Spessartblues. Günter Huth

Spessartblues - Günter Huth


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war jedoch Realist genug, um zu wissen, dass die Argumente der beiden Männer durchaus fundiert waren. Auch die Mitteilung, dass ein weiterer Richter nach Gemünden abgeordnet worden war, um ihn zu entlasten, war schon ein weitreichender Schritt, der ihm eine Ablehnung des Vorschlags der beiden Männer fast unmöglich machte. Kerner atmete einmal tief durch.

      »Herr Präsident, lieber Armin, von der Fürsorge, die Ihren Worten zu entnehmen ist, bin ich tief beeindruckt. Ich kann Ihre Sorge um das Ansehen der Justiz sehr gut verstehen und auch mir liegt viel daran, die Rechtsprechung beim Amtsgericht Gemünden aus der Sicht der Bürger nicht negativ zu belasten. Sie können mir glauben, auch ich habe mir in den letzten Wochen viele Gedanken darüber gemacht, wie mein privates und auch berufliches Leben weitergehen soll. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis ich mit dem Tod meiner Lebensgefährtin einigermaßen umgehen kann. Ich denke aber, Arbeit als Therapie ist nicht die schlechteste Lösung. Ich danke Ihnen wirklich sehr für Ihr Verständnis. Es ist mir klar, dass ich mich zeitnah privat und dienstlich neu sortieren muss. Dabei werde ich Ihr Angebot ernsthaft in Erwägung ziehen.«

      Der Präsident und der Leitende Oberstaatsanwalt nickten verständnisvoll.

      »Herr Kerner, lassen Sie sich unseren Vorschlag in Ruhe durch den Kopf gehen. Wenn Sie uns in zwei Wochen Bescheid geben, ist das in Ordnung. Aber bitte nicht länger, da im Falle Ihrer Zusage die Justizverwaltung Ihre Nachfolge in Gemünden regeln muss. Das werden sie sicher verstehen.«

      Der Präsident erhob sich, womit er klarstellte, dass dieses Gespräch für ihn damit beendet war. Auch Rothemund stand auf. Er und Kerner verabschiedeten sich von Kräuter. Draußen auf dem Flur standen die beiden noch einen Augenblick zusammen.

      »Simon, bitte tu dir den Gefallen und folge unserem Vorschlag. Präsident Kräuter hat es nicht so deutlich ausgeführt, aber die Ereignisse um den Tod Hasenstamms haben ziemlich hohe Wellen geschlagen. Unser Angebot wäre für dich die Chance für einen wirklichen beruflichen und vielleicht auch privaten Neubeginn. Du weißt, in meiner Person findest du immer einen verständnisvollen Ansprechpartner.«

      Kerner bedankte sich bei Rothemund und die beiden verabschiedeten sich voneinander. Simon Kerner verließ das Justizzentrum und schlenderte in Richtung Innenstadt. Sein Motorrad ließ er zunächst in der Tiefgarage zurück. Er musste das Gehörte jetzt erst einmal etwas verdauen.

      Am Residenzplatz er blieb stehen und warf einen kurzen Blick auf sein Smartphone. Vor dem Gespräch hatte er es lautlos gestellt. Wie er feststellte, war von Eberhard Brunner eine WhatsApp-Nachricht eingegangen. Der Freund teilte ihm darin mit, dass er wegen eines dringenden dienstlichen Falles nicht zu einem Treffen in der Lage war. »Ich werde dich heute Abend mal anrufen«, schloss die Mitteilung.

      Simon Kerner überlegte einen Augenblick, dann marschierte er in die Innenstadt und setzte sich ins Café Michel am Oberen Markt. Nachdenklich blickte er aus der oberen Etage auf die Menschen hinunter, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Zu viel ging ihm im Kopf herum. Mittlerweile war ihm klar, dass das Vorgehen des Präsidenten in Abstimmung mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt ein wohl überlegter Schachzug war, der einerseits die Interessen der Justiz berücksichtigte, andererseits aber auch seine Zukunftsmöglichkeiten nicht verbaute. Da die Abordnung eines weiteren Richters nach Gemünden bereits beschlossene Sache war, konnte er dem Vorschlag der beiden Männer eigentlich gar nicht mehr widersprechen. Wenig später zahlte er und brach auf. Er holte sein Motorrad aus der Tiefgarage des Justizzentrums und machte sich auf den Weg. Kurz nach 13:00 Uhr traf er beim Amtsgericht in Gemünden ein. Es war ein eigentümliches Gefühl, nach längerer Zeit wieder die Schwelle des Gerichts zu überschreiten.

      Als er wenig später sein Dienstzimmer durch einen separaten Eingang betrat, huschte ein berührtes Lächeln über sein Gesicht. Auf seinem Besprechungstisch stand ein frischer Blumenstrauß und auf dem Schreibtisch wartete wie gewohnt eine Thermoskanne mit frisch aufgebrühtem Kaffee auf ihn. Einige Sekunden später klopfte es an seine Tür. Auf sein »Herein« kam Frau Huber, seine Sekretärin, mit einem strahlenden Lächeln herein und ging mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.

