Die Katholizität der Kirche. Dominik Schultheis

Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis


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„katholisch“ bleiben: „So kommt es, dass sich das Volk Gottes nicht nur aus verschiedenen Völkern sammelt, sondern auch in sich selbst aus vielfältigen Ordnungen gebildet wird. Unter seinen Gliedern herrscht nämlich eine Verschiedenheit […]. Daher gibt es auch in der kirchlichen Gemeinschaft zu Recht Teilkirchen, die über eigene Überlieferungen verfügen, wobei der Primat des Stuhles Petri […] darüber wacht, dass die Besonderheiten der Einheit nicht nur nicht schaden, sondern ihr vielmehr dienen.“ (LG 13,3) Kirche als „Volk Gottes“ meint also keine Monade, keine Uniformität, sondern eine legitime Vielfalt in Einheit und eine notwendige Einheit in Verschiedenheit. So bestimmen die Konzilsväter etwa die Heilsnotwendigkeit der Kirche und die Zugehörigkeit zur Kirche (vgl. LG 14–16), ihr Verhältnis zu den nichtkatholischen Kirchen (vgl. UR) sowie zu den nichtchristlichen Religionen (vgl. NA) und zur Welt (vgl. GS) in einer neuen, differenzierten Weise. Als „in Christus eschatologisch erneuerter, auf die Gesamtheit der Völker hin geöffneter, die Verheißungen Gottes an Israel endgültig in Kraft setzender ‚Neuer Bund’ bleibt die Kirche [beispielsweise] unwiderruflich auf ihre ‚Wurzel’ Israel (Röm 11,16ff.) verwiesen.“365 Kirche wird auf dem Konzil nicht mehr als eine das Volk Israel ersetzende Größe verstanden (Substitutionstheorie); vielmehr betonen die Konzilsväter, dass „das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams geistlich verbunden ist“366 (NA 4,1) und lehren eine Kontinuität zwischen Israel und der Kirche. In den anderen nichtchristlichen Religionen erkennen die Konzilsväter „einen Strahl jener Wahrheit […], die alle Menschen erleuchtet“ (NA 2,2), und sie lehnen „nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist“ (NA 2,2). Auch den nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften werden „vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit“ zugesprochen, „die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen“ (LG 8,2). Des Weiteren hebt das Konzil das allgemeine Priestertum aller Gläubigen gegenüber dem besonderen heraus (vgl. LG 10.34), gibt auf, neben dem römischen Ritus andere rechtmäßig anerkannte Riten zu würdigen und zu fördern (vgl. SC 4), qualifiziert die Ostkirchen als echte Teilkirchen und Kennzeichen ihrer Katholizität (vgl. OE 2) und nennt „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen dieser Zeit, besonders der Armen und Bedrängten aller Art […][als] Freude und Hoffnung, Trauer und Angst auch der Jünger Christi“ (GS 1), also der Kirche. Zur Erfüllung ihrer Sendung „obliegt der Kirche durch alle Zeit die Pflicht, die Zeichen der Zeit zu erforschen und im Licht des Evangeliums auszulegen“ (GS 4,1), sich also nicht vor der Welt zu verschließen, sondern sich ihr und den Menschen zu öffnen, das Ethos einer wahrlichen Katholizität zu leben, um so alle Menschen zu erreichen, „die durch die Gnade Gottes zum Heile berufen sind“ (LG 13,4).

      Die vom Konzil gewünschte Offenheit, Weite und Vielfalt der Kirche (quantitative Katholizität) gründet, wie schon gesagt, in ihrer wiederentdeckten Sakramentalität; in ihr und aus ihr findet Kirche auch zu ihrer ganzen Fülle und Einheit (qualitative Katholizität). Ihr Sakramentsein ist der gemeinsame innere (christologische) Grund, auf dem ihre quantitative und qualitative Katholizität einerseits und ihre kirchliche Vielheit und Einheit andererseits beruhen. Damit wird deutlich, dass die Katholizität der Kirche selbst zu einem integrierenden Moment wird, zielt sie doch einerseits auf eine Vielfalt, die zur Einheit gereicht, und andererseits auf eine Einheit, die dennoch Vielfalt ermöglicht. Hierin ist wohl der für die Konzilstexte augenfälligste Kontext aufgerissen, in den hinein die Konzilsväter von der Katholizität der Kirche sprechen: die Dialektik von kirchlicher Einheit und Vielheit, die theologisch mit dem verknüpft ist, was die Alte Kirche „Communio“ (Gemeinschaft) nannte und was im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil als „Communio-Ekklesiologie“ beschrieben wird.

