Spessartblues. Günter Huth

Spessartblues - Günter Huth


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an das andere Ohr und zwang sich dazu, das Thema zu ändern. »Was habt ihr gestern eigentlich für einen Fall reinbekommen? Einen Mord?« Ihm fiel im Augenblick nichts Besseres ein. Echtes Interesse hatte er, wenn er ehrlich war, im Moment nicht.

      »Nein, kein Tötungsdelikt im eigentlichen Sinne. Sieht auf den ersten Blick nach einem Suizid aus. Die Begleitumstände sind aber ziemlich mysteriös. Wir können ja, wenn du willst, später drüber reden.« Auch er wechselte zu einem unverfänglichen Themengebiet.

      »Wie bist du eigentlich mit dem Jeep Wrangler zufrieden, den ich für dich angemietet habe? Ich dachte, als Übergangslösung, bis du dir einen neuen fahrbaren Untersatz gekauft hast, ist er doch in Ordnung.«

      »Ja, ja, dafür bin ich dir wirklich sehr dankbar. Ich denke aber, ich werde heute erst mal mit dem Motorrad nach Würzburg fahren. Das Wetter passt ja.«

      Die beiden Freunde verabschiedeten sich voneinander.

      Nach dem Gespräch betrachtete Erster Kriminalhauptkommissar Brunner nachdenklich den Telefonhörer. Er ahnte, warum Simon Kerner heute nicht mit dem Wagen fuhr. Der gemietete Jeep war zwar kein Defender, in dem Kerners Lebensgefährtin Steffi zu Tode gekommen war, aber auch ein Geländewagen und daher für den Freund wahrscheinlich ebenfalls irgendwie belastend.

      Simon Kerner faltete sein Anzugjackett sorgfältig zusammen, dann packte er es in eine der beiden Motorradpacktaschen, die im Flur standen. In die andere Tasche verstaute er seine Straßenschuhe. Er schlüpfte in seine Motorradkombi, dann zog er die Stiefel an, der Helm lag neben der Garderobe auf dem Boden. Nachdem er fertig war, warf er sich die Packtaschen über den Arm und ging in die Garage. Einen Augenblick musterte er den dunkelgrünen Jeep, der an der Stelle parkte, wo vor Monaten noch sein schwarzer Defender stand. Nach dem schrecklichen Mordanschlag auf Steffi und ihn war das Fahrzeug nur noch ein Wrack gewesen und Eberhard Brunner hatte es mit seinem Einverständnis, nach Freigabe durch die Spurensicherung, verschrotten lassen. Da war er aber bereits auf dem langen Marsch. Er selbst hätte das sicher nicht fertiggebracht.

      Blitzartig und für ihn nicht kontrollierbar, tauchte vor seinem geistigen Auge die schreckliche Szene auf, in der Steffi hinter dem Steuer des Defenders sitzend in seinen Armen gestorben war.

      Kerner schlug keuchend mit der Faust gegen die Garagenwand. Der Schmerz vertrieb das Bild und zwang ihn in die Gegenwart zurück. Er schüttelte den Kopf, dann betätigte er die Fernbedienung und das Garagentor öffnete sich. Kerner schnallte die Packtaschen auf dem Motorrad fest, dann hob er es vom Ständer und rollte es auf die Straße hinaus. Das Tor schloss sich hinter ihm. Simon Kerner schwang sich in den Sattel und betätigte den Starter. Ohne Zögern sprang der Motor an. Ein dankbarer Gedanke galt seinem Freund Eberhard, der sich während seiner Abwesenheit auch um das Motorrad gekümmert hatte. Kerner klappte den Windschutz des Helms herunter, legte den Gang ein und gab Gas. Mit etwas gemischten Gefühlen fuhr er in Richtung Würzburg. Er wusste nicht, was ihn erwartete, und er war sich sicher, dass das, was er dem Präsidenten vortragen wollte, bei seinem Vorgesetzten sicher keine Begeisterungsstürme auslösen würde.

      In der Tiefgarage des Justizzentrums parkte er sein Motorrad, entledigte sich an Ort und Stelle seiner Motorradkleidung und zog sich das Anzugjackett über. In der Toilette im Parterre des Justizgebäudes warf er einen kurzen Blick auf seine äußere Erscheinung. Nachdem er sich mit dem Kamm noch einmal kurz durch die Haare gefahren war, betrat er den Aufzug und fuhr in das oberste Stockwerk. Er war froh, unterwegs nicht auf irgendwelche Kollegen zu stoßen. Ihm stand im Augenblick der Sinn absolut nicht nach wohlmeinendem Smalltalk. Er war sich absolut sicher, dass jeder Justizmitarbeiter im Hause von seinem Schicksal wusste.

      Kerner klopfte kurz an, dann betrat er das Vorzimmer des Präsidenten. Die Sekretärin begrüßte ihn freundlich, wobei ihm nicht entging, dass sie ihn verstohlen, aber gründlich von Kopf bis Fuß musterte.

