Die Katholizität der Kirche. Dominik Schultheis

Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis


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Auch da – besser: nur da – sei Kirche „katholisch“, wo sie, selbst wenn nur lokal ansässig, ihre Reinheit und Heiligkeit betone sowie daraus ableitend die persönliche Heiligkeit des Sakramentenspenders rigoristisch vertrete. Dies sei aber – so die Meinung der Donatisten – lediglich in der Kirche Afrikas gewährleistet, folglich dessen nur sie „wahre“ Kirche Jesu Christi genannt werden könne.49

      Augustinus (354–430 n. Chr.) akzentuiert in Abwehr dieser separatistischen Gruppe und ihres betont qualitativen (sakramentalen) Katholizitäts-Verständnisses das quantitative (geographische) Moment der Katholizität.50 Das Pfingstereignis habe bereits der nachösterlichen Kirche eine Sendung für die ganze Welt erwiesen;51 daher bedeute Katholischsein zuallererst „communicare orbi terrarum“52, „Mit-allen-auf-dem-ganzen-Erdkreis-in-Einheit-verbunden-sein“.53 Rechtgläubige Kirche ist in den Augen Augustins nur die universale Gemeinschaft der „Catholica“. Nur diese ist – im Unterschied zu den Donatisten und anderen häretischen Gruppen, welche nur an vereinzelten Orten vertreten sind –, mit ihrer Heils- und Lehrfülle überall und an allen Orten, über den ganzen Erdkreis verbreitet und darüber hinaus geeint.54 Katholizität kommt dabei sowohl der Universalkirche als auch den Ortskirchen zu.55

      Will man Augustinus an dieser Stelle ein rein quantitatives Verständnis der Katholizität unterstellen, greift eine solche Interpretation sicher zu kurz.56 Wenn er in der Auseinandersetzung mit den Donatisten zweifelsohne die geographische Dimension der Katholizität besonders hervorhebt – was in der Folge, vor allem in der Abwehr weiterer häretischer Gruppen, nicht ohne Wirkung bleibt – so ist ihm an einer qualitativen Bestimmung der Katholizität durchaus gelegen. So betont Augustinus etwa die Einheit der Kirche, die er als Bedingung der Möglichkeit ihrer Heilsvollkommenheit versteht.57 Diese Einheit werde durch das Band der Liebe gewährleistet, die in der Trinität, näherhin im Verhältnis zwischen Gott Vater und Jesus Christus, ihren Ursprung habe und in der Feier der Eucharistie je neu verwirklicht werde.58 Gegen diese Liebe aber – und hierin zielt seine qualitative Argumentation gegen die afrikanische Kirche – sieht Augustinus die Donatisten sich versündigen, beabsichtigten diese doch, die Liebe allein auf die Grenzen Afrikas zu beschränken. Gottes Liebe aber, so der Bischof von Hippo, sei ohne Schranken, folglich dessen die Donatisten aus der Liebe herausfielen und nicht katholisch seien.59

       3.4Akzentuierung bei Vinzenz von Lérins

      In der Folge betont Vinzenz von Lérins (gest. um 435 n. Chr.) stärker die auch schon bei Augustinus anklingende zeitlich ausgeweitete anthropologische Dimension der Katholizität und unterstreicht damit zugleich den offenbarungstheologischen Aspekt der Katholizität. Ihm geht es um eine – noch nicht institutionell gedachte – normative Instanz, welche Synkretismen sowie Häresien vermeiden hilft.60 Bei ihm werden „universitas“, „antiquitas“ und „consensio“ wesentliche Hauptbestandteile der Katholizität. Er sieht die universal verbreitete Catholica deshalb als rechtgläubig an, weil sie in Kontinuität (traditio) zu dem steht, was immer schon zu allen Zeiten überall allgemein gelehrt und von allen geglaubt wird.61 Damit hebt er die Katholizität als ein kontinuierliches, unveränderliches und notwendiges Wesensmerkmal (nota ecclesiae) der Kirche heraus;62 die Katholizität wird durch den Kontinuitätsgedanken als Identität interpretierbar.63

       3.5Verwendung in der mittelalterlichen Theologie

      Die von Augustinus und Vinzenz von Lérins betonte geographische und offenbarungstheologische Dimension der Katholizität wird für das Mittelalter bestimmend.64 Damit geht ein neues Kirchenverständnis einher, dem von Papst Leo dem Großen (440–461 n.Chr.) der Weg geebnet wird und die römische Kirche neben den anderen sich herausbildenden Patriarchaten zunehmend zu einer ordnenden Leitungsgewalt werden lässt. Leo baut nicht nur die Idee der Petrus-Nachfolge des römischen Bischofs weiter aus, dem fortan der Titel „Papst“ zukommt, sondern er verbindet die Idee der Petrusnachfolge mit der Leitungsvollmacht über die ganze Kirche: Der Bischof von Rom erhält neben Synode und Konzil Anteil an der Legislative der universalen (katholischen) Kirche.65

      In Folge des Boethius (475/480–525 n.Chr.), der in seinem Werk „De trinitate“66 erstmals von der „fides catholica“ spricht, verbindet man die Idee der Katholizität immer mehr mit der des rechten Glaubens. Dabei kommt der Katholizität sowohl das qualitative Moment der Orthodoxie als auch der quantitative Aspekt der universalen Verbreitung zu.

