Die Katholizität der Kirche. Dominik Schultheis

Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis


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„ist die weltweite Kirche erst durch den Vorsitz der ‚Römischen Kirche‘ katholisch, sozusagen ‚römisch-katholisch‘“76.

      Der spanische Dominikaner Johannes de Torquemada (1388–1468) ist es schließlich, der in seiner „Summa de Ecclesia“ die „ecclesia universalis“ mit der „ecclesia Romana“ gleichsetzt und sie mit dem Inhaber des Stuhles Petri identifiziert.77 Er sieht die Katholizität der „ecclesia universalis“ im Papst verwirklicht: Als Haupt der Kirche kommt ihm von Christus her – vor allen anderen und für die anderen – die Fülle der kirchlichen Gewalt zu. So ist der Bischof von Rom als Ursprung und Quelle aller kirchlichen Gewalt das Ganze der Kirche. Damit wird die Kirche von Rom „zum Inbegriff und zur Vollendung der katholischen Kirche und ihrer Teilkirchen, damit auch des katholischen und des mit ihm verbundenen teilkirchlichen Glaubens. Die ‚Römische Kirche‘ wird zur eigentlichen allgemeinen katholische[n] Kirche“78. Mit der Bulle „Unam sanctam“ Papst Bonifatius VIII. (1302) war zudem die Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom als heilsnotwendig bestimmt worden (vgl. DH 870–872). „Damit erfüllt nur die römische Kirche den gesamt-kirchlich-katholischen Heilsauftrag. ‚Katholisch‘ ist nur in ‚römischer‘ Gestalt heilbedeutsam. […] Weil es nur noch eine einzige universell-katholische Kirche, eben die universell-römische gibt, gibt es als den einen katholisch rechtgläubigen Glauben nur den ‚römischen‘“79. Diese Sichtweise der Römischen Kirche und die damit zusammenhängende Identifizierung von „katholisch“ und „römisch“ bestimmte die katholische Ekklesiologie bis zum Konzil von Trient und darüber hinaus.80

       4. „Katholisch“ im Zuge der Spaltungen der Catholica

      Heute blicken wir auf eine geschichtlich gewachsene Pluralität von christlichen Konfessionen zurück, die allesamt Katholizität für sich beanspruchen, die Begriffe „katholisch“ bzw. „Katholizität“ jedoch unterschiedlich mit Inhalt füllen und gewichten. In Westeuropa beheimatete Christen werden, wenn von Konfessionen die Rede ist, vor allem an die katholische Kirche denken, zu denen die weniger geläufigen unierten Ostkirchen hinzuzurechnen sind, ferner an die traditionellen evangelischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften mitsamt der Anglikanischen Kirche, an die evangelischen Freikirchen sowie an die Altkatholische Kirche; manchen wird noch die große, aber wenig vertraute Gemeinschaft der (byzantinisch-)orthodoxen Kirchen einfallen. All diese Kirchen und kirchliche Gemeinschaften entwickelten sich auf dem geographischen Gebiet des alten Römischen Reiches. Daneben gibt es noch weitere christliche Kirchen, deren Wurzeln gleichermaßen bis zu den Aposteln zurückreichen, die jedoch am Rande bzw. außerhalb des geographischen Gebiets des alten Römischen Reiches eine je eigene Geschichte entwickelt haben und folglich westlich geprägten Christen kaum bis gar nicht im Bewusstsein stehen: die Gemeinschaft der altorientalischen Kirchen. In konfessionskundlicher Hinsicht unterscheidet man hierbei nochmal zwischen der Assyrischen Kirche des Ostens, deren Wurzeln außerhalb des alten Römischen Reiches liegen, und den orientalisch-orthodoxen Kirchen, zu denen die syrisch-orthodoxe, die koptisch-orthodoxe, die äthiopisch-orthodoxe, die armenisch-apostolische, die erithreische sowie die malankarisch-orthodoxe Kirche gerechnet werden.81 Sowohl diese „vorchalkedonischen“ altorientalischen Kirchen als auch die uns mehr vertrauten sogenannten „chalkedonischen“ Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften auf dem Gebiet der alten Reichskirche bekennen sich zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche des Nizäno-Konstantinopolitanums, ein Bekenntnis, das älter ist als alle späteren historischen Aufspaltungen der ursprünglich einen Catholica.

