Toter Regens - guter Regens. Georg Langenhorst
und entlockte beiden ein zustimmendes Nicken: unbeschwert, lächelnd, mit einem leichten Anflug von Ironie bei Dietz, mit leichter Verzögerung und verkniffen bei Arenhövel.
„Nun denn: Hatte Regens Görtler Feinde? Gab es Streit oder Konflikte, die über das normale Alltagsmiteinander hinausgingen?“ „Sie sind gut“, brach es spontan aus Arenhövel heraus, „was glauben Sie, wie unser Alltag hier aussieht? Natürlich gibt es Streit, natürlich gibt es harte Konflikte. Ständig. Wir entscheiden hier über Lebensläufe. Wir müssen erwachsenen Männern sagen, was geht und was nicht. Wir entscheiden, wer aufgenommen wird, wir entscheiden, wer bleiben darf. ‚Göttliche Berufung‘ – gut und schön; aber wir müssen herausfinden, ob die vorliegt. Und durchträgt.“
Dietz hatte ihm beruhigend die Hand auf den Arm gelegt und unterbrach nun den heftigen, emotionalen Redeschwall. „Wir wollen vor allem natürlich dabei helfen, dass die jungen Männer ihren Weg selbst finden. Wir können sie dabei schon sehr gut unterstützen. Es ist keineswegs so“ – hier wandte er sich vor allem an Kellert – „als ob wir hier ständig nur Probleme hätten. Es gibt auch gute Phasen des Miteinanders. Das ist eigentlich der Normalfall. Wir versuchen vor Gott unser Leben zu gestalten, im Gebet, in Gottesdiensten, im Studium, in gemeinsamer Verantwortung für die Kirche. … Klar“, nun blickte er auf Arenhövel, „sicherlich gibt es auch Konflikte. Wie sollte das anders sein, wenn so viele Menschen auf relativ engem Raum zusammenleben; und wo einige eben das Sagen haben und die anderen sich fügen müssen. Aber das ist doch ganz normal, oder?“
„Schon“, gab Kellert zurück, „das beantwortet aber nicht meine Frage. Bitte konkret, meine Herren. Gab es so etwas wie Feindschaften? Gab es zuletzt besondere Probleme?“ Die beiden Kleriker sahen sich an, rangen sichtlich innerlich darum, was sie erzählen sollten, was nicht.
„Sie wollen also, dass wir Ihnen etwas aus der Gerüchteküche erzählen!“, schnaubte Arenhövel. „Was glauben Sie, was man sich hier so alles erzählt. Und anderswo über uns. Aber das ist zum Teil so unter allem Niveau, davon werden Sie von mir nichts hören. Nichts!“ Spiritual Dietz nickte zustimmend, kratzte sich am Kinn und ergänzte dann: „Das können Sie wirklich nicht erwarten, meine Herren. Aber es gab schon Konflikte, die mehr waren als ein Gerücht. Und darüber, Maximilian“ – hier blickte er zu Subregens Arenhövel –, „können wir schon sprechen, meine ich.“
Arenhövel blickte eher skeptisch auf seinen älteren Kollegen. Sichtlich widerwillig ließ er ihn weiterreden. „Es ist ja kein Geheimnis, dass Regens Görtler Weihbischof werden sollte.“ Arenhövel fuhr empört auf. „Komm, komm, Maximilian, das pfeifen die Spatzen Friedensbergs von den Dächern“, wies ihn Dietz zurecht. Kellert bestätigte, um Arenhövel zu beruhigen und den Redefluss des Spirituals nicht zu stoppen: „Stimmt, das ist auch schon zu uns vorgedrungen.“
„Na siehst du, Maximilian! Nun, es gab – sollte ich besser sagen: gibt? – einen anderen Kandidaten: Domkapitular Dr. Franz Joseph Breskamp. Der vertritt eher, ich sage das jetzt mal so, einen konservativen Flügel im Bistum. Macht uns ständig Druck: ‚Liefert uns Priester, wir brauchen Leute!‘ Wir hier sagen immer: ‚Gern, solange sie wirklich geeignet sind.‘ … Na ja, nur so ein Beispiel, wie unterschiedlich die Positionen sind. Breskamp würde wirklich gern Weihbischof werden. Und es gibt viele im Bistum, die ihn darin massiv unterstützen, glauben Sie mir.“
„Das klingt aber eher nach Konkurrenz als nach Feindschaft“, warf Kellert ein. Arenhövel nickte heftig und demonstrativ. Dietz blickte den Kommissar schräg an und grinste bitter: „Schon, aber die Grenzen sind doch oft fließend, oder? Wo hört Konkurrenz auf, wo beginnt Feindschaft? Jedenfalls: Vor ein paar Wochen gab es einen ziemlichen Eklat.“ „Günther! Das geht jetzt aber wirklich zu weit!“, fiel ihm Arenhövel, der seinem Kollegen die ganze Zeit unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschend mit mühsam unterdrücktem Unwillen zugehört hatte, ins Wort.
