Seit dieser Nacht war ich wie verzaubert. Corinne Rufli

Seit dieser Nacht war ich wie verzaubert - Corinne Rufli


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mich, wenn ich eine starke Partnerin an meiner Seite habe.

      Doch zurück zu dem, was äusserlich passierte. Kurz nachdem wir uns füreinander entschieden hatten, kauften wir mutig gemeinsam ein Haus. Das war 1982, ich war gerade 44 Jahre alt. Dieses Haus mit Garten war unser Paradies: Voller Rosen, Rhododendren, mit Apfel- und Aprikosenbäumen. Erst nachdem ich mit Eva zusammenzog und wir uns diesen Boden geschaffen hatten, der getragen hat, bin ich wirklich auf die Welt gekommen.

      Mit fünfzig Jahren reisten Eva und ich nach Big Sur in Kalifornien, an das Esalen-Institut. Hier fand ich den Weg zur bildenden Kunst, ein weiterer Wendepunkt in meinem Leben. Ich begegnete einem Maler, der mein Mal-Feuer weckte mit dem denkwürdigen Satz: «Es gibt einen Platz in der Hölle für Malerinnen, die ihren Auftrag nicht erfüllt haben.»

      Er machte Druck mit den Worten: «Wenn Malen deine Sehnsucht ist, dann warte nicht, bis du pensioniert bist, dann wird es zu spät sein. Lass dich ausbilden – jetzt!» Mein jüngster Gedichtband, der im Dezember 2014 erschien, heisst passend: «wann wenn nicht JETZT».

      Nach unserem Aufenthalt in Kalifornien belegte ich Kurse an der Kunstgewerbeschule in Zürich, absolvierte Fernkurse, setzte mich mit Zeichnen, Perspektiven, Licht, Schatten und Form auseinander. Ich wollte nicht einfach Hobbymalerin sein, ich wollte Malerin sein, das Handwerk von Grund auf lernen. Malen wurde mir zur Berufung. In der Welt der Farben und der Formen bin ich zu Hause. Meine Hingabe ans Malen hat mich nie wieder verlassen. Ich male mit wenigen Ausnahmen täglich. Seit 25 Jahren stelle ich in regelmässigen Abständen in renommierten Galerien aus.

      In den 1980er-Jahren machte sich eine Philosophie der offenen Beziehung breit unter dem Titel: «Zärtlichkeit und Treue». August E. Hohler stellte Liebe und Zärtlichkeit höher als eine eng verstandene Treue gegenüber nur einem Menschen. Vor allem geht es ihm um Treue sich selber gegenüber. Letztlich hatten Eva und ich es gerade dieser Diskussion zu verdanken, dass unsere Beziehung zustande gekommen war. Wir waren grundsätzlich offen für das Thema. Es liess sich jedoch nicht auf die Realität übertragen. Eva war und ist im Tiefsten auf eine Beziehung ausgerichtet und zur Untreue nicht fähig. Ich, die ich mit Nähe Schwierigkeiten habe, hätte eher fremdgehen können. Ich habe es auch versucht, aber Evas Schmerz hat mich eines Besseren belehrt.

      Obwohl es in unserem Bekanntenkreis seit jeher kaum Frauenpaare gab und gibt, leben wir eingebettet in ein ganzes Netz von Freundinnen und Freunden, die in traditionellen Beziehungen leben. Zärtlichkeit leben wir in unserem Alltag, in unserem Aufeinanderbezogensein.

      Ob ich in der Frauenbewegung war? Nein! Ich war nur bedingt an Politik interessiert. Ich führte ziemlich blauäugig und unangepasst mein Lehrerinnen- und Märchendasein. Ich bewegte mich in ganz eigenen, seelischen Kreisen. Ich war nicht ganz von dieser Welt. Erst durch Eva wurde ich politisiert. Auch durch meine Schulkinder wurde ich letztlich gezwungen, mich der Realität zu stellen. Ich wurde zu einer engagierten, auch feministischen Lehrerin.

      Mut

      ist die Milch

       die ich dir gebe

      du wirst

      eine Fliegerin sein

       eine

      die Schiffe erbaut

      Brücken schlägt

       und Bäume umarmt

      meine Tochter

       dein Name sei

       Aufbruch

      sei

      ich bin

      die ich bin

      Mit dem letzten Schultag schloss sich dann für mich das Tor zum beruflichen Auftrag, und es war gut. Von da an war ich Dichterin und Malerin. War und bin.

      1996 zogen wir aus unserem mehrstöckigen Haus in ein Terrassenhaus, alles bequem auf einem Boden, hell, mit Blick über das Reusstal in den weiten Himmel. Eine Wohnung mit integriertem Atelier – Herz, was willst du mehr? Dieses «mehr» kam allerdings sechs Jahre später auch noch. Am Genfersee drängte sich uns buchstäblich und ungeplant eine Zweizimmer-Ferienwohnung auf – direkt am See. Zum ersten Mal standen wir an meinem 64. Geburtstag in den beiden Räumen zwischen Wasser und Himmel: Wir konnten nicht anders, wir entschlossen uns Hals über Kopf zum Kauf.

