Die Katholizität der Kirche. Dominik Schultheis

Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis


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in abgestufter Weise. Die Kirchenkonstitution bekräftig die Haltung der (römisch-)katholischen Kirche, ein Höchstmaß an Orthodoxie für sich beanspruchen zu können, wenn sie etwa die katholischen „Bischöfe in Gemeinschaft mit dem Römischen Bischof […] als Zeugen der göttlichen und katholischen Wahrheit“ (LG 25,1) bezeichnet und in ihnen den bleibenden Bezug zum apostolischen Ursprung (apostolische Sukzession) gewahrt und darin ein Höchstmaß an Rechtgläubigkeit gegeben sieht. In diesem Zusammenhang betont auch die Erklärung über die religiöse Freiheit „dass […] die einzige wahre Religion in der katholischen und apostolischen Kirche da ist, der der Herr Jesus die Aufgabe anvertraut hat, sie bei allen Menschen auszubreiten“ (DiH 1,2); kritisch sei hier angemerkt, dass diese Formulierung stark exklusivistische Züge hat und hinter die „weitere“ Formulierung in LG 8 zurücktritt.

      5. Mit der qualitativen Dimension der Katholizität ist auch die Frage der Heilsnotwendigkeit der Kirche verbunden. Diesen inneren Bezug stellt die Kirchenkonstitution in ihrem vierzehnten Artikel her, wenn sie die „katholische Kirche“ als „zum Heil notwendig“ (LG 14,1) definiert. Darin, dass „der eine Christus […] Mittler und Weg zum Heil [ist] […] [und] in seinem Leib, der die Kirche ist, uns gegenwärtig wird […], […] [ist] zugleich die Notwendigkeit der Kirche, in die die Menschen durch die Taufe wie durch eine Tür eintreten, bekräftigt.“ (LG 14,1)

      Aufgrund der der (römisch-)katholischen Kirche zukommenden qualitativen Katholizität heißt sie nicht nur „Ecclesiam Catholicam“, sondern verwirklicht diese auch in kontingenter, d.h. sichtbarer Weise. Dies aber lässt Kirche „als allgemeines Sakrament des Heiles“ (LG 48) teilhaben an der Heilsuniversalität Christi, weshalb „jene Menschen nicht gerettet werden [können], die sehr wohl wissen, dass die katholische Kirche von Gott durch Jesus Christus als eine notwendige gegründet wurde, [die] jedoch nicht entweder in sie eintreten oder in ihr ausharren wollten“ (LG 14,1). (Römisch-)katholische Kirche ist nicht deshalb heilsnotwendig, weil sie römisch ist, sondern weil sie kraft ihrer qualitativen Katholiztität die Heilsfülle in sich trägt, die ihr auf sakramentale Weise von Christus her zukommt. So zielt ihr Wesen immer schon auf das Ganze hin, auf das Heil sowie die Heimholung aller Menschen in die volle Gemeinschaft mit Gott durch Christus im Heiligen Geist. Damit ist die zweite Dimension von Katholizität berührt, die aufs engste mit ihrer qualitativen Dimension verbunden ist: die quantitative Katholizität.

      6. Vollständig, allumfassend, „ganz“ im Sinne des Griechischen ὅλος ist die (römisch-)katholische Kirche auch angesichts ihrer Weite, also extensiv, umfasst sie doch alle Menschen aller Rassen, Orte und Zeiten bzw. sieht sich zu ihnen gesandt. Eine Tatsache ist, dass es wohl kein Volk auf der Erde heute gibt, in dem die (römisch-)katholische Kirche nicht in irgendeiner Weise präsent ist, wenn auch nicht immer ausdrücklich als verfasste Kirche, so doch personal durch ihre Gläubigen. Kirche weiß sich aufgrund des Sendungsbefehls Jesu zu allen Menschen gerufen: Sie soll am Reich Gottes weiterbauen, dessen Ziel die Eingliederung aller Menschen in die volle Gemeinschaft mit Gott ist. Das Faktum ihrer quantitativen, d.h. geographischen, kulturellen und zeitlichen Verbreitung ist damit zugleich ihre bleibende Aufgabe: sich nicht abzuschließen und abzuschotten, sondern sich offen zu halten für die Vielen, die draußen sind, und sich immer wieder neu zu öffnen und zu engagieren für eine gewollte und gesollte Vielfalt sowohl im Inner- als auch im Außenverhältnis. Denn nur so kann die (römisch-)katholische Kirche jener „Weite“ gerecht werden, die ihr Kraft ihrer Katholizität geschenkt ist. Dieses quantitative Verständnis bemühen die Konzilstexte an mehreren Stellen.

