Toter Regens - guter Regens. Georg Langenhorst

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Arenhövel protestierte: „Das ist aber jetzt echt unfair, Günther! So verkürzt darf man das nicht sagen. Dr. Breskamp hat darauf gesetzt, dass sich diese menschlichen Qualitäten vor Ort noch entwickeln können. Das haben wir bei anderen unserer Kandidaten durchaus auch schon erlebt.“

      „Und was ist aus ihm geworden, aus diesem …?“ „Tholen, Sascha Tholen“, ergänzte Arenhövel. „Der ist nach Österreich gegangen. Hat dort – soweit wir das wissen – Aufnahme in einem Kloster gefunden. Und das könnte doch auch ganz gut zu ihm passen. Hoffe ich für ihn!“

      Kellert notierte etwas in sein Notizbuch und überlegte kurz. „Und der andere?“ „Der Brunnhuber Schorsch?“, antwortete Arenhövel, nachdem Dietz sich offensichtlich nicht zuständig fühlte. „Ganz anderer Typ. Blitzgescheiter Student. Hat Theologie als Zweitstudium belegt, hatte vorher schon einen Abschluss in Betriebswirtschaft.“ „Volkswirtschaft!“, unterbrach Dietz. „VWL? Von mir aus. Ja, kann sein. Der wollte was werden. Strebsam. Und: Der wäre auch was geworden …“ Er zögerte.

      „Wenn nicht was?“, fragte Thiele, nachdem niemand das Wort ergriff. Arenhövel blickte zu Dietz. Der ergänzte: „Nun, wir waren uns nicht sicher, ob er sein Zölibatsversprechen ernst meinen würde. Das ist ja auch nicht leicht, wirklich nicht. Und er hatte während des Studiums mindestens zwei Freundschaften, also“ – er blickte von einem Polizisten zum anderen und verzog dabei das Gesicht – „Liebschaften, mit allem Drum und Dran. Sie verstehen schon, was ich meine. Mindestens zwei. Von denen wussten wir. Und nach unserer Einschätzung hatte er auch nicht wirklich vor, etwas an dieser Art seiner Lebensführung zu ändern. Da konnten wir einfach nicht zustimmen. Das wäre ein klarer Verstoß gegen unsere Vorschriften.“

      „Aber auch das sah dieser … Dr. Breskamp anders?“, fragte Thiele nach. „Genau!“, erwiderte Spiritual Dietz. „Das sind halt die anderen Typen, die ihm gefallen. Schneidig. Großspurig. Selbstbewusst. ‚Wir brauchen auch künftige Führungstypen‘, meint er immer. Und da wäre er bereit, über Probleme beim Zölibat hinwegzusehen. ‚Das legt sich schon mit der Zeit‘, hat er mir einmal gesagt, ‚das kennen wir doch.‘ Echt! Das ist doch zynisch.“

      „Und was macht er jetzt, dieser …“ – „Schorsch, also Georg Brunnhuber“ – „Genau! Ins Kloster ist der wohl nicht gegangen, oder?“ Arenhövel verzog das Gesicht und antwortete: „Der und ins Kloster? Nun wirklich nicht! Was der jetzt genau macht, weiß keiner von uns. Aber er lebt wohl weiter hier in Friedensberg. Soll eine Wohnung mit einer Frau zusammen haben, natürlich unverheiratet; aber das ist wieder mal nur ein Gerücht. Keine Ahnung, ob das stimmt.“

      Erneut notierte Kellert etwas auf seinen Notizblock. Dann blickte er auf die beiden Geistlichen, die ihm gegenübersaßen. „Und, gab es weitere Konflikte in der letzten Zeit? Vielleicht auch untereinander? Ich meine: zwischen Ihnen in der Leitung des Priesterseminars?“

      Spiritual Dietz und Subregens Arenhövel blickten sich an. Dietz mit leichtem Grinsen, Arenhövel unsicher. Dietz übernahm die Antwort: „Wir sind sicher nicht immer einer Meinung gewesen. Und jetzt auch nicht. Das haben Sie ja gemerkt. Nein, wir sind halt auch verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Einstellungen. Wie Sie beide auch.“ Er wies zu Thiele und Kellert. „Sie sind sicherlich auch nicht immer einer Meinung, oder? Sehen Sie! Doch, wir streiten auch manchmal, klar. Aber als Kollegen! Als Mitbrüder! Wir waren eigentlich ein gutes Team, oder, Maximilian?“

      Arenhövel pflichtete ihm sofort bei, offensichtlich froh, nun wieder Seite an Seite mit dem Spiritual auftreten zu können. „Und andere Konflikte, also so richtig heftige, sind mir nicht bekannt“, ergänzte er.

      „Gut! Das wäre es dann vorerst. Danke, meine Herren“, verabschiedete sich Kellert. Dietz erhob sich, offensichtlich froh, das Gespräch hinter sich gebracht zu haben. Arenhövel blieb jedoch sitzen. Offenbar hatte er noch ein Anliegen: „Äh, Moment, Herr Kommissar …“ „Ja?“ Auch Kellert hatte sich schon bereit gemacht den Raum zu verlassen, wendete sich nun aber noch einmal dem Subregens zu.