      »Lieber Herr Kerner, herzlich willkommen! Ich bin sehr froh … wir sind sehr froh, dass Sie wieder hier sind.« Ihr versagte die Stimme. Kerner konnte ihren in Augenwinkeln eine verräterische Feuchtigkeit erkennen, die ihn berührte. Frau Huber war sonst sehr zurückhaltend und zeigte ihre Emotionen nur in Ausnahmefällen.

      »Vielen lieben Dank für den herzlichen Empfang und die Blumen. Ich freue mich auch, wieder hier zu sein. Wir können uns ja später noch unterhalten. Jetzt stürzen wir uns erst mal ins Gewühle. Rufen Sie bitte meinen Stellvertreter an und bitten Sie ihn zu einem Übergabegespräch zu mir.«

      »Wird umgehend erledigt«, erklärte Frau Huber und verließ geschäftig das Dienstzimmer. Kerner trat an die Fensterfront, von der aus er einen freien Blick auf die Hänge der Spessarthöhen jenseits des Mains hatte. Für einige Sekunden hatte er einen Flashback und wähnte sich versetzt ins dämmerige Licht der hohen Bäume. Tiefe Schatten verbargen Gefahren. Er spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Mit einer heftigen Bewegung schüttelte er den bedrückenden Moment von sich ab. Hastig wandte er sich um und ließ sich hinter seinem Schreibtisch in den Bürosessel fallen. Er sehnte richtig herbei, dass der Alltag ihn mit all seinen Trivialitäten wieder in Beschlag nahm und seine Gefühle betäubte. Es klopfte. Sein Wunsch ging umgehend in Erfüllung. Der Alltag in Form von Andreas Becker, seinem Stellvertreter, trat ein und drückte ihm zur Begrüßung herzlich die Hand.

      3

      Eberhard Brunners Anruf erreichte Kerner am späteren Nachmittag zuhause. Er erklärte, sehr zur Freude Kerners, dass er in etwa einer Stunde vorbeikommen würde. Simon Kerner war vor knapp zwanzig Minuten nach Hause gekommen und überlegte gerade, ob er sich etwas zum Abendessen zubereiten sollte. Der Blick in den Kühlschrank zeigte ihm allerdings seine engen »kulinarischen Grenzen« auf. Hätte Eberhard Brunner vor seiner Rückkehr nicht einige Grundnahrungsmittel besorgt, wäre die Abendmahlzeit vollständig ausgefallen. Während des Tages hatte er nur Zeit für einige Tassen Kaffee gefunden. Jetzt rebellierte sein Magen allerdings nachhaltig und brachte sich knurrend in Erinnerung. Kerner schnitt sich eine Scheibe Brot ab und beschmierte sie mit Leberwurst. Dazu öffnete er sich eine Flasche Bier.

      Während er am Küchentisch saß und das Brot mit Appetit verzehrte, ließ er den Tag nochmals Revue passieren. Wenn er das Angebot seines Vorgesetzten annahm, musste er für sich die Frage beantworten, ob er den Wohnsitz in Partenstein beibehalten wollte. Für einen Neuanfang war es sicher besser, die belastenden Erinnerungen hinter sich zu lassen. Was sollte aus seinem Jagdrevier werden? Eine Frage, die er jetzt sowieso zeitnah beantworten musste. Während seiner Pilgerfahrt hatte ein Jagdfreund das Jagdrevier betreut und tat dies auch noch heute. Kerner hatte bis jetzt noch nicht die Kraft gefunden, das Revier zu betreten. Da draußen wartete die Ruine seiner abgebrannten Jagdhütte auf ihn, die von dem Wilderer Hasenstamm aus Rache abgefackelt worden war. Diese Hütte war ein zentraler Mittelpunkt seines und auch Steffis Leben gewesen. Viele Stunden hatten sie dort gemeinsam verbracht und ihre Zweisamkeit in der Einsamkeit des Waldes genossen. Alles unwiederbringlich vorüber. Simon Kerner schüttelte den Kopf. Er hatte mittlerweile etwas Übung darin, derartige Gedanken nach hinten zu schieben. Er trank sein Bierglas leer und stellte das Geschirr in die Spülmaschine. Da klingelte es an der Tür. Mit einem schnellen Blick auf die Uhr überzeugte er sich davon, dass durch seine Grübeleien die Zeit wie im Fluge vergangen war. Das musste sein Freund Eberhard sein.

      Kerner ging an die Tür und öffnete.

      »Grüß dich, Simon, ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn ich hier so einfach hereinschneie. Aber ich dachte mir, es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn ich ein paar feste Nahrungsbestandteile mitbringe. So wie ich dich kenne, hast du heute noch nichts Richtiges gegessen, und ich, wenn ich ehrlich bin, auch noch nicht.« Eberhard Brunner wedelte mit zwei Tüten dicht vor Kerners Nase herum. Sofort verbreitete sich ein angenehmer Geruch nach Gebratenem, der Kerners Magennerven reizte, obwohl er doch schon etwas zu sich genommen hatte.

      »Komm rein«, erwiderte Kerner und trat einen Schritt


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