nur ein wenig nachsichtig mit diesem grossen Kind. […] Lass Dich ganz fest lieb haben, ganz zart und dann leidenschaftlich (es war doch eine schöne, ‹junge› Zeit!) und dann still, dem Atem lauschend und den Schlaf erwartend! Dein (hoffentlich nicht so unverstandener) Heini.»
Ein Brief in Fortsetzungen. «Du weisst ja gar nicht wie gern ich Dich habe und jederzeit bereit bin, alles, was Dir wehtut, abzubrechen. Du bist mir viel zu viel Wert, als dass ich egoistischen Zielen, Vernarrtheiten und wohl auch Alterserscheinungen folgend, Dich – unsere Freundschaft, unsere Zusammengehörigkeit opfern würde. Du hast alle meine Wirrnisse, Verzweiflungen getragen, vor allem ertragen. Schon allein dies versetzt mich in Schuld. Aber es ist nicht Dankbarkeit hierfür, sondern auch hierfür, dass ich Dir beweisen möchte, dass mir niemand nähersteht, mich glücklicher machen kann als Du und nur Du.» Dass er sich für Menschen, die er möge, einsetze mit allen seinen Möglichkeiten, das wisse sie doch. «Ist es denn so erstaunlich, dass ich dies ebenso für ein mich begeisterndes und mich manchmal verzauberndes Geschöpf … tat? […] Es brauchte scheinbar all diese Auseinandersetzungen, Missverständnisse und Einseitigkeiten, um dorthin zu kommen, wo das differierende Alter und der ‹Überschwang› des älteren Herrn korrigiert landeten: in einer Freundschaft. In der vielleicht auch ein wenig das Vater-Tochter-Verhältnis seinen Platz beansprucht.»
«Ich weiss, Du hast es nicht so leicht mit mir, aber (ich kann ja das Maliziöse nicht lassen!) auch nicht so schwer. Innerhalb bald 35 Jahren würde ich sagen: 25:10. Es gibt doch einiges, was ich … in meinen blühendsten Jahren sehr artig verkraftet habe … auf viel schwerwiegenderen Ebenen. Eine junge, sehr junge Liebe und Gemeinschaft stand auf dem Spiel – etwas, das bei mir nie, gar nie nicht einmal zur Diskussion stand. Warum? Weil ich Dich im tiefsten entscheidendsten Grunde liebe, mehr als alles und alle. Deine unverbrüchliche Freundschaft (sie zeigt sich ja gerade jetzt wieder!), Deine menschliche Einfühlsamkeit, Grosszügigkeit und Verständnisweite. Wir gehören zusammen! … Du bist und bleibst in jeder Beziehung die prima donna.» Vielleicht sei sie früher weiser geworden, «aber lächle milder über den Deinigen, der halt noch einmal ein wenig schwärmt, sich verstrickt […] Spitalnächte haben den Vorteil, Einsichten zu schaffen. Nur Freundschaften lass ich nicht gern kaputt gehen, schon weil ich sie immer mit viel Begeisterung und Opferbereitschaft, Herz und Zugetanheit baue. Sei umarmt, lieb gehabt & 1000 – 1000mal bedankt, geküsst, bewundert & GELIEBT von Deinem merkwürdigen und sicher nur undankbar scheinenden Heini».
1973 übernehmen Martin und Peter-Christian Fueter das Steuer der Condor-Film AG. Ein «nicht so leichter Abschied» für den Vater, aber auch eine Genugtuung, «ein angesehenes, prosperierendes, wenn auch immer zum Kampf genötigtes Kind» übergeben zu haben. «Geht’s noch ein Weilchen so weiter mit mir, dann könnten es gerade … schönste Jahre werden. Herrgott! liebe ich dieses Hier-Sein!» Er freut sich für seine Frau. «Nun hast Du einen längeren Zürcher-Vertrag – auch gut (obwohl man sich für alle Fälle das Ausland warmhalten muss).» Und er lobt die neue Wohnung, welche «ohne Chi-Chi und besonderen Aufwand» allein zu bewältigen sei, «auch nach meinem †.»
