Toter Regens - guter Regens. Georg Langenhorst

Toter Regens - guter Regens - Georg Langenhorst


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in anderen Beziehungen suchte. Meistens mit jüngeren Frauen. Als könnte man dadurch das Rad der Zeit zurückdrehen. So war Bernd Kellert nicht. Da war sie sich sicher. Und diese Sicherheit tat ihr gut.

      Sie selbst hatte anders auf die Veränderungen des Lebens reagiert. Beate Kellert hatte ihren sicheren Halbtagsjob als Steuerfachkraft gekündigt und mit zwei Freundinnen in Friedensberg ein eigenes kleines Steuerberatungsbüro eröffnet. Dort arbeitete sie oft lange, kam manchmal erst nach ihrem Mann nach Hause. Aber es war eine selbstbestimmte Arbeit, die ihr Freude machte. Bernd Kellert war froh, dass sie auf diese Weise den Übergang in die Phase des Familienlebens ohne Kinder so gut geschafft hatte. Er nahm gern in Kauf, dass er nun manchmal in ein leeres Haus zurückkam.

      Das so leer denn auch nicht war. Barry, der mit den Jahren dick gewordene orange-weiße Kater, wartete schon auf ihn. Das Tier hatte den Umzug anfangs sichtlich gehasst. Erst mit der Zeit hatte er sich an das neue Zuhause und die Umgebung gewöhnt. Inzwischen wusste er vor allem den großen Garten und die angrenzenden Nachbargrundstücke zu schätzen. Einen gewissen Anteil an seiner Gewichtszunahme hatte sicherlich die zeitgleich sich ereignende deutliche Reduktion des Mäusebestandes im Umfeld. Früher hatte Kellert den Kater eher ertragen als gemocht. Es war das Tier seiner Tochter. Da er seine Tochter liebte, akzeptierte er notgedrungen auch den Kater, von ihm zärtlich-verächtlich ‚Vieh‘ genannt.

      Das Verhältnis Mann–Kater hatte sich jedoch schon vor zwei Jahren geändert, als Barry einmal für fünf Tage verschwunden war. Da hatte sich Kellert – gegen seinen Willen – eingestehen müssen, wie sehr er ‚das Vieh‘ vermisst hatte. Es war eben doch Teil der Familie. Und schon wegen Barry war der Gedanke an einen Hund völlig unrealistisch. Ein Hund und diese Katze unter einem Dach – das würde niemals gutgehen.

      Dass ausgerechnet Jenny diesen Vorschlag gemacht hatte, der – streng genommen – der Kater gehörte, steigerte die Skurrilität dieser Idee nur noch ein weiteres Mal. „Wenn du Barry mit in deine Wohnung nach Friedensberg nimmst, dann können wir vielleicht über einen Hund nachdenken“, hatte Kellert gesagt. „Wie soll denn das gehen, Paps? In einer Studenten-WG!“, hatte Jenny zurückgegeben, der das derzeitige Arrangement ganz gut zu gefallen schien: Barry blieb ihre Katze, aber sie hatte keinerlei praktische Verantwortung. ‚Dir wäre es auch nicht Recht, Bernd!‘, ging ihrem Vater durch den Kopf. ‚Es würde dir schon fehlen, das Vieh!‘

      In jedem Fall: Hier in Polzingen hatte sich das Verhalten Barrys noch einmal radikal gewandelt. Er stromerte meistens um das Haus herum und hatte ein feinfühliges Gespür dafür entwickelt, wann Bernd Kellert nach Hause kam. Immer – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – begrüßte er ihn, sobald dieser von der kleinen Nebenstraße, die von der Bundesstraße am Fluss abzweigte, auf das Grundstück einbog.

      Ob er so wie heute mit seinem Sportrad ankam oder mit dem Auto, das Kellert nur benutzte, wenn das Wetter zu schlecht war oder er noch anderes zu erledigen hatte: Einige Minuten lang wich Barry dann nicht von seiner Seite. Erst irgendwann danach begab er sich wieder auf seine normalen Wege.

      Auch heute sprang ihm der Kater fast in das Vorderrad seines Sportrennrads, bewahrte aber genau den nötigen Sicherheitsabstand, um eine Kollision zu verhindern. „Barry!“, rief Kellert erschrocken, während er heftig abbremste und abstieg. „Eines Tages werde ich dich blödes Vieh noch überfahren!“ Trotzdem beugte er sich zu dem Kater hinab und strich ihm über das Nackenfell.

      Nach einem eilig heruntergeschlungenen Abendbrot – zwei Scheiben nicht mehr ganz frisches Bauernbrot mit Margarine und Schinken, dazu ein Glas Milch – stieg Bernd Kellert hinauf in den Dachboden seines Hauses. An dem alten Haus war immer noch und immer wieder etwas zu reparieren, auszubessern oder zu erneuern. Als Ausgleich zu seiner Tätigkeit im Beruf machte er diese Art von Hausarbeit gern. Ausgestattet mit alten, längst abgetragenen Kleidungsstücken machte er sich daran, eine frisch ausgebesserte Wand zu streichen. Als er fast fertig war, hörte er, wie sich die Haustür öffnete und wieder schloss.