      Die wichtigsten Vertreter der Hochscholastik wie Albert der Große (1193–1280) und Thomas von Aquin (1225–1274) folgen diesem Verständnis. Sie messen der „ecclesia“ die gleichen Eigenschaften wie der „fides“ bei und verstehen die Katholizität im qualitativen Sinne als die „Fülle des Heils“, die der Kirche durch Christus als ihrem Haupt immer schon, d.h. wesentlich (essentiell) zu eigen ist und ihr universale Geltung verleiht.67 Insofern der Glaube aber – weil er sich an alle Menschen aller Orten und aller Zeiten richtet sowie auf letzte Fragen verbindliche Aussagen zu treffen vermag – immer schon universell ausgerichtet ist, kommt der Katholizität neben ihrer qualitativen Dimension zugleich das quantitative Moment der Kontinuität hinzu.68

      Diese qualitativ wie quantitativ geprägte Idee der „ecclesia universalis“ bleibt im gesamten Mittelalter bestimmend. Zugleich kristallisiert sich in Folge der von Humbert von Silva Candida herausgegebenen Ekklesiologie „De sancta romana ecclesia“ (1053) und der von Papst Gregor VII. (1073-1085) initiierten Gregorianischen Reform die Kirche von Rom als jene – bei Vinzenz von Lérins noch unbestimmt gebliebene – normative Instanz heraus, welche die offenbarungstheologische Dimension der Katholizität garantiert. Die Kirche von Rom und mit ihr deren Bischof garantieren zunehmend die „Authentizität des universellen katholischen Glaubens […] etwa im Sinne ‚Römisch‘ garantiert ‚katholisch‘ […][und beanspruchten] die Entscheidungskompetenz im Blick auf Einheit und Katholizität der ganzen Kirche“69. Galt die Kirche von Rom seit dem vierten Jahrhundert lediglich als Appellations- und Schiedsinstanz, die in Streitfragen zwischen anderen Ortskirchen vermittelnd eingriff70, vertritt man nunmehr die Auffassung, „mater omnium catholicorum“ zu sein. Da Christus nach Mt 16,18f die Kirche auf Petrus gegründet habe, dieser aber in der römischen Kirche samt ihren Bischöfen fortlebe, sei die römische Kirche als Ursprung und Quelle aller anderen Kirchen anzuerkennen.71 Dies hat zur Folge, dass als „katholisch“ zunehmend das gilt, was „römisch“ ist, d.h. was vom römischen Lehramt (Papst und Bischofskollegium) als verbindlich zu glauben verkündet wird.72 Zwar ist die römische Kirche genauso Ortskirche der Universalkirche wie alle anderen Ortskirchen auch; dennoch gereicht die Kirche von Rom mit ihrem besonderen Bischofssitz über den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus zur Spitze der anderen Ortskirchen. „‘Römischer‘ Glaube ist der durch Petrus geprüfte und entschiedene ‚katholische‘ Glaube. […] Sie [umfasst] in ihrer Romanitas und durch ihren Bischof […] all das authentisch, was die anderen Kirchen zu heiligen, apostolischen und katholischen Kirchen macht“73. Die ursprünglich der Abwehr von Häretikern, der Authentizität des wahren katholischen Glaubens und der Vermittlung in Auseinandersetzungen dienende Vorrangstellung Roms verselbständigt sich immer mehr zum späteren „una sola catholica“-Denken, welches die Herausbildung der „ecclesia Romana“ begünstigt. Durch das „Dictatus papae“ Gregors VII. (1075) und späteren Bestimmungen des IV. Laterankonzils (1215) wird der Primat des Papstes zum einzigen Prinzip der kirchlichen Einheit. Innozenz III. (1198–1216) verbindet die „Katholizität“ mit der „plenitudo potestatis“ des römischen Bischofs, um die Vorrangstellung des Papstes als kirchliche und weltliche Macht zu begründen.74 Weil fortan allein dem Papst die „plenitudo potestatis“ zukommt, hat er ein uneingeschränktes und unmittelbares Eingriffsrecht in alle Angelegenheiten der Ortskirchen. „Damit wird die altkirchliche Idee und Wirklichkeit einer Communio der Bischöfe, deren Kollegialität und Vollmacht einen eigenständigen apostolischen


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