Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer. Franziska Schläpfer

Die Liebe ist ein schreckliches Ungeheuer - Franziska Schläpfer


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sein, – ich meine, man muss seine Lösung finden und die letzte Überzeugung von dieser Richtigkeit muss über die Rampe springen, wird über die Rampe springen. Es ist wichtiger, in sich Geschlossenes zu leisten, als Eingetrichtertes, Angelerntes zu reproduzieren. […] Du bist nun über 20 Jahre am Theater und musst selbst wissen, was Du willst. Ich habe immer wieder den Eindruck, dass Du Dir die Personen in ihrem äusseren Gehabe und Wirkungen vorstellst, anstatt die Personen ‹in sich› zu erfassen und nur von da aus zu gestalten. Dann kann man nicht mehr anders sprechen, gehen, sitzen, hören usf., weil man dieser Mensch ist (ihn nicht imitiert, spielt usf.). Das sage ich seit Jahr und Tag, ich kann es nur wiederholen. Glaube ja nicht, ich sei ärgerlich, nein, nur betrübt, dass Du Dich gegen diese Binsenwahrheiten im Grunde doch immer wieder stellst und Rechtfertigungen für erwiesen Untaugliches und Unerfolgreiches vorträgst. […] Wenn ich dies schreibe, ist es einfach, weil ich weiss, dass Du es schaffen könntest, immer, aber dass es am ‹Zwick an der Geisel›, an innerster Spielleidenschaft und Konzentration des Sicheinlebens sehr oft einfach fehlt. Modische Details, Bewegungen … (ausstudiert, erdacht) beherrschen viel zu sehr Dein Rollenstudium. Das sind … die letzten Sorgen und Arbeiten.»

      Misserfolge erlebt auch Heinrich. Anne-Marie tröstet: Er habe etwas aus eigener Kraft geschaffen, was ihm niemand so schnell nachmachen könne. «Ich bin zu fest von deinen aussergewöhnlichen Fähigkeiten überzeugt, als dass ich glauben könnte, dass deine Kurve nicht bald wieder aufsteigen wird.» Sie mahnt auch: «Gib nicht zu viel Geld aus, es genügt, dass ich es tue, der einzige Nachteil dieses an sich so herrlichen Hamburgs.» Sie hält ihren Mann gern zum Sparen an, er ermuntert sie präzise zum Gegenteil. Geld ist ihm nicht wichtig, Grosszügigkeit sehr. «Ende Februar», schreibt er im November 1961, «machen wir, wenn die Welt es erlaubt und Du nichts Verlockenderes hast, Ferien und geniessen die ‹erchrampfte› Freizeit […] Deine Anmerkung des ‹Verdienen-Müssens› darf nie der Impetus, die Basis der Entschlüsse sein. Wir schaffen’s auch sonst, schlimmstenfalls mit einigen Einschränkungen.» Trotz Arbeitslast pflegt Heinrich Fueter seine Lebenskunst in vielfältiger Weise: Konzerte, Theater, Essen mit Freunden, Gespräche bei Rotwein und Havanna-Zigarren.

      Im Februar 1964 der erste Herzinfarkt. Er ist 53. Der 19-jährige Martin, seit ein paar Monaten Kameraassistent und Aufnahmeleiter bei Condor, übernimmt mehr Verantwortung. Heinrich zieht in sein geliebtes Engadin, nach St. Moritz. «Kulturstätten wirken auf mich immer irgendwie vorwurfsvoll», kommentiert er seinen Umzug, man werde sich bewusst, wie wenig man wisse. Die Landschaft hingegen stelle keinen übertriebenen Kulturanspruch. «Jetzt ist es dann an der Zeit, dass wir wieder zusammen sind!», teilt er seiner Gattin gegen Ende des Jahres mit. «Nun bist Du so nah gewesen und fährst schon wieder weit weg. Für die Zukunft muss man sich eine solche Tournée gründlichst überlegen, ob sie was einbringt, oder ob man sie fallen lässt. Unser gemeinsames Leben ist ja auch absehbar, das müssen wir wohl mehr bedenken.» Andererseits sei ein beruflicher Ausstieg auch problematisch, er sehe dies schon an seinem Teilausstieg und sei doch acht Jahre älter. Im Übrigen lebe er zurzeit wirklich «arztkonform». Es wäre «ganz furchtbar», sollte das Engadin nicht heilend wirken. «Was dann? Wo dann?»

      Im November 1965 verliert er durch den Zusammenbruch der Aiutana Bank Ersparnisse und Firmenreserven. Erbschaftsgeschichten kommen dazu. Ein Filmprojekt endet als Scherbenhaufen. Zukunftsängste bedrängen ihn. Im Frühling 1966 lästert er über seinen Job, missratene Drehbücher aufzupolieren, Regisseure zu bezirzen, den technischen Leiter mit Samthandschuhen anzufassen, Verträge zu redigieren, Hoffnungen zu begraben. Er schildert nächtliches Herzklopfen, Schweissausbrüche – «und Denken, Denken, Denken». Dabei habe er sich zeitweise so gut gefühlt, dass ihm alle gesundheitlichen Befürchtungen übertrieben schienen. «Auf den langen Spaziergängen hatte ich weiss Gott Zeit, um eine Formel für mein eigenes und berufliches Leben zu finden.» Nun werde alles überschattet von depressiven Stimmungen, das stimme ihn «masslos traurig». «Aber Vernunft und Gemüt wandern eben verschiedene Wege.» Es sei schlimm, sich selbst wohl gar nicht so falsch einzuschätzen, aber aus sich und seinen Gedanken nicht ausbrechen zu können. Von der Firma nicht zu reden. «Alles, was ich sehe, ist halbbatzig und unkontrolliert. Die Leute merken rasch, wenn man nicht beisammen ist, oft nicht mehr mag, aber auch öfters einfach nicht (mehr) kann. Dazu muss man nach Aussen diese verfluchte, bewunderte Aktivität noch einigen Blinden und Halbblinden vorzutäuschen versuchen.»

