Die Katholizität der Kirche. Dominik Schultheis
in der Fachterminologie von Logik und Rhetorik; 3. „vollkommen“, „in Fülle“, „richtig, d.h. so, wie es sein soll“15.
Während die erste Bedeutung in der lateinischen und neueren Philosophie ihren Niederschlag findet (etwa bei Johannes Clauberg und Emilie Meyerson16), gewinnt die dritte in der Theologie der Patristik an Relevanz. Bevor diese dritte Bedeutung näher betrachtet werden soll, sei ein kurzer Blick auf den biblischen Befund gelenkt.
2. Biblische Verwendung des Begriffs „katholisch“
Im Neuen Testament ist das Adverb καθόλον lediglich einmal belegt (vgl. Apg 4,18). Dort wird es im Sinne von „gänzlich“, „überhaupt“, „jemals“ verwendet. Mit gleicher Bedeutung findet sich der Begriff an neun Stellen in der Septuaginta. Beide Quellen verwenden καθόλον niemals im theologischen, ekklesiologischen Sinne, etwa als Attribut der Kirche zur Bezeichnung von deren Universalität.17 In diesem Wortsinne lässt sich der Begriff „katholisch“ im Neuen Testament nicht finden. Sehr wohl aber sind der Sache nach begriffliche Äquivalente im Neuen Testament enthalten, die das zum Ausdruck bringen, was mit dem erst später verwendeten Terminus „katholisch“ ausgesagt sein will: den universalen Heilsauftrag der Kirche und ihre umfassende Heilsfülle.18
2.1Der universale Heilsauftrag der Kirche im biblischen Kontext
Vorbereitet wird der Gedanke des universalen Heilsauftrages der Kirche bereits im Alten Testament. Vor allem Deutero-Jesaja hat das Heil für die ganze Welt im Blick (vgl. Jes 40,5; 45,23f; vgl. auch Sach 2,15; Ps 22,28; Jes 25,6ff), welches durch Israel bezeugt wird. Dessen eschatologische Sendung ist es, „Licht für die Völker“ (Jes 42,6; 49,6) zu sein und die Völker zur endzeitlichen Wallfahrt nach Jerusalem zu rufen (Jes 2,2ff; Mich 4,1ff). Seit der Berufung Abrahams ist mit der Geschichte Israels eine „allgemein gültige, universale Verheißung verbunden. Über Israel wird das Heil zu allen Völkern gelangen“19. In diese Sendung weiß sich Christus gestellt, der sich anfangs ausschließlich zum Volk Israel gesandt fühlt (Mt 10,6; 15,24).
Mit seinem nachösterlichen Missionsauftrag: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Mt 28,19) weitet er das ursprünglich eschatologisch verstandene Motiv der Völkerwallfahrt missionarisch auf alle Völker aus. So betont etwa der Evangelist Lukas das in Jesus aufgeschienene Licht, das nicht nur das Volk Israel, sondern „die Heiden erleuchtet“ (Lk 2,32). Und auch der Evangelist Johannes unterstreicht den Gedanken der Heilsuniversalität Jesu, wenn er Metaphern wie „Licht der Welt“ (Joh 8,12; 12,46) oder „Retter der Welt“ (Joh 4,26) auf Christus bezieht.
Sowohl in der Apostelgeschichte als auch bei Paulus lässt sich sodann der Gedanke der weltweiten, universellen Mission „bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8; Röm 15,19.24) finden. Zur Kirche gehören sehr bald Juden wie Heiden, wobei der Gedanke von der Sammlung aller (Heiden-)Völker stets mit dem Gedanken der Wiederherstellung des Volkes Israels verbunden bleibt (vgl. Apg 15,13–18). Es setzt sich die Einsicht durch, dass es „keinerlei nationale, rassische, geographische, soziologische, biologische Schranken für die Aufnahme in die christliche Gemeinde geben kann, weil der in Christus sich manifestierende Versöhnungswille Gottes universal ist“20. Das universale Heilsgeschehen in Christus bringen vor allem die paulinische Lehre von der Rechtfertigung (vgl. Gal 2,15–21; Röm 3,21–31) sowie die johannäische Rede von der kosmischen Sendung Jesu zum Heil der Welt (vgl. Joh 3,16f; 12,46f; 1 Joh 4,9) zum Ausdruck.