      Begründet wird dieses nach innen und nach außen auf Weite hin ausgerichtete Selbstverständnis der (römisch-)katholischen Kirche in ihrer Sakramentalität: Die unter dem Haupt des Römischen Bischofs verfasste Kirche ist „katholisch“ im quantitativen Sinne, weil sie „in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1) ist. Gott wünscht die volle Gemeinschaft mit allen Menschen; das ist das Ziel seiner Schöpfung, und darauf lebt die gesamte Schöpfung hin. In der Kirche, so ihr sakramentales Selbstverständnis, wird die Menschheit schon jetzt – wenn auch unvollkommen, so doch wirklich und sichtbar – zu dieser Gemeinschaft mit Gott gerufen und anfanghaft geeint (vgl. LG 13,2); folglich bleibt Kirche ihrer Sendung, Sakrament dieser innigsten Vereinigung mit Gott zu sein, nur dann gerecht, wenn sie sich als Glaubensgemeinschaft versteht, die offen ist und ausgerichtet bleibt auf andere hin und die in sich eine Vielfalt ermöglicht und bewahrt, ohne die sie ihre Weite auf- und preisgeben würde.

      Deutlich wird diese Sicht etwa in IM 3,1, wo betont wird, dass „die katholische Kirche von Christus, dem Herrn, gegründet worden ist, um allen Menschen das Heil zu bringen, und darum von der Notwendigkeit gedrängt wird, das Evangelium zu verkünden“ (IM 3,1). Kirche ist aufgerufen, sich nicht mit sich selbst zu begnügen, sondern ihrer Sendung gemäß die Frohe Botschaft allen Menschen zu verkünden, worin ihr Auftrag zur Mission gründet (vgl. Mt 28,19f.). Expressis verbis formuliert das Dekret über die missionarische Tätigkeit der Kirche diesen Gedanken, wo es heißt: „Zu den Völkern von Gott gesandt, um ‚das allgemeine Sakrament des Heiles’ zu sein, bemüht sich die Kirche aus den innersten Erfordernissen der ihr eigenen Katholizität, dem Auftrag ihres Gründers gehorsam, das Evangelium allen Menschen zu verkünden“ (AG 1,1). Die Konzilsväter heben hier durch den zweidimensionalen Begriff der Katholizität heraus, dass die qualitative Fülle und Ganzheit von Kirche (intensive Katholizität) notwendig auf ihre quantitative Weite und Ganzheit (extensive Katholizität) drängt, wobei die extensive Katholizität der Kirche notwendig rückgebunden bleibt an ihre intensive Katholizität, welche ihr in und durch Christus im Heiligen Geist sakramental geschenkt ist. Katholizität ist – wie wir schon sahen – beides: Gabe und Aufgabe, „Schon“ und „Noch nicht“. AG 36 und AG 40 fordern von „alle[n] Kinder[n] der Kirche ein lebendiges Bewusstsein ihrer Verantwortung gegenüber der Welt“ (AG 36,2) und halten die Katholiken zu „wahrhaft katholischem Geist und Wirken“ (AG 40,1) an, einer Gesinnung also, die gemäß der quantitativen Katholizität offen ist und ausgerichtet bleibt auf das „Ganze“ von Kirche und das „Ganze“ von Welt.

      Eine wahrhaft „katholische“ Haltung im Sinne von „Weite“ wünscht sich das Dekret über die priesterliche Ausbildung auch von den Priestern, die „von jenem wahrhaft katholischen Geist erfüllt werden […] [mögen, um] die Grenzen der eigenen Diözese, Nation oder des eigenen Ritus zu übersteigen und die Bedürfnisse der ganzen Kirche zu unterstützen, im Herzen dazu bereit, das Evangelium überall zu predigen“ (OT 20), die in sich also eine Weite mitbringen und lebendig halten sollen, die „zum Wohl nicht nur der Kleriker und Christgläubigen, die es direkt angeht [gereicht], sondern sogar auch der ganzen katholischen Kirche“ (CD 22,2). Den Blick für das Wohl der weltweiten Kirche und darin eine „katholische“ Verantwortung aller Christen macht das Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel geltend, wenn dieses von jeder Ortskirche einen Beitrag zur Förderung der weltweiten katholischen Medienarbeit erbittet (vgl. IM 18). Aus einer ähnlichen Haltung heraus formuliert das Dekret über das Hirtenamt der Bischöfe in der Kirche eine Weite und Vielfalt in den kurialen Behörden: „Da ebendiese Behörden zum Wohl der gesamten Kirche eingesetzt sind, wird […] gewünscht, dass ihre Mitglieder, Beamten und Ratgeber sowie die Legaten des Römischen Bischofs, soweit es geschehen kann, mehr aus verschiedenen Gegenden der Kirche genommen werden, so dass die zentralen Ämter und Organe der katholischen Kirche eine wahrhaft allgemeine Beschaffenheit an den Tag legen“ (CD 10,1) und ihrer Bezeichnung als „katholisch“ gerecht werden.

      Neben den vielschichtigen Konnotationen der Begriffe „katholisch“ bzw. „Katholizität“ in den Konzilstexten lassen sich weitere, mehr inhaltliche Auffälligkeiten attestieren, die im Folgenden dargelegt werden sollen.

       3. Katholizität als Schlüssel zur Verhältnisbestimmung von kirchlicher Einheit und Vielfalt

      Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) legt mit seiner Konstitution „Lumen Gentium“ erstmals in der Geschichte der Kirche eine lehramtliche Ekklesiologie vor, in der das kirchliche Selbstverständnis der Kirche der Väter mit dem der Apologetik nachtridentinischer und neuscholastischer Theologie in eine Synthese


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