      Im Herbst 1966 liegt Heinrich Fueter erneut auf der Intensivstation des Zürcher Waidspitals. Der zweite Herzinfarkt. «Frühstück in der Notfallstation 06.00, Mittagessen 11 Uhr, Nachtessen 17 Uhr. Abend und Nacht endlos. Ein milder, geistig harmloser Schnarcher hat dem armen ‹Lärmer› Platz gemacht. Wir glauben, dass er gestern verstorben ist. Denn es sind Blumengebinde mit Schleifen gekommen …» Regie- und Requisitenfehler gebe es auch hier. «Axel muss im Laden nur richtig und genau bestellen! Ich meine, die Lilien besser ohne Schleife ‹Letzter Gruss›. […] Ich bin schon etwas down, so lieb sie auch alle zu mir sind […] Du hast hinter meinem … Rücken mit dem Professor telefoniert … er erkundigte sich nach meiner Psyche. Aber, aber, ich berichte Dir doch alles – ist mir doch zur Zeit der Beichtstuhl näher als der Rennsattel. Nicht einmal zum Flachrennen reicht’s.» Peter-Christian bricht sein Studium der Theaterwissenschaft ab, verzichtet zugunsten des väterlichen Unternehmens auf einen eigenen Weg und wird sich für den Spielfilm engagieren: 1976 für «Riedland» von Wilfried Bolliger nach dem Roman von Kurt Guggenheim, 1977 für «Violanta» von Daniel Schmid nach der Erzählung «Die Henkerin» von C. F. Meyer.

      «Meine ferne Geliebte, aller guten Dinge sind 3! Da liege ich also wieder in diesem Wachraum», meldet er 1969 – und schildert auf gelben Condor-Nachrichtenzetteln den Nachbarn, die Geräusche, die Massnahmen. Alles Übrige wie in einer «bestgeführten, alten Familienpension». «Nur bekannte Gesichter, viel Sympathie und Lächeln und Lachen, ein organisiertes Kommen und Gehen, messen und kontrollieren, Pülverchen schlucken, stechen und einstellen. Alles wie gehabt! Mit einer etwas resignierten Apathie lässt man es geschehen.» Er habe sich so sehr aufs Engadin in dessen Herbstfarben gefreut, und mit der Arbeit wäre er «leidlich à jour» gewesen. – «Schon ist’s der 3. Tag und ich hab’ das Gefühl, dass der Wachraum noch ein wenig mein Stammquartier bleibt. […] Der Zimmerkollege wurde ausgetauscht – ich glaube, er ist dem Sargdepot näher gelagert worden. Jetzt schnarcht ein Herr Gross weiter nach dem 1. Infarkt – ein Anfänger also.» Draussen lichte sich über den Schrebergärten der Himmel. Aber die flammende Pracht des Engadins habe hier Mittelstandsniveau. Er fühle sich «behaglich verwöhnt». Alkohol werde vorläufig gelagert, «also sind Kranzspenden noch nicht erbeten».

      «Das erste Mal waren viele enttäuscht, dass ich davongekommen bin», scherzt Heinrich später in einem Interview. «Das zweite Mal war die Spannung nicht mehr so gross, weil meine beiden Söhne bereits im Geschäft waren, auch beim dritten Mal – ach, man gewöhnt sich daran, und ich habe mich von den Schwestern im Waidspital mit einer Champagner-Party verabschiedet: À la prochaine!» Seine Freunde glauben nicht mehr an seinen Tod, dem er während Jahren immer wieder entkommen ist; denn kaum dem Spital entronnen, lebe und arbeite er erneut schonungslos.

      1972, nach 25 Jahren, ist die Condor-Film AG zum grössten schweizerischen Filmproduktionsunternehmen angewachsen: gegen 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, 460 realisierte Filme, 270 national und international gewonnene Preise. Ein unternehmerisches Bravourstück, auf diesem «kommerziell schwierigen Gebiet» nie in die roten Zahlen geraten zu sein. Am Hochzeitstag schreibt Heinrich Fueter um drei Uhr morgens: «Mein Liebling – meine Hochzeitsmaid … während Du ruhst, denke ich zurück: 32 Jahre. ⅓ Jahrhundert, Zentrum unserer eigenen Wegstrecken. Ich danke Dir! Und beide wollen wir dankbar sein: kein Krieg, normale Kinder, Arbeit, oft Erfolg, Freunde, herzige Enkel und immer wieder beglückendes Zusammensein! Bleiben wir guten Mutes und Freunde in Liebe.» Ein halbes Jahr später, im September, liegt er wieder im Waidspital – und wünscht sich von seiner Frau jene Nachsicht, die sie vor einem Vierteljahrhundert von ihm erwartet hat. «Mein so geliebtes – und glaub es mir – über alles und allem! geliebtes Milein – rocher … meines siechenden Daseins», er baue seine «Lesehügel» ab. «Schmerzen, abgesehen von kleinen Bangigkeiten und nicht-organischen Herzbeschwerden, keine. Du wirst mir ja einen ‹offenen› Brief schreiben. Er wird sich decken mit jenen vielen, die ein ‹gescheiterer Heini› einem ‹dümmeren Heini› schreibt


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