      Zur ersten Spaltung der einst ungeteilten Catholica kam es mit dem Schisma des fünften Jahrhunderts. Im Zuge der christologischen Streitigkeiten um das Verhältnis von wahrem Menschsein Jesu und seiner wahren Gottheit in der Einheit der Person (Zwei-Naturen-Lehre) trennten sich die orientalisch-orthodoxen Kirchen von der alten Großkirche ab, da sie vor allem die christologische Entscheidung des Konzils von Chalcedon (451) nicht mittragen konnten. Bereits zuvor hatte sich parallel zur Reichskirche außerhalb des geographischen Gebiets des römisch-byzantinischen Reiches die Assyrische Kirche des Ostens herausgebildet, die an den reichskirchlichen Konzilien nicht beteiligt war, deren Beschlüsse aber – mit Ausnahme der Bestimmungen des Konzils von Ephesus (431) – nachträglich übernahm. Dem Bruch der orientalisch-orthodoxen Christen mit der Reichskirche folgte mit dem Schisma zwischen Rom und den östlichen Patriarchaten (1054) eine weitere Aufspaltung der Catholica, aus der die (byzantinisch-)orthodoxen Kirchen hervorgegangen sind. Durch die Konfessionalisierung im Zuge der Reformation des 16. Jahrhunderts auf dem geographischen Gebiet der weströmischen Kirche verselbständigten sich schließlich die traditionellen evangelischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sowie die Anglikanische Kirche, später die evangelischen Freikirchen. Im 19. Jahrhundert ging aus der (römisch-)katholischen Kirche schließlich die Altkatholische Kirche hervor; bis heute entwickeln sich auf allen Kontinenten selbständige kirchliche Gemeinschaften.

      Dieser vereinfachte konfessionskundliche Abriss vermag veranschaulichen, dass sich in der zweitausendjährigen Kirchengeschichte immer wieder neue Denominationen ausbildeten, mit denen verschiedene, konfessionell geprägte Bedeutungsvarianten der Begriffe „katholisch“ und „Katholizität“ einhergehen. Denn jede Konfession meint nicht immer dasselbe, wenn sie das Attribut „katholisch“ für sich in Anspruch nimmt. Diese verschiedenen Bedeutungsvarianten sind von dem für Kirche typischen Spannungsverhältnis Einheit–Vielfalt je unterschiedlich geprägt und betonen einmal mehr die qualitative oder die quantitative Dimension des Begriffs „katholisch“. Bevor wir in dieser Studie herauszuschälen versuchen, wie die (römisch-)katholische Kirche beide Begriffe mit Inhalt füllt und was sie eigentlich meint, wenn sie von der „katholischen Kirche“ spricht, seien im Folgenden Grundzüge nichtkatholischer Auffassungen von Katholizität grob skizziert, ohne damit den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen.

      Bei einer solchen Darstellung müsste, was die Kirchen des Ostens anbetrifft, strenggenommen zwischen altorientalischem und orthodoxem Katholizitätsverständnis unterschieden werden. Da dies jedoch zu vielen Überschneidungen und unnötigen Wiederholungen führen würde, soll das Katholizitätsverständnis der Ostkirchen insgesamt in den Blick genommen und nur dort differenzierter werden, wo es aus Warte dieser Untersuchung nennenswerte Besonderheiten anzumerken gibt. Ähnliches gilt für die kaum überschaubare Gruppe der evangelischen Freikirchen. Diese werden, um den Rahmen dieser Studie nicht zu sprengen, nicht gegliedert nach einzelnen freikirchlichen Traditionen, sondern allgemein in den Blick genommen. Dass bei der gesamten nun folgenden Darstellung mit Unschärfen und Ungenauigkeiten zu rechnen ist, versteht sich von selbst. Diese genauer zu analysieren, könnte Gegenstand einer eigenen Studie sein.

       4.1Katholizität nach ostkirchlichem Verständnis

      Typisch für die Theologie der östlichen Kirchen ist, dass sie ihre Identität weniger in dogmatischen Sätzen begründet sehen, denn in der liturgischen Tradition ihrer jeweiligen Ritusfamilie sowie in den Schriften der Kirchenväter.82 Wegen ihrer stark ausgeprägten Orientierung an der patristischen Lehre verstehen sich die Kirchen des Ostens als legitime Erben der apostolischen und patristischen Tradition, weshalb sie sich in Absetzung von den anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften oft als die einzige wahre katholische und apostolische Kirche verstehen. Die Universalkirche betrachten sie als den vollständigen, aus den Ortskirchen im Heiligen Geist geeinten Leib Christi. Insoweit wird die Ekklesiologie als Fortsetzung der Christologie gesehen83, wenngleich ostkirchliche Theologie insgesamt einen trinitarischen Grundduktus aufweist. Diese trinitarische Grundlegung des Wesens der Kirche will das heilsökonomische Zusammenspiel aller drei innertrinitarischen Personen gleichermaßen betont wissen. Dadurch soll einem Christomonismus gleichermaßen gewehrt werden wie einer einseitigen und übermäßigen Betonung des Heiligen Geistes.84

      Mit dem für die ostkirchliche Theologie typischen apophatischen Charakter, d.h. mit dem bewussten Verzicht, den Glaubens bis ins kleinste Detail begrifflich definieren zu wollen, geht für die Kirchen des Ostens ein Kirchenverständnis einher, das die Kirche in erster Linie als Geheimnis (mysterion) begreift, dessen Wesen nicht mittels


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