Der neue Taschen-Knigge. Herbert Schwinghammer

Der neue Taschen-Knigge - Herbert Schwinghammer


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für die Existenz eines Staates ein einigermaßen reibungsloses Zusammenleben der Individuen notwendig. Schon Kaiser und Könige in vergangenen Jahrtausenden mussten erfahren, dass ein unfreundliches Klima im Lande den ganzen Staat von innen heraus in Turbulenzen bringen kann. Und viele der Herrscher kannten aus Furcht davor kein anderes Mittel, als das Volk mit den ihnen gegebenen Machtmitteln so unter Druck zu setzen, dass das unfreundliche Klima einem ungefährlichen Klima der Angst Platz machen musste. Schon der Staatsphilosoph Thomas Hobbes, der im 17. Jahrhundert lebte, vermerkte in seiner Abhandlung „Der Staat als Instrument eines aufgeklärten Egoismus“: „Ferner empfinden die Menschen am Zusammenleben kein Vergnügen, sondern im Gegenteil großen Verdruss, wenn es keine Macht gibt, die dazu in der Lage ist, sie alle einzuschüchtern … So liegen also in der menschlichen Natur drei hauptsächliche Konfliktursachen: Erstens Konkurrenz, zweitens Misstrauen, drittens Ruhmsucht.“ Dem ist auch aus heutiger Sicht kaum etwas hinzuzufügen. Versuchen wir aber, den von Hobbes dem Menschen zugeschriebenen Eigenschaften neben unseren heutigen Gesetzen auch noch den freundlichen und höflichen Umgang miteinander entgegenzusetzen, dann könnte der „große Verdruss“ doch deutlich zurückgedrängt werden.

      Dieser freundliche und höfliche Umgang ist Teil der anderen, nicht durch den Staat verfügten Regeln. Sie sind im Lauf der Jahrhunderte gewachsen, haben sich in der Gesellschaft etabliert und werden während der Erziehung, die nicht nur auf das Kindesalter beschränkt sein muss, mündlich überliefert. Es ist also durchaus nicht abwegig, gute Umgangsformen als kulturelles Gut einer zivilisierten Gesellschaft zu betrachten.

      Hier kommt nun Adolph Freiherr von Knigge ins Spiel. Offensichtlich waren ihm gewöhnliche Erziehung und mündliche Überlieferung nicht sicher, aber vor allem auch nicht weitgehend genug. Er wurde mit dem Werk „Über den Umgang mit Menschen“ bekannt, das ganz im Sinne der Zeit der Aufklärung stand und gegen Ende des 18. Jahrhunderts erschien. Man wird diesem Werk und dem Autor in keiner Weise gerecht, wenn man es auf Benimmregeln reduziert, denn es geht in seinem Werk ganz speziell um Regeln des Umgangs untereinander. Knigge hält der Gesellschaft einen Spiegel vor, er spricht von Pflichten und Moral („Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.“), aber auch vom Umgang mit sich selbst („Respektiere Dich selbst, wenn Du willst, dass andere Dich respektieren sollen.") oder von der Gesellschaft ganz allgemein, wobei viele seiner Aussagen sehr gut auch noch auf unsere moderne Welt passen („In großen Städten gehört es leider zum guten Tone, nicht einmal zu wissen, wer mit uns in demselben Hause wohne.“). Erstaunlich, dass man in diesem Buch nicht ein Wort beispielsweise über das Benehmen am Tisch oder über die Kleiderordnung zu bestimmten Anlässen finden kann. Des Rätsels Lösung ist, dass schon bald nach Knigges Tod sein Werk vom Verlag mit diesen Themen fortgeschrieben und damit die Grundlage gelegt wurde, dass heute mit „Knigge“ vor allem das formale Benehmen beschrieben oder – noch weiter eingeschränkt – eine Fortschreibung höfischer Regeln vorgenommen wird. Für Knigge waren das aber eher Kleinigkeiten, die er – von seinem großen Ansatz aus gesehen – als Selbstverständlichkeiten betrachtete. Denn Benimmregeln sind nur ein Teil des Umgangs mit Menschen, vor allem dann, wenn sie rein formal aufgefasst werden. Anstand in allen Situationen des Lebens gegenüber anderen Menschen ist der große Rahmen, in dem das Leben in der Masse erträglich werden kann.

      Dementsprechend möchten wir auch für dieses Buch betonen, dass uns nicht nur die Form wichtig ist, auch wenn sie im Vordergrund steht. Niemandem ist damit gedient, dass zwar geschliffene Umgangsformen das Zusammenleben der Menschen bestimmen, aber kaum mehr der eigentliche Mensch dahinter erkannt werden kann. Die Folge wäre eine Anonymisierung der Gesellschaft, in der sich die Menschen stark ähneln, weil der ausschließlich formale Umgang jede persönliche Kante einschleift und Charaktereigenheiten nicht in den Vordergrund treten können. Eine solch „charakterentleerte“ Gesellschaft ist nicht viel besser als eine, in der das schlechte Benehmen regiert.