      Die Communio, die Gott möchte, ist notwendig offen für alle. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes „katholisch“, zielt Gottes Wirken doch immer schon auf das Ganze von Schöpfung, auf ihre Einheit. Jesus sah sich von seinem Vater zu allen Menschen gesandt, um „das ganze Menschengeschlecht durch die Erlösung wiederzugebären und in eins zu versammeln“ (UR 2,1; vgl. 1 Joh 4,9–16; Kol 1,18–20; Joh 11,52). In diese Sendung weiß sich die Kirche gestellt, ist sie doch das universale Sakramental der von Gott gewollten Communio (vgl. LG 1, 48). Ihr ist das Sakrament der Eucharistie anvertraut, „durch das die Einheit der Kirche sowohl bezeichnet als auch bewirkt wird“ (UR 2,1). Gemäß der vom Zweiten Vatikanum begründeten eucharistischen Communio-Ekklesiologie verwirklicht sich Kirche und damit die von Gott gewollte Communio ekklesial in der Communio der vielen Ortskirchen. Darin wird deutlich, dass, wenn wir mit Blick auf Kirche von Einheit sprechen, wir nicht einen Monismus meinen, eine „Alleinheit“, eine Uniformität, sondern eine Einheit in bleibender Differenz. Kirchliche Communio muss, will sie wirklich Sakrament der von Gott gewollten Einheit sein, offen sein und bleiben für die Vielen, ohne dabei in einen Indifferentismus und Pluralismus zu verfallen. Sie muss eine Einheit in Vielfalt und eine Vielfalt in Einheit verwirklichen, indem sie sich für jeden und alles öffnet, ohne das Ganze aus dem Blick zu verlieren. Diese für das kirchliche Leben bedeutsame Dialektik von Einheit und Vielfalt spiegelt sich vor allem in der spannungsreichen Dialektik von Ortskirche und Universalkirche, von Ortsbischof und Bischofskollegium sowie von Primat und von Bischofskollegium wider.

      Kirchliche Communio ist überall dort verwirklicht und präsent, wo Gemeinden in Verbundenheit mit ihrem Ortsbischof Eucharistie feiern, dies aber nicht in einer isolierenden, abschließenden Weise, sondern notwendig und immer schon in Gemeinschaft mit allen anderen Eucharistie feiernden Gemeinden (vgl. LG 26). Die eine Gemeinde, die Ortskirche, zielt also immer schon auf das Ganze von Kirche, die Universalkirche. Jede Ortskirche ist notwendig rückgebunden an die Universalkirche, wie auch die Universalkirche notwendig in und aus den Ortskirchen besteht (vgl. LG 23; CD 11). „Diese in eins zusammenstrebende Vielfältigkeit der Ortskirche“ aber – so die Überzeugung der Konzilsväter – zeigt „die Katholizität der ungeteilten Kirche in besonders hellem Licht“ (LG 23,4). Jeder Diözesanbischof repräsentiert gegenüber der Universalkirche seine Diözese und ist zugleich Repräsentant der Universalkirche in seiner Ortskirche. Damit bleibt jeder Bischof notwendig auf das Ganze von Kirche bezogen, weshalb er notwendig in „die kollegiale Einheit“ aller Bischöfe unter dem Haupt des Bischofs von Rom gestellt ist „in den wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Bischöfe zu den Teilkirchen und zur Gesamtkirche“ (LG 23,1). Das Amt des Papstes schließlich gilt als „das immerwährende und sichtbare Prinzip und Fundament der Einheit der Vielheit sowohl von Bischöfen als auch von Gläubigen“, die Bischöfe gelten wiederum als „sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit in ihren nach dem Bild der Gesamtkirche gestalteten Teilkirchen, in denen und aus denen die eine und einzige katholische Kirche besteht“ (LG 23,1). Diese in der Universalkirche „in eins zusammenstrebende Vielfältigkeit der Ortskirchen zeigt die Katholizität der ungeteilten Kirche in besonders hellem Licht“, jene extensive Weite (quantitative Katholizität) also, die in der intensiven Fülle (qualitative Katholizität) von Kirche gründet und als notwendige Folge aus ihr hervorgeht: „Kraft dieser Katholizität bringen die einzelnen Teile die ihnen eigenen Gaben den übrigen Teilen und der ganzen Kirche hinzu, so dass das Ganze und die einzelnen Teile aus allen vermehrt werden, die Gemeinschaft miteinander halten und zur Fülle in Einheit zusammenwirken“ (LG 13,3).

      Vor allem mit Blick auf die mit Rom unierten Ostkirchen, aber auch mit Blick auf alle anderen Teilkirchen und die anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften setzt sich diese spannungsgeladene Dialektik von kirchlicher Einheit und Vielfalt fort: Katholische Kirche sieht sich als „eine wunderbare Gemeinschaft“, in der „die Vielfalt […] deren Einheit nicht nur nicht schadet, sondern sie vielmehr deutlich macht“ (OE 2). Die ihr qualitativ zukommende Katholizität (Fülle) drängt förmlich auf eine quantifizierbare Vielfalt, die zur Einheit führt, und auf eine Einheit, die dennoch ein Höchstmaß an Vielfalt ermöglicht und wahrt. Innerkirchlich bedeutet dies etwa, dass diejenigen, „die zur Fülle der katholischen Gemeinschaft kommen, überall auf Erden ihren je eigenen Ritus beibehalten, ihn pflegen und nach Kräften beobachten“ (OE 4,1) dürfen. Zwischenkirchlich bedeutet es, dass Ökumene und die Frage nach einer kirchlichen Einheit keine Randthemen von Kirche sind, keine Nebensache und nicht „bloß irgendein ‚Anhängsel’“ (UUS 20), sondern Auftrag des Herrn selbst (vgl. 17,21) und „Weg der Kirche“ (Überschrift zu UUS 7). Ökumene und das Streben nach kirchlicher Einheit müssen Aufgabe und Ziel der (römisch-)katholischen Kirche sein,


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