Toter Regens - guter Regens. Georg Langenhorst

Toter Regens - guter Regens - Georg Langenhorst


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Thiele sah ihn verständnislos an. „Katholisch hin oder her, ich kenne mich in dem Laden doch auch nicht aus! Wir müssten einfach mehr darüber wissen, wie so ein Priesterseminar von innen funktioniert. Wer wofür zuständig ist. Welche Spannungen es gibt. Welche Konfliktfelder“, ergänzte der Kommissar, zuletzt wieder ganz sachlich.

      „Der Täter“ – er schaute nickend zu Thiele hinüber und ergänzte – „doch, ich glaube schon, dass das ein Mann war, so wie der Mord ausgeführt wurde, und in dem ganzen Zusammenhang mit dieser seltsamen Männerwelt da … Also: Der Täter stammt aus dem Umfeld dort, davon bin ich überzeugt. Wie kommen wir da näher ran?“

      „Meinst du, dass die überhaupt irgendetwas nach außen dringen lassen wollen? Gibt es da nicht irgend so eine Art Corps-Geist oder wie das heißt? Haben wir da überhaupt eine Chance, an die heranzukommen?“, gab Thiele zu bedenken. „Kann sein, dass du recht hast mit deinen Befürchtungen“, stimmte Kellert zu. „Oder auch nicht. Vielleicht gibt es da auch einige, die noch eine interne Rechnung begleichen wollen und gerade deshalb aus dem Mannschaftsgeist ausscheren. Werden wir ja sehen.“

      Der Blick des Kommissars verlor sich in den Luftschichten unter der Zimmerdecke. Nachdenklich blickte Thiele seinen Chef an. Irgendetwas stimmte mit Kellert in der letzten Zeit nicht. Doch, er konzentrierte sich auf jeden neuen Fall wie auf alle Fälle zuvor. Aber ihm fehlte … ja was? Die Leichtigkeit? Die Freude an der Arbeit? ‚Ich muss ein bisschen auf ihn aufpassen‘, gab sich der Jüngere mit auf den Weg. Wohl wissend, dass der Ältere diesen Gedanken empörend fände.

      6

      Günther Dietz, Spiritual des Priesterseminars der Diözese Friedensberg, fühlte sich sichtlich unwohl, er rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und spielte fahrig mit einem Kugelschreiber. „Das müssen Sie verstehen, Herr Kommissar“, hatte er gleich nach der Begrüßung gesagt. „Ich war noch nie bei der Polizei. Noch nie! Und ganz ehrlich: Ich hätte auch jetzt nur zu gern darauf verzichtet.“

      Dietz war Ende fünfzig, vielleicht aber auch schon Anfang sechzig: braun gebrannt, kraftvoll und – Beate, Kellerts Frau, hätte gesagt – ‚gut aussehend‘. Er hatte volles, kurzgeschnittenes, offenbar immer noch natürlich dunkelbraunes Haupthaar und einen gut gepflegten dünnen Oberlippenbart. Einen Kollar trug er nicht. Stattdessen eine modische, perfekt gebundene Krawatte sowie Hemd und Sakko, beides gewiss nicht von der Stange gekauft. ‚Ein Typ, bei dem ich nie denken würde, dass er Priester sein könnte‘, dachte Kellert. ‚Eher Versicherungsmakler. Oder Therapeut. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich den kenne. Das Gesicht kommt mir bekannt vor. Aber woher? Keine Ahnung!‘

      „Was macht denn eigentlich ein Spiritual?“, wollte Kellert wissen. „Ach Gott, tja: Was mache ich?“, besann sich Dietz, wurde aber sofort ruhiger und konzentrierter. „Wissen Sie, ich war lange Jahre ganz normaler Gemeindepfarrer. Nicht in Friedensberg, sondern drüben in Mönchshofen. Da war ich gern. Das war auch nicht leicht, das können Sie mir glauben, aber ich hatte immer das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Und konnte spüren, dass meine Arbeit Früchte trug bei den mir anvertrauten Menschen.“

      Sein Tonfall änderte sich. „Dann fragte mich der Bischof, ob ich bereit sei, das Amt des Spirituals zu übernehmen. Vor vier, nein jetzt schon viereinhalb Jahren war das. Das konnte ich ihm nicht ausschlagen. Dachte ja auch, das sei ganz interessant. Ist es ja auch, ist es ja auch.“ Er blickte eine Weile vor sich hin. Kellert ließ ihn gewähren, weil er wusste, dass hier jemand dabei war zu erzählen. Das brauchte seine Zeit. Thiele trommelte ungeduldig, aber fast lautlos mit den Fingern der rechten Hand auf der Schreibtischplatte.

