Die Katholizität der Kirche. Dominik Schultheis

Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis


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einen Reflex ihrer qualitativen Katholizität. Umgekehrt aber widerspricht es einem sakramentalen Verständnis von Kirche, die Katholizität der Kirche alleine aus ihrer quantitativen Weite zu erschließen: „Ihrer Materie nach [sind] die qualitative und die quantitative Katholizität untrennbar […]. Man darf sie nicht gegeneinander ausspielen, sondern muss sie zusammen sehen. Es verhält sich auch so, wenn man die Katholizität von der Kirche selbst aus betrachtet: ihre umfassende Ausbreitung ist deshalb möglich, weil sie authentisch die aus der Menschwerdung des Gottessohnes und aus dem Pfingstfest hervorgegangene Institution ist.“375

      Das, was hier und in der gesamten Untersuchung als „qualitative Katholizität“ bezeichnet wird, war – wie wir sahen – vor allem im Zuge der Reformation zunehmend in Vergessenheit geraten und ist erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts von namhaften Theologen wie Henri de Lubac und Yves Congar wieder neu bedacht worden. Deren Arbeiten machen deutlich, dass „für die Kirchenväter die Katholizität nicht nur eine phänomenologische Qualität der Kirche […][ist]; vielmehr geht es um ein Prädikat, das der Kirche zusteht aufgrund ihrer tiefsten Natur, die sie kraft ihres göttlichen Ursprungs und ihres Herrn Jesus Christus besitzt.“376 Die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils lassen erkennen, das auch die Konzilsväter – sicher beeinflusst von dieser Rückbesinnung auf die patristische Theologie – eben diese qualitative, d.h. christologische (sakramentale) Sicht der Katholizität in die Dokumente einbringen. Neben einem rein äußerlichen und juridischen Selbstverständnis von Kirche wird vor allem deren christologisches Wesen herausgestellt; folglich wird das zuvor „rein äußerliche und soziologische Verständnis der Katholizität […] wieder innerlich und christologisch“377:

      „Diese wiederentdeckte Betonung der qualitativen Dimension der Katholizität, die im Heilsmysterium Gottes gründet und die darum grundlegender ist als die quantitative Dimension, prägt auch das Zweite Vatikanische Konzil und dementsprechend die nachkonziliare Ekklesiologie. Das wird deutlich an dem gleichsam programmatischen Satz aus LG 1 über die Sakramentalität der Kirche, in dem es heißt: ‚Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit.’ Auch wenn hier der Begriff der Katholizität nicht fällt, so ist doch in dieser Aufgabe der Kirche, Zeichen und Werkzeug der Einheit der Menschheit mit Gott und untereinander zu sein, genau das angesprochen, was die Katholizität […] meint“378.

      Kirche ist „katholisch“ heißt, das Eine notwendig auf das Ganze hin bzw. vom Ganzen her zu denken:

      „In jeder besonderen Ausformung des einzigen Christentums [muss] das universale Ganze enthalten sein“ […]. Diese Universalität unterscheidet die Kirche von der Sekte. Nicht die kleine Zahl als solche macht die Sekte aus […]. Sondern das macht die Sekte aus: es fehlt die Beziehung zur Totalität. […] Die Kirche […] [hingegen] ist immer und überall, wo sie existiert, gänzlich vorhanden mit einem Zug ins Universale. Sie weiß sich gerufen und ausgerichtet auf das Ganze. […] Ob die Kirche in einer Diasporasituation sich befindet oder fest eingerichtet ist, ob sie anfanghaft oder seit langem fruchtbar anwesend ist, immer ist sie ein Keim mit universeller Berufung.“379

      Darin zeichnet sich also die integrierende Kraft der Katholizität der Kirche aus, dass „die Einheit der Völker in der Katholizität des Glaubens durch die Kirche des Neuen Bundes vorgezeichnet“ (AG 4,1) ist. Die „Menschen, Gruppen und Völker […] durchdringt sie […] und nimmt sie so in die katholische Fülle auf“ (AG 6,2), wodurch Kirche „ihre katholische Einheit vervollkommnet“ (AG 6,6).

      Ausgehend von diesen Beobachtungen kann man „die“ Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils mit Berechtigung eine „Ekklesiologie der Katholizität“ nennen bzw. im Begriff der Katholizität einen Schlüssel zur rechten Interpretation des ekklesiologisch Genuinen des Konzils finden: das Integral aller wesentlichen ekklesiologischen Aussagen des Zweiten Vatikanums über die Kirche.

