Die Katholizität der Kirche. Dominik Schultheis

Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis


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nimmt auch jeden einzelnen Gläubigen in die Pflicht, denn die Konzilsväter fordern doch von jedem Katholiken eine wahrhaft „katholische“ Haltung (vgl. AG 36 und 40), die vor allem den ökumenischen sowie interreligiösen Dialog prägen sollte: Indem nämlich alle Katholiken angehalten sind, „im Notwendigen die Einheit [zu] hüten, [so] sollen alle in der Kirche gemäß der einem jeden gegebenen Aufgabe sowohl in den vielfältigen Formen des geistlichen Lebens und der Lebensweise als auch in der Verschiedenheit der liturgischen Riten, ja sogar in der theologischen Ausarbeitung der geoffenbarten Wahrheit die gebührende Freiheit wahren; in allem aber sollen sie die Liebe pflegen“ (UR 4,7). Durch ein aufrichtiges „katholisches“ Bemühen, das auf eine Vielfalt drängt, die zur Einheit führt, und auf eine Einheit zielt, die ein Höchstmaß an Vielfalt ermöglicht, werden die Gläubigen – so die Überzeugung der Konzilsväter – „die im wahren Sinne [verstandene] Katholizität“ (UR 4,7) erst vollkommen erfassen und verwirklichen können.

      Kirche bleibt, so können wir resümieren, ihrer geschenkten Katholizität verpflichtet, die sich grundlegend darin äußert, dass sie die ihrem Wesen gemäße Einheit sowohl nach außen wie nach innen immer mehr zu verwirklichen sucht, ohne die ihr gegebene Vielfalt im Keim zu ersticken. Die Einheit der Kirche und ihr Ausgerichtetsein auf die Vielen gehören notwendig zusammen. Kirche darf sich nie sich selbst genügen und mit dem zufrieden geben, was sie erreicht hat, sondern muss stets ihrer Sendung gemäß auf das Ganze des Menschengeschlechts hin ausgerichtet und offen bleiben, um dem Heilswillen Gottes gemäß, dem sie als „universales Heilssakrament“ (LG 48; GS 45) zu dienen hat, alle in der unbeschadeten Freiheit der Kinder Gottes in die Communio mit ihm und seiner Kirche zu führen. Diese Einheit wäre missverstanden, wenn sie auf Kosten der der Katholizität inhärenten und gewollten Vielfalt gewonnen würde: Daher „darf ihr Gesetz [i.e. das der Kirche] nicht das einer nivellierenden und verarmenden Uniformität sein, sondern das einer Communio, in der jeder bleibt und in die jeder bringt, was er ist“367 (vgl. LG 13). So wie die kirchliche Einheit keinem unterschiedslosen Monismus gleichkommen darf, so aber auch nicht einem pluralistischen Indifferentismus, bei dem Kirche Gefahr laufen würde, ihre wesensgemäße Einheit zu gefährden oder gar preiszugeben. Die gottgewollte Communio der Menschen mit ihm und untereinander, die in der ekklesialen Communio anfanghaft verwirklicht ist, verträgt sich ferner nicht mit Formen des Partikularismus oder Separatismus, was auf der Außenseite der Glaubensgemeinschaft jedwede Form der Abspaltung (Schisma) und auf der Innenseite der Glaubensinhalte jedwede Form des Glaubensabfalls (Häresie) ausschließt; denn seit frühester Zeit gilt auch bezüglich des Glaubens das als „katholisch“, was überall, immer und von allen geglaubt wurde:

      „Die Einheit muss auch aus Verschiedenheiten bestehen. Dies bringt in sie eine Spannung zwischen dem Partikulären und dem Ganzen, zwischen dem Lokalen und dem Universalen hinein. Denn wenn auch jeder Teil das Ganze enthält, so ist er deswegen doch nicht das Ganze, und wenn auch die Ortsgemeinden der Gesamtkirche homogen sind, so ist damit nicht gesagt, dass sie nicht auch durch ihre besondere Eigenart und Verschiedenheit Teil des Ganzen sind und zu seiner Verwirklichung beitragen sollen. […] Die Lösung liegt nicht in der Einförmigkeit, aber auch nicht im Auseinanderstreben oder in der Zerbröckelung, die ein Sieg des Egoismus wären. Sie ist zu suchen erstens in einer Theologie der Communio; zweitens in einer Ekklesiologie der Universalkirche auf ihrem Weg durch die Zeit.“368

      Somit „erscheint der theologische Pluralismus als eine Notwendigkeit, ja als ein Gut; andererseits stellt er vor heikle Fragen, wenn die Einheit des Glaubens, die Möglichkeiten des Lehramts und selbst die der Katechese und Verkündigung gewahrt werden sollen.“369 Zugleich aber hindern die realen äußeren und inneren Spaltungen der Kirche die (römisch-)katholische Kirche, in der die Kirche Jesu Christi subsistiert (LG 8), daran, ihre wesensgemäße Einheit und Katholizität so zu verwirklichen und darzustellen, wie sie es von ihrer Sendung her sollte, um „die ganze Menschheit mit all ihren Gütern unter dem Haupt Christus zusammenzufassen in der Einheit seines Geistes“ (LG 13). Nachkonziliare Dokumente sprechen hier ausdrücklich von einer „Wunde“, die die (römisch-)katholische Kirche betrifft.370 Folglich sind die ökumenischen Bemühungen der christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften nicht bloßes Engagement am Rande, das der Imagepflege dient, sondern notwendiges „Kerngeschäft“, um diese Wunde zu heilen:

      „Um voll katholisch zu sein, muss die Kirche den Weg der Ökumene gehen. Ohne die nichtkatholischen Christen, die durch die Taufe Christus und seiner Kirche sakramental eingegliedert sind, bleibt die katholische Kirche fragmentarisch. Die eine Kirche Christi subsistiert zwar in der katholischen Kirche, weil ‚sich außerhalb ihres sichtbaren Gefüges mehrere Elemente der Heiligung und Wahrheit finden, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen’ (LG 8). Die real existierende katholische Kirche kann also noch katholischer werden und muss es. […] Sie ist von den der Kirche Christi eigenen Gaben, die es außerhalb ihrer selbst gibt, und von der diesen Elementen eigenen katholischen Dynamik in Pflicht genommen, sich deren Drängen um ihrer eigenen Katholizität willen zu öffnen. In dieser Ermöglichung und Begründung ihres ökumenischen Engagements wird nicht nur die Schwächung aus der Spaltung und der sündige Widerspruch zum ausdrücklichen Willen Christi, sondern die unvollendete Katholizität der Kirche zum Motiv und Grund ihrer Umkehr von Abgrenzung und Ausgrenzung zur Öffnung, Annäherungssuche und Einheitssuche. Katholizität ist hier nicht nur Lernprozess, sondern gerade Lernprinzip in Sachen Ökumene. In dieser Sicht der Dinge ist Ökumene vorrangig ein Anspruch an sich selbst und die eigenen Glieder, sich zu öffnen und wirklich katholisch zu werden: der Christusgemeinschaft und dem Ganzen gemäß. […] Es geht vorrangig nicht darum, alles in sich einzubergen, vielmehr darum, für die gottgegebene Katholizität in allen ihren Elementen und Erscheinungen ganz bereit zu werden. […] Hier liegt auf der ekklesiologischen Ebene der Sachgrund für die Unwiderruflichkeit des ökumenischen Engagements und Lernens der Kirche – eben in ihrer wirklichen, aber noch unabgegoltenen Katholizität, die weiterhin Lernprinzip bleibt.“371

      In diesem ökumenischen Lernprozess kann das von den Konzilsvätern wiederbelebte Bewusstsein um die grundsätzlich allen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zukommende qualitative Katholizität vermittelnd wirken: Die Universalität der Kirche im Sinne von Weite und Offenheit gründet in der Universalität ihrer Fülle und Wahrheit, oder – wie Henri de Lubac es nennt – im „Universalismus der Tiefe“372. Es geht, wenn wir von Kirche als dem Sakrament des Heils sprechen, immer und zuerst um die „katholische“ Liebe Gottes zu allen Menschen, die in Jesus Christus, dem Ursakrament, Fleisch geworden ist, und die – nach katholischem Verständnis – in der (römisch-)katholischen Kirche als dem Grundsakrament im Heiligen Geist bleibend, d.h. auf sakramentale Weise, in der Geschichte wirksam und gegenwärtig bleibt; dazu ist sie mit allen Mitteln ausgestattet, um ihrer Sendung gemäß überhaupt wirkungsvoll Sakrament des Heils sein zu können (qualitative Katholizität). Diese der Kirche als Gabe geschenkte und zur Verwirklichung ihrer Aufgabe überlassene katholische Fülle kommt zwar in ihrer katholischen Weite und Verbreitung (quantitative Katholizität) zum Tragen; letztere aber ist nicht eigentlicher Grund ihrer Katholizität. „Nicht deshalb ist die Kirche katholisch, weil sie eine große Zahl von Anhängern hat und gegenwärtig über die ganze Welt hin verbreitet ist. Sie war katholisch schon am Morgen des Pfingsttages, als noch ein kleiner Saal ihre Mitglieder fasste“373. Es kommt also das, was sie zutiefst katholisch sein lässt, „von Christus, der von Gott mit Kräften ausgestattet wurde, durch die er für die ganze Menschheit und in gewisser Weise auch für den ganzen Kosmos, τὰ πάντα sein kann: Prinzip einer in natürlicher und übernatürlicher Hinsicht vollendeten, dem Plane Gottes entsprechenden Existenz. […] In seiner Eigenschaft als neuer Adam und Haupt ist er das Fundament der Katholizität der Kirche.“374 Was alle christlichen Kirchen dem Wesen nach katholisch sein lässt, ist die in Christus verleiblichte Liebe des Vaters, die im pneumatischen Leib der (römisch-katholisch) Kirche auf vollkommenste und ihrem Verständnis nach sakramentale Weise „fortlebt“ und als solche nicht Eigennutz, sondern Aufgabe und Auftrag ist für die Vielen. Das, was gültig ist, weil es das im Heilsplan Gottes auf alle zielende und für alle bestimmte Ganze enthält, ist notwendig für alle gültig und bleibend auf alle hin ausgerichtet. Die in ihrer Sakramentalität gründende qualitative Ganzheit (Fülle) der (römisch-)katholischen Kirche drängt


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