      „Tja: Was mache ich da?“, setzte Spiritual Dietz wieder ein. „Ich bin zuständig für die spirituelle Ausbildung der Alumnen, so nennen wir die Priesterseminaristen. Versuche sie zu beraten im Blick auf ihre Entscheidung, Priester zu werden. Stehe als Zuhörer und Beichtvater zur Verfügung. Oder vermittle andere Beichtväter, wenn ein Alumne das will. Versuche ihnen eine Gebetspraxis zu zeigen, die sie durch das Leben trägt. Manche suchen Angebote für Meditationsformen. Gut, dann helfe ich ihnen auch dabei. Gestalte mit ihnen Gebetsstunden und Gottesdienste. Organisiere Exerzitien, also geistliche Tage des Rückzugs und der inneren Einkehr. So ungefähr sieht das aus.“

      Dietz lehnte sich zurück, war offensichtlich mit seiner Beschreibung der eigenen Tätigkeit nicht unzufrieden. Kellert fragte nach: „Aber – wenn ich Sie richtig verstanden habe – Sie trauern irgendwie Ihrer alten Tätigkeit doch noch nach, oder?“

      „Ja, haben Sie den Eindruck?“, gab Dietz zurück. „Mag sein. Die Zeiten haben sich geändert. Für uns Jungspunde im Priesterseminar damals war der Spiritual eine Autorität, unantastbar, hoch verehrt. Heute begegnen mir viele der Alumnen eher indifferent, manche sogar feindlich. Als wollte ich denen etwas aufzwingen, was sie gar nicht wollen. Als würde ich sie kontrollieren, wo es mir doch nur um Hilfsangebote geht. Nicht alle sind so, aber eben immer mehr. Das macht die Arbeit schwierig und mühsam. Man bekommt nur wenige ermutigende Rückmeldungen.“

      Wieder dachte er einige Zeit nach. „Wir früher, wir haben uns als Gruppe verstanden, als Jahrgang, auf den wir stolz waren. Ich treffe mich noch heute mit den Mitbrüdern, mit denen ich zusammen zum Priester geweiht wurde. Wir sind schon sehr verschieden, klar. Aber ‚Weihejahrgang 1987, Bistum Friedensberg‘, auf dieses – wie sagt man das heute? – ‚Label‘ sind wir stolz. Heute dagegen“, er suchte ganz offensichtlich nach einer geeigneten Formulierung, „heute gibt es keine Gruppen mehr, sondern nur noch Individualisten. Jeder sein eigener Einzelfall. Jeder ganz speziell. Das macht unsere Arbeit schwer.“

      „Hmm, danke für die Einschätzung! Nun aber etwas ganz anderes“, sagte Kellert nach einer kurzen Gesprächspause. „Wo waren Sie denn nun gestern Abend und heute Morgen? Man hat Sie im Priesterseminar ja bereits vermisst!“ „Wie, vermisst?“, verständnislos schüttelte Spiritual Dietz den Kopf. „Ich war drüben in Mönchshofen. Da arbeite ich ja immer noch gelegentlich als Aushilfe mit, wenn ein Priester benötigt wird. Ich habe da im Pfarrhof auch immer noch eine kleine Wohnung, wo ich zur Not übernachten kann. Die nutze ich aber nur selten.“

      „Und kann jemand bezeugen, dass Sie dort auch spätabends noch waren, sagen wir mal gegen zweiundzwanzig Uhr?“ „Ist das die Tatzeit? Wurde Norbert, also Regens Görtler, da umgebracht?“ Kellert notierte sich die verwendete Anrede mit Vornamen und nickte seinem Gegenüber bestätigend zu. Der fuhr fort: „Natürlich war ich da zu Hause, also eben in meiner kleinen Zweitwohnung. Aber ob das jemand bezeugen kann? Sehen Sie: Wieder mal so ein Nachteil des Zölibats. Da war ich allein in der Wohnung. Natürlich allein! Ob mich da jemand gesehen hat – keine Ahnung.“

      „Aber wieso waren Sie überhaupt noch dort? Sie hatten doch am nächsten Morgen hier in Friedensberg einen Termin mit Ihren Kollegen“, warf Thiele ein, der den Eindruck hatte, dass Kellert dieser Gedanke entgangen war. – „Ich hatte dort heute Morgen ein unverschiebbares Trauergespräch. Der Sohn einer Familie, die ich seit zwanzig, ach was: dreißig Jahren kenne, ist an Krebs gestorben. Furchtbar. Der Tod hält sich nicht an Terminkalender. Das ging einfach vor.“

      Er atmete durch die Nase hörbar aus und blickte von Thiele zu Kellert in der Hoffnung, dass nun alles gesagt war. Er wollte dieses Zimmer wieder verlassen, je eher, desto besser. Aber Kellert hatte noch weitere Fragen: „Gut, all das lässt sich natürlich überprüfen“, hierbei nickte er vielsagend zu Thiele hinüber. „Aber warum haben Sie denn nicht im Priesterseminar Bescheid gegeben, wo Sie sind? Subregens Arenhövel hatte keine Ahnung, wie er Sie erreichen sollte.“

      „Ach, der Maxi“, murmelte Dietz vor sich hin, leicht abwertend, ein bisschen resigniert grinsend, wie es Kellert schien. Der Spiritual aber fuhr fort: „Ich weiß nicht, wie es Ihnen damit geht, meine Herren. Aber ich bin ein Handy-Hasser. Ich mag die Dinger einfach nicht. Natürlich habe ich heute Morgen mehrere Male versucht, Regens Görtler zu erreichen. Da ging aber nie einer ran. Konnte ja auch keiner … Na ja, und zu einem Trauergespräch nehme ich grundsätzlich kein Handy mit. Prinzipiell. Wirklich


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