      „Ich wollte oder sollte Ihnen doch noch etwas über Marcus Rühle sagen.“ Dietz seufzte laut auf, rollte mit den Augen, nahm aber wieder Platz. Die beiden Polizisten aber blickten Arenhövel fragend an. „Na unseren Repetenten, der gestern bei der Versammlung nicht mit dabei war.“ Richtig, den hatte Kellert völlig vergessen. Also setzten auch sie sich wieder. Thiele verbarg seine Ahnungslosigkeit hinter einem professionell neutralen Gesichtsausdruck. „Also …“, sagte Kellert ermutigend.

      „Vielleicht sollte ich erst einmal erklären, was das überhaupt ist, ein Repetent“, begann Arenhövel. „Na, da bin ich aber mal gespannt“, warf Dietz ein, während Thiele und Kellert dankbar nickten. Der Begriff sagte ihnen nämlich gar nichts. „Sie merken schon an der Reaktion meines Kollegen, dass wir das auch nicht so ganz genau wissen“, ließ sich Arenhövel nicht aus dem Konzept bringen. „Eigentlich reicht das klassische Trio aus, um ein Priesterseminar zu leiten, also Regens, Subregens und Spiritual. So war das bei mir damals, als ich hier studierte, und bei dir wahrscheinlich auch, Günther, oder?“

      Dietz nickte bestätigend, während Arenhövel weitersprach: „Na ja, vor ungefähr einem Jahr kam das Angebot aus dem Bistum, einen Repetenten mit hinzuzunehmen, der uns die Arbeit erleichtern sollte.“ „Angebot?“, knurrte Dietz. „Das war schon eher eine Dienstanweisung, würde ich sagen! Und ‚erleichtern‘? Wir haben nicht um ‚Unterstützung‘ gebeten und das Ganze hat sich auch kaum als ‚Unterstützung‘ herausgestellt.“

      „Entschuldigung, aber ich verstehe gar nichts“, warf Thiele ein. „Was macht der denn nun, dieser Repetent?“ „Eben, Herr Kommissar! Genau das ist die Frage!“, warf Dietz ein und beförderte Kriminalhauptmann Thiele damit unwissentlich zu jenem Rang, den dieser nur zu gern innehätte. Er ergänzte: „Das, genau das wissen wir bis heute auch nicht!“ Nun übernahm Arenhövel aber wieder die Gesprächsleitung: „Ich versuche es zu erklären. Also es ist so: Marcus Rühle ist ein Priester unserer Diözese. Er hat aber nicht hier in Friedensberg studiert, sondern in München und Rom. Er wurde vom Bischof zur Promotion freigestellt, soll also eine Doktorarbeit schreiben, und ist dann sicherlich für irgendein höheres Leitungsamt vorgesehen.“ „Oder für eine akademische Laufbahn als Professor“, warf Dietz ein.

      Unwirsch fuhr Arenhövel fort: „Wie dem auch sei. Das gibt es in jedem Bistum. Irgendwie wird also das künftige Spitzenpersonal ausgebildet. Rühle kann sich also auf seine Promotion konzentrieren. Schön für ihn. Das würden viele andere auch gern tun. Jedenfalls hat man dann in der Bistumsleitung überlegt, wie er sich in dieser Zeit nebenher in der Seelsorge nützlich machen könnte. Und ist dann auf die Idee gekommen, ihn als Repetent bei uns im Priesterseminar unterzubringen.“

      „Man kann auch sagen: zu parken“, ergänzte Dietz. „Die Idee war: Er soll unsere Alumnen beim Studium unterstützen. Manche tun sich da schwer. Die ausländischen Mitbrüder mit der deutschen Sprache, unsere mit Griechisch und Hebräisch oder in den einzelnen Fächern. Das war die Idee.“ Er schwieg und blickte mit rollenden Augen nach oben.

      „Aber …“, warf Kellert nach einigen Sekunden ein. Arenhövel griff die Aufforderung auf, suchte sichtlich nach Worten. „Ja, das war eben die Idee. Was Rühle wirklich macht, wissen wir bis heute nicht so genau. Er hat zwar ein Zimmer hier im Haus, aber mal ist er da, mal nicht. Mal nimmt er am Seminarleben teil, mal nicht. Mal macht er Angebote für unsere Alumnen, hält sie auch, dann ist er wieder unterwegs.“

      „Und das hat der Regens, also Dr. Görtler, einfach so hingenommen?“, fragte Kellert. „Der war doch eher so ein genauer, vollständig durchgeplanter Typ, wenn ich das bis jetzt richtig mitbekommen habe.“ „Stimmt schon“, entgegnete Dietz. „Nee, dem Norbert hat das gestunken, diese ganze Regelung, von Anfang an.“ Arenhövel wollte etwas entgegnen, aber der Spiritual kam ihm zuvor. „Es war so, Maximilian, das weißt du. Nein: Der Norbert hat von Anfang an versucht, gegen diese von uns ja gar nicht erwünschte Zuteilung zu protestieren. Aber das kam eben von oben. Von ganz oben. Da war nichts zu machen.“

      Kellert überlegte, versuchte sich das Szenario vorzustellen. Wie er reagieren würde, wenn das Polizeipräsidium ihn in eine vergleichbare Situation bringen würde. „Die


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