      In unserer heutigen Gesellschaft aber besteht die in den vergangenen Jahrhunderten nicht vorhandene Chance, die beiden Extreme abzulehnen und persönlichen Charakter zu zeigen und trotzdem gleichzeitig rücksichtsvoll zu sein sowie gute Umgangsformen vorweisen zu können. Denn sinnentleerte Formen sollten heute keine Chance mehr haben. Deshalb lohnt es sich, etwas für sympathisches Auftreten und gutes Benehmen zu tun, ohne zum Smalltalk- und Benimm-Roboter zu werden. Anstand und gutes Benehmen hat auch etwas mit Stil, Bildung und Intelligenz zu tun. Diese faszinierende Mischung lernt man aber nicht in Schule und Studium, sondern man kann sie „erfahren“, genährt aus Interesse an vielen Dingen, an immerwährender Lernbereitschaft und dem Mut, sich in (der) Gesellschaft zu zeigen.

      So ist das Wissen, dass Sie Weißwurst nicht wie Wiener Würstchen essen sollten oder dass für bestimmte Anlässe eine besondere Kleiderordnung vorgesehen ist, im Kontext einer höheren moralischen Ordnung zu sehen. Denn viele der Benimmregeln allein haben nichts mit dem hehren Ziel eines friedlichen Miteinanders gemein, sondern sie sind einfach nur praktisch und machen Sie im Umgang mit anderen Menschen sicherer. So sollten Sie auch dieses Buch betrachten: als eine Sammlung von praktischen Regeln und Beschreibungen von Umgangsformen, die das positive Klima in der Gesellschaft fördern und die zudem heutzutage noch praktikabel erscheinen. Vieles wird Ihnen bekannt vorkommen, manches ist vielleicht schon völlig in Vergessenheit geraten und anderes wird völlig neu für Sie sein. Es wird sich jedenfalls für Sie lohnen, wenn Sie sich mit den Benimmregeln vertraut machen, denn sie werden Ihnen in vielen Bereichen des Lebens Sicherheit geben! Die Grundlagen dazu können Sie aus diesem Buch erfahren – das Engagement, sie im Zusammenhang mit gesellschaftlich anständigem Verhalten umzusetzen, müssen Sie jedoch selbst aufbringen. Freiherr von Knigge würde sich darüber freuen.

       Tischlein deck’ dich …

      Es gibt verschiedene Anlässe, ein Essen im stilvollen Rahmen einzunehmen. Meist hängen sie mit einem gesellschaftlichen Ereignis oder einer größeren Einladung im privaten Bereich zusammen. Auch im Berufs- und Geschäftsleben wird häufig eine wichtige, in der Regel positive Veränderung mit einem Restaurantbesuch eingeläutet. So kommt es vor allem im gehobenen Management vor, dass im Büro begonnene Vorstellungsgespräche während eines Essens ihren Abschluss finden. Welche verheerenden Folgen kann es in solchen Momenten haben, wenn – um nur ein Beispiel zu nennen – für die Vorspeise das Messer des Hauptgangs verwendet wird. Das Verhalten bei Tisch kann also durchaus entscheidend für die Zukunft sein.

       Der perfekt gedeckte Tisch

      Für den Feinschmecker gibt es wohl kaum etwas Anziehenderes als einen wunderschön eingedeckten Esstisch mit einer schier unüberschaubaren Menge an Tellern, Gläsern, Besteck, Tüchern, Blumen, Kerzen und vielem anderen mehr. Er weiß, dass die scheinbar chaotische Vielfalt ihre genaue Ordnung hat und dass er sich mit einem erwartungsvollen Gefühl an diesen Tisch setzen kann.

       „Anstandsfallen“ umgehen

      Andererseits gibt es aber nicht wenige Menschen, die angesichts eines derart reich eingedeckten Tisches unruhig werden. Sie fürchten sich vor einer Blamage, weil sie eine Reihe von „Anstandsfallen“ auf diesem Tisch vermuten. Tatsächlich wissen heutzutage nur wenige Menschen, was sie mit all dem Besteck, den vielen Tellern und Gläsern anfangen sollen. Denn der klassisch eingedeckte Tisch ist für viele die Ausnahme, die aber gerade dann eintritt, wenn ein gesellschaftliches Ereignis ansteht und das Publikum als besonders kritisch eingeschätzt wird.

       Das Einmaleins des Eindeckens

      Aber nicht nur der Gast sieht einem Festessen möglicherweise mit Bangen entgegen, sondern oft auch der Gastgeber, der ein solches Ereignis privat zelebrieren möchte. Denn er muss die Tischregeln genau kennen, wenn er einem Kenner nicht Anlass zur Kritik geben will und sich nicht – im Gegensatz zum unwissenden Gast – durch Beobachten durchmogeln kann. Wir wollen Ihnen in diesem Kapitel die nicht ganz einfachen Tischregeln näher bringen, sodass Sie, ob Gast oder Gastgeber, vor einem an sich schönen


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