      Seither verbringen wir die Hälfte des Jahres im Aargau, die andere am Léman. An beiden Orten male ich, und ich kann es immer wieder nicht fassen, was das Leben mir alles schenkt, und ich bin voller Dankbarkeit. Dankbar bin ich vor allem Eva, die mit mir unterwegs ist, die mich Acht samkeit lehrt dem konkreten Alltag gegenüber, den wir täglich bewusst feiern, vielleicht weil wir beide wissen, wie kostbar unsere gemeinsame Zeit ist – und wie begrenzt.

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      Karin, 48

      2009 liessen Eva und ich unsere Partnerschaft eintragen. Was wir nicht wussten: Auf dem Standesamt war für gleichgeschlechtliche Paare nicht vorgesehen, «Ja» zueinander zu sagen. Doch genau dieses «Ja» war uns wichtig. Ich unterbrach also die Standesbeamtin mitten in ihrer Zeremonie und fragte sie, wie das jetzt sei mit dem «Ja». Die Beamtin stutzte für einen Moment und war dann bereit, Platz zu schaffen für unseren Wunsch. Unter Tränen zelebrierten wir vor den versammelten Gästen unser «Ja».

      Die reformierte Kirche in unserem Dorf hätte uns erlaubt, die Trauung öffentlich in der Kirche abzuhalten – mit Glockengeläut. Ich wusste jedoch rasch, dass ich dafür zu dünnhäutig bin, dass ich emotional an meine Grenzen gekommen wäre. Deshalb beschränkten wir uns auf das Standesamt. Doch unser Pfarrer kam zu einem späteren Zeitpunkt mit uns nach Zürich ins Fraumünster. Unter dem blauen Chagall-Fenster mit der Jakobsgeschichte segnete er uns. Diese Segnung bedeutet uns auch heute noch viel. Wenn wir nach Zürich fahren, besuchen wir regelmässig «unser» Chagall-Fenster.

      Nun stellt sich noch die Gretchenfrage: Wie halt ich’s mit der Religion? Die Frage nach Gott beschäftigt mich, seit ich mit drei Jahren zum ersten Mal die Sonntagsschule besuchte. Eine Antwort auf mein Fragen «Wie ist Gott?» bewegt mich. Sie lautet: «Sie ist schwarz.» Das will heissen: Gott ist anders. Anders als wir sie oder ihn uns denken – nicht personal – und dennoch tragend, Leben schaffend und tröstlich.

      Wie wollte ich leben ohne den Trost, dass da etwas ist, das mich sieht und meint? In diesem Sinn glaube ich an Gott, wider alle Vernunft.

      Im Lauf meines Lebens ist mir klar geworden, dass meine Mutter mich eigentlich immer wieder sehr bewundert hat: Für meine Eigenwilligkeit, meine eigene Farbe, meine Originalität. Letztlich, denke ich, sind meine Mutter und ich aneinander gewachsen. Ich lebte eine lebenslange Sehnsuchtsgeschichte mit ihr, trotz – oder vielleicht wegen – unserer problematischen Anfangsbeziehung. Meine Liebe zu ihr war lange geprägt von meinem ungestillten Wunsch nach Akzeptanz und Gesehenwerden. Ich sehnte mich nach Mutterliebe, lange nachdem ich sie bereits hätte erleben können. Erst die vorbehaltlose Liebe meiner Mutter für meine beiden Partnerinnen zeigte mir die unauflösliche und bedingungslose Treue und Liebe meiner Mutter zu mir und meinem Weg. Es gab nie auch nur den kleinsten Disput, bei welchem meine Mutter bezweifelt hätte, ob ich auf dem rechten Weg sei. Mit dreissig hatte ich ihr am Telefon mitgeteilt, dass ich Frauen liebe. Es ist unglaublich, wie loyal meine so streng und eng erzogene Mutter mich begleitet hat auf dem Weg mit diesen Frauen. Sie hat beide geliebt. Sie liebte Ursula, sie liebte Eva. Sie kam zweimal im Jahr zu Eva und mir in die Ferien. Sie genoss jedes Zusammensein mit uns, nahm Anteil an unserem Leben und mischte sich nie in unsere Angelegenheiten ein.

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      Karin, 48

      Für meinen Vater war Frauenliebe kein Thema. Er wird mich erkannt haben, aber er sprach bis zu seinem Tod 1971 nicht darüber. Viel schwieriger war und ist mein Weg für meinen Bruder. Obwohl er Eva akzeptiert und achtet, ist ein Gespräch über mein ureigenstes Gewordensein mit ihm nicht möglich. Mit Evas Kindern ist die Situation in den langen Jahren unseres Zusammenseins geklärt und gut, und ich freue mich am Gedeihen unserer Enkel.


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