In der Saison 1977/78 brilliert Anne-Marie Blanc auf verschiedenen Bühnen in Peter Hacks’ Stück «Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe». In dem zweieinhalbstündigen Monolog wehrt sich die Hofdame Charlotte von Stein gegen die Vorwürfe der Weimarer, sie sei schuld an Goethes fluchtartigem Aufbruch nach Italien, beklagt den Verrat des Dichters, der sie zwischen 1776 und 1786 auf über 1700 «Zettelgen», Billetts, Botschaften mit einem Hohelied der Liebe umworben hat. Anne-Marie spielt nicht sich selbst: «Wir haben wirklich alles in allem viel Glück gehabt auf unserem gemeinsamen Weg», schreibt sie im Dezember 1978, «aber vielleicht haben wir es auch gewusst und waren behutsam und ängstlich, haben vielleicht auch einiges verpasst – ich jedenfalls – aber alles in allem ist es wohl ganz gut so wie es ist!» Im Jahr danach steht im Schauspielhaus Ibsens «John Gabriel Borkman» auf dem Programm, das Drama eines betrügerischen Bankiers. Anne-Marie Blanc spielt Borkmans Gattin, schliesslich seine Witwe. Nicht nur versäumt Heinrich Fueter keine Hauptprobe seiner Frau, er denkt sich zu jeder Aufführung einen Glücksbringer aus. Diesmal schreibt er eine Trauerkarte:
Nach der Trauerfeier.
14. 10. 79.
Verehrteste
Er ist tot! Nun können Sie den Moder durch die geöffneten Fenster entweichen lassen und die Einsamkeit in immer verbesserter Luft verbringen.
Ihr H. F.
Als hätte Heinrich es geahnt. Am Abend des 13. Oktobers 1979 erkundigt er sich im Kino Frosch an der Brunngasse nach der Akzeptanz der Condor-Produktion «Der Landvogt von Greifensee», freut sich über den Erfolg, hastet ins Schauspielhaus zur zweiten Vorstellung von «John Gabriel Borkman», um nach der vernichtenden Kritik herauszufinden, was am Spiel seiner Frau zu ändern wäre – und bricht zusammen. «Die zwei Elemente unseres Lebens – mein Theater und sein Kino – waren gewissermassen vereint in der Art, wie er starb.» Er habe sich gewünscht, tot umzufallen – entweder auf der Skipiste im Engadin oder in der Altstadt von Zürich.
«Er machte aus intensiv erlebter Schweizer Geschichte Schweizer Filmgeschichte», schreibt Alex Bänninger, damals Chef der Sektion Film im Eidgenössischen Departement des Innern, in der Biografie «Heinrich Fueter» von Bernard Ruetz und Susanna Ruf. «Seine Methode war Fleiss, Spürsinn, solide Fachkenntnis, Begeisterungsfähigkeit. Sein Konzept war die aktive Präsenz in allen Bereichen von Ton und Bild.» Er erinnert an Heinrich Fueters «professionelle Passion» und humanistische Bildung, seinen «kaufmännischen Kopf» und «das fürs Spiel schlagende Herz». – Werner Wollenberger würdigt ihn gleichenorts als bedeutendsten Schweizer Filmproduzenten. «Dass dieser kleine, drahtige, sehnige, unablässig energische und recht eigentlich unermüdliche Mann als Dr. Heinrich Fueter eine historische Leistung erbracht hat, ist eine Sache: Die andere ist, dass er der Heini Fueter war, der Heini, und als solcher einer grossen und immer wachsenden Schar von Zeitgenossen angenehm als Mitmensch, Partner und Freund. Er hat so hart gearbeitet wie kaum einer, aber die Arbeit hat in nie verhärtet: Er war ungeheuer betriebsam, aber er hatte immer Zeit für andere, denen er in grosser Herzenshöflichkeit und mit humoriger Freundlichkeit begegnete […] Er hat nicht nur ein Leben gelebt, sondern viele Leben – und alle ganz.»
Epilog
Anne-Marie Blanc spielt weiter, in über dreissig Theaterproduktionen, vor allem am Schauspielhaus Zürich. 1986 die grosse Ehre: der Hans-Reinhart-Ring für ihre Kunst von «bezaubernder Leichtigkeit, Humor und Noblesse». «Dass alles in meiner Laufbahn und in meinem Leben im Lot blieb», betont sie in ihrer Dankesrede, «dafür sorgte der Mann, der sich wohl am meisten über den heutigen Anlass gefreut hätte, der Mann, der vierzig Jahre an meiner Seite war». In der Saison 1997/98 verblüfft Blanc mit ihrer verwahrlosten alten Säuferin in «Der Krüppel von Inishmaan» die deutschsprachige Theaterwelt: «Zu sehen, wie sich die grosse Dame in diese Figur verwandelt, abstossend, komisch und anrührend zugleich, war die schönste Überraschung des Abends», kommentiert ein Berliner Journalist. Sie spielt in verschiedenen Filmen, ziert sich auch für TV-Serien nicht und macht in der populären Serie «Lüthi und Blanc» mit. 2004 verabschiedet sich die 85-Jährige von der Bühne: Mit ihrer Enkelin Mona Petri philosophiert sie in «Savannah Bay», dem Zwei-Personen-Stück von Marguerite Duras, über das Leben und den Tod. Zwei Jahre später, nach mehreren