      »Herr Kerner, nehmen Sie doch bitte kurz Platz, der Herr Präsident führt gerade noch ein Telefonat.«

      Kerner ließ sich auf einem der Besucherstühle nieder. Es dauerte keine fünf Minuten, dann öffnete sich die Verbindungstür und Präsident Kräuter kam herein. Mit ausgestreckter Hand kam er auf Kerner zu.

      »Mein lieber Kerner, es freut mich sehr, Sie gesund und munter wiederzusehen. Seien Sie gegrüßt!« Er schüttelte Simon Kerner, der sich erhoben hatte, kräftig die Hand. »Sie entschuldigen bitte, dass Sie etwas warten mussten.«

      »Grüß Gott, Herr Kräuter! Kein Problem.«

      Präsident Kräuter ließ Kerner vorgehen und bot ihm einen Platz am Besprechungstisch an. Das Büro hatte eine wahrlich präsidiale Größe und die durchlaufende Fensterfront bot einen bemerkenswerten Ausblick auf die Dächer von Würzburg. Auf dem Tisch standen eine Thermoskanne und ein Tablett mit Kaffeegeschirr. Kerner registrierte sofort drei Gedecke. Offenbar wurde noch eine dritte Person erwartet.

      Kräuter griff nach der Thermoskanne und warf Kerner einen fragenden Blick zu. »Sie trinken doch einen Kaffee mit?«

      »Gerne«, gab er zurück.

      Nachdem ihm der Präsident eingeschenkt hatte, wies er auf das dritte Gedeck. »Ihr Einverständnis vorausgesetzt, werde ich etwas später den Kollegen Rothemund hinzubitten. Aber zunächst einmal möchte ich mich mit Ihnen alleine unterhalten.« Er gab sich etwas Zucker in seine Tasse und rührte gründlich um.

      Simon Kerner nickte wortlos. Er nahm einen kleinen Schluck von dem heißen Gebräu, dann wartete er schweigend darauf, dass sein Gegenüber das Gespräch begann. Nachdem er nun wusste, es würde Armin Rothemund, der Leitende Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Würzburg, hinzugezogen werden, erhöhte sich seine innere Anspannung. Rothemund war all die Jahre sein Mentor und Förderer gewesen. Seit den Ereignissen rund um die Ermordung Steffis durch den Wilderer Wolfgang Hasenstamm hatte er mit Rothemund nicht mehr gesprochen.

      Der Präsident lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah Kerner prüfend in die Augen.

      »Herr Kerner, wie geht es Ihnen? … und ich möchte jetzt nicht irgendwelche Allgemeinplätze hören, sondern die Wahrheit.«

      Kerner gab den Blick offen zurück. »Es geht mir ausgezeichnet. Die Auszeit und die Pilgerreise haben mir sehr gutgetan. Ich bin bereit, mein Richteramt wiederaufzunehmen.« Er verstummte.

      Kräuter atmete tief durch. »Mein Lieber, Sie haben einen dramatischen Verlust erlitten und waren auch selbst in großer Gefahr. Das bleibt nicht so einfach in den Kleidern hängen. Sie haben die Antwort auf meine Frage auf Ihre körperliche Fitness bezogen. Was mich aber mehr interessiert: Wie steht es mit Ihrer seelischen Verfassung?«

      Kerner zögerte einen Moment, dann entschloss er sich, mit offenen Karten zu spielen.

      »Ich muss das differenziert beantworten. Was meine eigene Bedrohung betraf, habe ich die Erlebnisse ganz gut weggesteckt. In meiner Militärzeit, als Mitglied einer Sondereinheit, war ich häufiger in Lebensgefahr. Da hat man gelernt, damit umzugehen.« Er atmete einmal tief durch. »Was den Verlust meiner Lebensgefährtin betrifft, hatte ich während meiner Reise reichlich Zeit für Trauerarbeit. Auf dieser Wunde hat sich zwar Schorf gebildet, aber sie ist noch lange nicht geschlossen. Aber ich denke, ich sollte mich jetzt wieder in meine Arbeit stürzen. Das wäre für mich wohl die beste Therapie.«

      Der Präsident nahm einen Schluck von seinem Kaffee. »Ich würde es natürlich sehr begrüßen, wenn die Behördenleitung in Gemünden wieder ordnungsgemäß besetzt wäre. Sie wurden zwar vom Kollegen Becker vertreten, aber Sie wissen ja wie das ist. Ein Vertreter trifft kaum wegweisende Entscheidungen. Und das tut einer Behörde und ihrem Personal nicht gut.«

      Er erhob sich, trat an seinen Schreibtisch und nahm den Telefonhörer in die Hand.

      »Wenn Sie damit einverstanden sind, würde ich jetzt gerne Kollegen Rothemund zu unserem Gespräch hinzuziehen. Er und ich haben uns einige Gedanken zu Ihrer Person und Ihrem weiteren Werdegang gemacht.«

      Ohne eine Antwort von Simon Kerner abzuwarten, wählte er eine Nummer. Das Gespräch beinhaltete nur einen knappen Satz, dann legte er wieder auf.

      »Einen kleinen Moment, er ist schon auf


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