„Ach was: Sie werden es eh erfahren. Also warum nicht jetzt? Bei der Verabschiedung des letzten Weihejahrgangs, also der in diesem Jahr neu geweihten Priester – zwei übrigens – das war Anfang August …“ Er hatte den Gesprächsfaden verloren, räusperte sich, setzte dann noch einmal neu an: „… ja also: da hat Breskamp uns, vor allem natürlich dem Regens, komplettes Versagen vorgeworfen. Öffentlich, hier bei einem Fest, wo viele Leute auch von außen zugegen waren. ‚Sie sind viel zu kritisch‘, hatte er erregt gerufen: ‚Zwei gute junge Männer aus diesem Jahrgang haben Sie nicht zugelassen, nur weil die Ihnen nicht passen. So geht unser Bistum zugrunde! Wir brauchen dringend mehr Priester. Liefern Sie sie uns!‘ Also, ich habe in seinen Augen Hass gesehen, ja doch: Hass!“
„Nein, doch nicht Hass!“, korrigierte Arenhövel. „Die mögen sich nicht, Breskamp und der Regens, das ist schon richtig, äh …“, er korrigierte sich. „Entschuldigung: die mochten sich nicht. Aber Günther, wir reden hier doch über mögliche Mord-Motive oder nicht? Also bitte: Das liegt doch wohl auf einer ganz anderen Ebene.“ ‚Scheint mir auch so‘, dachte Kellert, ‚aber wer weiß: wenn dazu noch das Gefühl kommt, übersehen worden zu sein bei der Beförderung zum Weihbischof? Ein Gefühl der verweigerten Anerkennung?‘
„Braucht man denn wirklich so viele Priester?“, fragte Dominik Thiele, für den die Welt der Kirche weitgehend ein unbekanntes Terrain darstellte. „Na ja, schauen Sie sich doch mal hier um!“, entgegnete Arenhövel und schlug mit der rechten Hand einen großen Bogen um sich herum. „Das Haus ist für dreimal so viele Alumnen eingerichtet worden. Viele Zimmer stehen leer. Wir waren damals ein Weihejahrgang von vierzehn Neupriestern und ihr“ – er wies zu Spiritual Dietz – „sogar einundzwanzig, oder? Die starken Priesterjahrgänge gehen entweder in den Ruhestand oder sterben uns weg. Und bei uns werden jetzt pro Jahr zwei oder drei neu geweiht. Natürlich brauchen wir Neupriester!“
„Aber eben nicht jeden“, unterbrach ihn Dietz. „Wir müssen prüfen, ob die Kandidaten am Ende – nach aller nur denkbaren Förderung, die wir ihnen zuteilwerden lassen – für das schwere Amt geeignet sind. Theologisch, pädagogisch und menschlich. Wenn nicht, darf der Regens nicht zustimmen. So ist das! Und das ist richtig so!“
Kellert mischte sich wieder ein: „Und diese zwei Kandidaten, von denen eben die Rede war, denen der Regens in diesem Jahr seine Zustimmung verweigert hat …?“ „Ach so, Brunnhuber und Tholen“, überlegte Dietz, „tja, sehr unterschiedliche Fälle. Sag du etwas dazu, Maximilian, du kanntest die beiden besser.“
Sichtlich ungern fügte sich der Subregens dieser Aufforderung. Er fand jedoch keinen Grund, hier nichts zu sagen: „Ja, von mir aus. Also: Sascha Tholen. Ein guter Kerl. Kam aus dem Bistum Trier, stammte da irgendwo von der Mosel. Da wollten sie ihn wohl nicht, aber wir haben ihn damals aufgenommen. Da war ich aber noch gar nicht hier im Haus. Winzersohn. Sehr fromm. Aber …“
Er suchte sichtlich nach Worten. Dietz sprang ein. „… ein schlichtes Gemüt. Hat sein Studium mit Ach und Krach geschafft. Da haben viele Professoren wohl ein oder zwei Augen zugedrückt, weil sie wussten, dass er ja Priesterseminarist war. Die lässt man normalerweise nicht durchfallen. Na ja, bis auf diesen Professor Schulze-Vorrath. Der kannte da nichts. Manchmal hatte man schon den Verdacht, dass der die Leute aus unserem Haus besonders gern durchfallen ließ. Aber den haben Sie ja“ – er blickte zu Kellert – „dingfest gemacht, damals, wenn ich mich erinnere. Der sitzt doch jetzt hinter Schloss und Riegel. Das waren doch Sie damals, oder?“
Kellert nickte. Ja, der Spiritual hatte natürlich recht. Es erinnerten sich also noch andere an den Fall, den Kellert vor mehr als zwei Jahren in der Theologischen Fakultät aufgeklärt hatte. Er musste demnach damit rechnen, dass sein Name in kirchlichen Kreisen von daher geläufig sein konnte. Ob ihm das nun Vorteile verschaffte oder eher Ressentiments hervorrief, musste er beobachten. Aber es war gut, dass Dietz ihn hier – unbewusst – daran erinnerte, dass man ihn, Kellert, kennen würde.
Dietz – ‚Woher kenne ich das Gesicht bloß‘, fragte sich Kellert erneut – sprach unterdes weiter: „Ja, Tholen, der Sascha. Er konnte seinem Gegenüber einfach nicht in die Augen sehen. Blickte verstohlen nach unten. Verstehen Sie: So ganz normale menschliche Unterhaltung – das hat der einfach nicht gepackt. Bei Frauen war das extrem, aber auch Männern gegenüber gab es diese