      Um diese These zu stützen, soll im Folgenden die Katholizität der Kirche – ausgehend von den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils und im Kontext nachkonziliarer, schwerpunktmäßig deutschsprachiger systematischer Theologie – weiter entfaltet und bestimmt werden. Es wäre wünschens- und sicher lohnenswert, namhafte nichtdeutschsprachige Theologen bei dieser systematischen Entfaltung breiter zu berücksichtigen; der begrenzte Rahmen dieser Untersuchung jedoch macht es nötig, sich auf überwiegend deutschsprachige Theologen zu beschränken.

      II. Kirche als „Volk Gottes“ des neuen Bundes

      oder: Der Bundescharakter der

      Heilsgeschichte als Voraussetzung der

      Katholizität Israels und der Kirche

      Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) legt mit seiner Konstitution „Lumen Gentium“ erstmals in der Geschichte der Kirche eine lehramtliche Ekklesiologie vor, in der das kirchliche Selbstverständnis der Kirche der Väter mit dem der Apologetik nachtridentinischer und neuscholastischer Theologie in eine Synthese gebracht wird und in der die mit der Gregorianischen Reform begonnenen juridisch-hierarchologischen Engführungen zu überwinden versucht werden. Die Konzilsväter bestimmen Die Kirche „von ihrer Rolle in der Gesch[.][ichte] des universalen Heilswillens Gottes her, was formal in einer […] dialogischen Relationalität nach außen und nach innen, konkret in den Selbstbezeichnungen ‚Communio’, ‚Volk Gottes’ u[.][nd] ‚Sakrament des Heils der Welt’ (Ursakrament) zum Ausdruck kommt.“380

      Diese drei Begriffe zur Beschreibung des Wesens der Kirche wähle ich zu Ausgangspunkten weiterer Überlegungen, die darauf zielen, die im vorherigen Kapitel zur Diskussion gestellte These zu stützen. Methodisch soll das vom Konzil mit dem Begriffen „katholisch“ bzw. „Katholizität“ Gemeinte mit den in der innerkatholischen Wissenschaft etablierten konziliaren Leitbegriffen „Volk Gottes“, „Grundsakrament“ und „Communio“ in Zusammenhang gebracht werden.381 Von dieser systematischen Zusammenschau erhoffen wir uns, die Katholizität noch deutlicher als integrale Größe, als inneren Interpretationsschlüssel aller wesentlichen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils herausstellen und sie als eine alternative ekklesiologische Leitkategorie in die theologische Diskussion einbringen zu können.

      Bei dieser Betrachtung geht es nicht mehr um eine erneute textkritische Analyse der Konzilsdokumente.382 Vielmehr sollen die wesentlichen Grundzüge der konziliaren Lehre über die Kirche unter dem Aspekt ihrer Katholizität systematisch beleuchtet werden. In diese systematische Zusammenschau werden ausgewählte deutschsprachige Beiträge nachkonziliarer katholischer systematischer Theologie einbezogen. Solche Beiträge stellen – wie auch diese Untersuchung selbst – immer schon unterschiedlich akzentuierte Interpretationen und womögliche Fortschreibungen der Konzilstexte dar. Diese Tatsache stellt weder die Qualität noch die Seriösität solcher nachkonziliaren Forschung und ihrer jeweiligen Interpreten in Frage. Es bleibt zu betonen, dass das Konzil mit vielen seiner Bestimmungen oft nicht mehr als nur einen Rahmen vorgeben konnte und wollte, den zu füllen der nachkonziliaren Theologie bis heute aufgegeben ist.383 Dabei kommt die theologische Wissenschaft nicht umhin, die relevanten nachkonziliaren Dokumente des Lehramtes zu Fragen der Ekklesiologie miteinzubeziehen, bieten diese doch maßgebende Interpretationshilfen, wie die Texte des Konzils zu lesen und zu deuten sind. Folglich werden auch unsere Untersuchungen gehalten sein, derartige Texte des Lehramtes zu berücksichtigen.

      Eine unter den Leitbildern „Volk Gottes“, „Grundsakrament“ und „Communio“ seriöse Betrachtung der Katholizität der Kirche wird ferner die virulenten innerkatholischen Diskussionspunkte nicht aussparen können, die in der nachkonziliaren Ekklesiologie aufgetreten sind und sowohl das Selbstverständnis als auch die innere Struktur der (römisch-)katholischen Kirche bis heute nachhaltig beeinflussen. Jedes der drei folgenden Kapitel widmet sich daher in einem je abschließenden Exkurs je einem in den letzten Jahren in der theologischen Wissenschaft kontrovers diskutierten ekklesiologischen Problem, das die Frage nach der Katholizität der Kirche berührt und möglicherweise Auswirkungen auf ihre Bestimmung hat. Auch wenn diese Ausführungen nicht alle Aspekte beachten können, bieten sie aufschlussreiche Kenntnisse, die


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