Die sich sehr bald einstellende Universalität der frühchristlichen Gemeinden schmälert keineswegs Israels originäre heilsgeschichtliche Bedeutung und dessen eschatologische Erwählung. Im Gegenteil: Die Rückbindung der (heiden-)christlichen Kirche an die Sendung Israels wird zum Wesen ihrer universellen – im Epheser- (vgl. Eph 1,10; 1,20; 3,10) und Kolosserbrief (vgl. Kol 1,18) kosmisch ausgeweiteten – Sendung und erweist sich fortan als Merkmal ihrer Katholizität. Dass deren Sendung nicht nur ein geographisches, sondern auch ein zeitlich-universalgeschichtliches Ausmaß haben wird, lässt Paulus anklingen, wenn er davon berichtet, wie er „von Jerusalem aus in weitem Umkreis bis nach Illyrien überallhin das Evangelium Christi gebracht“ (Rom 15,19) hat und darum bemüht ist, „das Wort Gottes in seiner Fülle [zu] verkündige[n]“ (Kol 1,25).
2.2Die Heilsfülle der Kirche in der Pleroma-Theologie
Ausgefaltet wird der Gedanke von der Universalität der Kirche in der deuteropaulinischen πλήϱωμα-Theologie.21 Kolosser- und Epheserbrief bedienen sich des umgangssprachlichen Begriffs πλήϱωμα und verleihen ihm eine soteriologischekklesiologische Bedeutung. Damit wird der Gedanke vom universalen Heilsauftrag der Kirche auf ihre umfassende Heilsfülle ausgeweitet.
Auch wenn sich die jüngere Exegese schwer tut, den in Kol 1,19 verwendeten Terminus πλήϱωμα eindeutig zuzuordnen22, dürfte unumstritten sein, dass Kol 1,15–20 den Kreuzestod Jesu als eine den ganzen Kosmos umspannende Versöhnungstat wertet, die der Kirche als dem „Leib Christi“ (vgl. 1 Kor 12,12–27) wiederum eine kosmische Dimension verleiht. Dadurch kann sowohl die paulinische Völkermission als geschichtliche Antizipation der eschatologischen Sammlung des Volkes Israels verstanden als auch die ἐκκλησία als Verwirklichung bzw. geschichtliche Konkretisierung des in Christus wohnenden Heils interpretiert werden: „Denn in ihm allein wohnt wirklich die ganze Fülle Gottes. Durch ihn seid auch ihr davon erfüllt; denn er ist das Haupt aller Mächte und Gewalten“ (Kol 2,9–10; vgl. Kol 1,24–2,5; Joh 1,14–16).
Der Epheserbrief weitet diese soteriologische Sicht der Kirche aus, wenn er dem universellen Heilsgeschehen in Christus eine ekklesiale Bedeutung beimisst. Eph 1,23 gibt dem Begriff πλήϱωμα einen ekklesiologischen Sinn: „Sie [die Kirche] ist sein Leib und wird von ihm erfüllt, der das All ganz und gar beherrscht“ (Eph 1,23). Eph 4,13 beschreibt Ideal und Sendung einer im Innern und Äußeren gereiften Gemeinde, die den österlichen Christus abbildet, während Eph 2,14–17 das Erlösungswerk Christi als „Türöffner“ zum himmlischen Jerusalem versteht: Juden wie Heiden werden durch Christi Heilstat zu einem neuen Menschen gestaltet und erhalten „zusammen mit ihm einen Platz im Himmel“ (Eph 2,6) sowie – als „Hausgenossen Gottes“ einen direkten „Zugang zum Vater“ (Eph 2,18f).
Dieser nur äußerst knappe Einblick in die Pleroma-Theologie macht deutlich, wie die Katholizität – wenn auch nicht explizit, so doch implizit – bereits in frühchristlicher Zeit der ἐκκλησία zugeordnet wird:
„Die Kirche wird zum Raum der Heilsfülle (πλήϱωμα), durch den Christus als das Haupt über alles das All erfüllt […] [D]as ekklesiale Sosein [wird] zur bleibenden Aufgabe der geschichtlichen Kirche, die die ihr geschenkte Heilsfülle in erkennender Reflexion, sittlicher Erneuerung und missionarischer Bemühung je erst einholen muss“.23
3. Gebrauch des Begriffs „katholisch“ bis zur Reformation
In der Theologie erscheint der Begriff „katholisch“ als Theologumenon erstmals in der Väterzeit. Zunehmend dient er der Ausgestaltung des Selbstverständnisses der jungen Kirche und wird mit unterschiedlichen theologischen Inhalten gefüllt. Dies hängt vom Verständnis des im Begriff „Katholizität“ enthaltenen ὅλος ab. Je nachdem, was mit diesem „Ganzen“ ausgesagt ist, variieren auch die sich teils überschneidenden Bedeutungen der „Katholizität“. Im Folgenden seien die wesentlichen Bedeutungsvarianten in ihrer historischen Entwicklung bis zur Reformation nachgezeichnet.24
3.1Das erste Auftreten bei Ignatius von Antiochien
Als Attribut der Kirche sowie im christlichen