      „Bernd?“, klang es von unten – die gewohnte Stimme seiner Frau Beate. „Ich bin hier oben, komme in ein paar Minuten zu dir“, rief er zurück, unterbrach seine Arbeit jedoch nicht, sondern beendete sie in aller Ruhe. Er trat zwei Schritte zurück, betrachtete sein Werk, schien zufrieden, packte die Arbeitsutensilien zusammen und ging nach unten, um sich erst einmal gründlich zu säubern.

      „Tja, wer tötet schon einen Priester?“ Kellert hatte seiner Frau von dem neuen Fall erzählt. Jetzt blickte er zu ihr hinüber. Sie hatten sich in ihr kleines, etwas winkliges, auf eigene Art gemütliches Wohnzimmer zurückgezogen. Barry war mit in das Haus hineingeschlüpft und machte es sich mitten auf dem Teppich bequem. Beate sah müde aus, erschöpft von einem langen Arbeitstag.

      „Damals war es doch einer aus dem unmittelbaren Umfeld“, erinnerte sich Beate Kellert an die Tötung des Dekans der Katholischen Fakultät. „Einer seiner Kollegen. Könnte das nicht dieses Mal auch so sein?“ „Das kann stimmen, ja. Täter stammen meistens aus dem direkten Lebenskreis der Opfer“, schloss sich ihr Mann ihrer Vermutung an. „Es ist mehr als wahrscheinlich, dass das dieses Mal ähnlich ist. Nur: Was heißt das bei diesem Regens? Was heißt ‚Lebenskreis‘ bei einem zölibatär lebenden Mann in einem Priesterseminar?“

      „Woher weißt du denn, dass der wirklich zölibatär gelebt hat? Man liest ja heute alles Mögliche, wie die so leben“, gab Beate Kellert zu bedenken: „Vielleicht liegt genau da ja auch das Motiv. Wer weiß?“ „Klar, daran habe ich natürlich auch schon gedacht“, entgegnete ihr Mann, „oder er war schwul, wurde erpresst oder was weiß ich. Solche Storys kennt man inzwischen nun wirklich zur Genüge. Aber irgendwie kann ich mir das nicht vorstellen. So blöd ist die Kirche doch nicht! Ausgerechnet bei einem Mann, der so sehr im Fokus der Öffentlichkeit steht, werden die sich schon sehr genau überlegen, wen sie dafür auswählen.“

      „Und wie geht es dir damit, in diese Männerwelt einzudringen?“, fragte Beate, nachdem sie einen Schluck Mineralwasser getrunken hatte. „Auf Frauen wirst du da wohl kaum stoßen, oder?“ – „Doch, klar gibt es da auch Frauen. Aber du hast schon recht. Natürlich ist das eine Männerwelt. Mit ganz eigenen Gesetzen, scheint mir. Ein bisschen kenne ich das ja von der Polizei. Als ich dort anfing, gab es da auch fast nur Männer. Hat sich ja geändert. Wobei die Typen bei der Polizei und dort im Priesterseminar schon sehr verschieden sind.“

      „Das will ich doch schwer hoffen“, gab Beate zurück. Sie lehnte sich zurück, gähnte, legte sich die rechte Hand auf den Mund und blickte ins Leere. Bernd Kellert schwieg, sinnierte seinen Gedanken nach. Auch sein Blick verlor sich in der Dämmerung des abendlichen Wohnzimmers. „Morgen werde ich seine Mitarbeiter noch mal genauer befragen“, fügte er dann an. „Und ich will mit einigen der Studenten aus dem Haus sprechen. Ich brauche einfach einen noch viel genaueren Einblick, wie es da zugeht.“

      9

      Sie saßen wieder in demselben ungemütlichen Besprechungszimmer des Priesterseminars. Dieses Mal aber zu viert: Kellert und Thiele, dazu Spiritual Dietz und Subregens Arenhövel. Die beiden Geistlichen waren zwar nicht begeistert gewesen, als Thiele sie angerufen und mit der Bitte um ein erneutes Gespräch konfrontiert hatte, aber natürlich hatten sie sich dann gefügt.

      Dietz hatte auch hier auf das Anlegen des Priesterkragens verzichtet, war wie am Vortag eher leger gekleidet. Arenhövel hingegen trug exakt dieselbe Kleidung wie gestern, entweder im buchstäblichen Sinne oder er verfügte über mehrere weitgehend identische Ausstattungen. Die beiden Kleriker saßen zwar nebeneinander auf der anderen Seite des Tisches, den beiden Polizisten gegenüber, fühlten sich aber Seite an Seite offensichtlich nicht besonders wohl. In ihrer Körpersprache wurde der Wunsch nach Distanz sehr deutlich. Die Sitzrichtung sowie die Arm- und Beinstellung wiesen deutlich voneinander fort. Kellert und Thiele fiel das natürlich sofort auf und sie machten sich ihre entsprechenden Gedanken.

      Arenhövel hatte es sich nicht nehmen lassen, eine blasse Kerze zu entzünden, die in einem Keramikhalter in der Mitte des Tisches stand. Das gehörte hier scheinbar zum Gesprächsritual. Und erinnerte den Kommissar an die ungelöste Frage, wer denn nun die Kerzen im Büro des Regens ausgelöscht hatte. Wahrscheinlich nach der Tat.

      „Ich frage Sie ganz offen und bitte Sie dringend


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