Die Katholizität der Kirche. Dominik Schultheis

Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis


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Warte auch die mit der Katholizität von Anfang an aufs engste verbundene betont bischöfliche Verfasstheit der Kirche verloren. Diese wird nach evangelischer Lehre nicht als „primärer Bestimmungsfaktor kirchlicher Einheit und Katholizität“ angesehen, sondern „das gemeinsame Bekenntnis im Sinne eines Sachkonsenses bezüglich rechter Evangeliumsverkündigung und stiftungsgemäßer Sakramentsverwaltung“150. Zwar wird „das ordinationsgebundene Amt in seinen Gestalten und insbesondere in seiner episkopalen Form […][als] seinem Wesen nach dazu bestimmt [angesehen], der Einheit und Katholizität der Kirche in apostolischer Nachfolge zu dienen“151. Aber mit ihm ist – und hier unterscheidet sich das evangelische Amtsverständnis, wie wir noch sehen werden, in grundlegendem Maße von dem sakramentalen Amtsverständnis der (römisch-)katholischen Kirche – „nicht der Anspruch verbunden […], an sich selbst Garant der Einheit und Katholizität der Kirche zu sein. Zwar ist das kirchliche Amt auch nach evangelischer Lehre dazu bestimmt, ‚in persona Christi‘ zu handeln. Aber die amtliche Christusrepräsentation ist ihrem Wesen nach das gerade Gegenteil von Ersatz und schließt die Tatsache nicht aus, sondern ein, dass jeder getaufte Gläubige je auf seine Weise dazu bestimmt ist, ein Christusrepräsentant zu sein. Die Besonderheit des ordinationsgebundenen Amtes lässt sich von der Allgemeinheit des Priestertums aller nicht ablösen. Vielmehr waltet zwischen dem ordinationsgebundenen Amt und dem gemeinsamen Priestertum aller Christen ein wechselseitiger Begründungszusammenhang. Der Einheit und Katholizität der Kirche kann nur im Verein von ordinierten und nichtordinierten Christen gedient werden“152.

       4.2.2Katholizität in reformierter Sicht

      Die reformierten Kirchen der Schweiz behielten bis ins 17. Jahrhundert den Anspruch auf „Katholizität“ bei, maßen jedoch ab dem 19. Jahrhundert – in Abgrenzung von der (römisch-)katholischen Kirche und aufgrund des Apostolikumsstreits im Kanton Zürich153 – zunehmend der Katholizität keine Bedeutung mehr bei, so dass sie für eine reformierte Identität heute kaum eine Rolle spielt.154 Dabei war die Katholizität sowohl für Johannes Calvin (1509–1564) als auch für Huldrych Zwingli (1484–1531) ein wichtiger theologischer Begriff. Im Folgenden sei stellvertretend auf Calvins Katholizitätsverständnis kurz eingegangen.

       4.2.2.1Katholizität bei Johannes Calvin

      Johannes Calvins ekklesiologisches Denken ist wie das von Luther von einer Entwicklung geprägt.155 Aus christologischen und heilsökonomischen Gründen verschiebt er – durch die Prädestinationslehre bedingt, die das theologische Fundament seines Katholizitätsverständnisses bildet – die Katholizität der Kirche zunächst in den Bereich der nicht sichtbaren Kirche und versteht sie rein attributiv. Bei ihm ist die Katholizität kein empirischer, sondern ein theologisch-normativer Begriff. Dementsprechend formt Calvin ein rein geistliches Verständnis der Katholizität, was die Frage nach der Orthodoxie deutlich in den Hintergrund treten lässt.156

      Fundament der Katholizität der Kirche (sanctorum communio, populus electorum Dei) ist nach Auffassung Calvins deren verborgene Erwählung durch Gott, die dem Menschen an sich nicht evident ist. „Dem Glaubenden wird allerdings das Vorhandensein dieser Versammlung der Erwählten zur unbezweifelbaren Gewissheit, wenn er im Vorgang des Zum-Glauben-Kommens sich selber als Erwählten erkennt und den in Gottes Wort offenbarten Willen gläubig erkennt und auf sich appliziert.“157 Der Prozess des Gläubigwerdens vollzieht sich mit Blick auf Christus im Heiligen Geist und offenbart sich in Wort und Sakrament in der konkreten Gemeinde. Damit aber erweist sich die sichtbare Kirche „als bevorzugtes Mittel zur Weitergabe des Heils, als ‚sichtbar dienende Mutter’“158. Diese heilsmittlerische Funktion erreicht die Kirche nur, so Calvin, wenn sie auch eine erfahrbare Einheit bildet: „Deshalb heißt die Kirche ‚katholisch’ oder ‚allgemein’; denn man könnte nicht zwei oder drei ‚Kirchen’ finden, ohne dass damit Christus in Stücke gerissen würde – und das kann doch nicht geschehen“159. Als katholische Kirche versteht er „die Gesamtheit der Erwählten, der Engel wie der Menschen; und zwar der Toten wie der Lebenden, in welchen Ländern sie auch immer leben, bzw. unter welchen Völkern sie auch immer verstreut sind“160. Da in ihr sündige Menschen leben, bleibt die sichtbare (erfahrbare) Kirche stets eine mangelhafte und unvollständige Realisierung dieser Catholica, die auf ihre Vollendung im Eschaton wartet. Dann erst sei die volle Katholizität realisiert, wenn die Kirche wieder ganz „ecclesia“ werde.161

       4.2.2.2Katholizität in heutiger reformierter Sicht

      Heute ist das Prädikat „katholisch“ unter Reformierten weitgehend zu einer Leerstelle geworden. Während Gläubigen die Rede und das Verständnis von Katholizität gänzlich abhanden gekommen sind, stellen zumindest reformierte Theologen neuerdings Überlegungen zur Rückgewinnung einer im Zuge der Dekatholisierungstendenz des 19. Jahrhunderts verloren gegangenen reformierten Katholizität an.

      Das zweite Helvetische Bekenntnis verlagert die Katholizität der Kirche gänzlich in den Bereich der unsichtbaren Kirche und reklamiert sie als rein geistige Größe, der alle sichtbaren Kirchen in Tat und Wahrheit entsprechen sollen.162 Alleiniges Symbol, das alle Kirchenglieder verbindet, ist das Wort Gottes. Diesem Verständnis geht eine Spiritualisierung der Catholica einher, die die Katholizität höchstens als einen Würdentitel verstehen lässt, der Gabe und Aufgabe zugleich ist. Vielen jedoch ist die Würde dieses Namens, die Ehre, zur „communio sanctorum“ zu gehören, verlustig gegangen. Die Reformierte Kirche versteht sich zwar als Denomination, die als „ecclesia militans im Streit um die Wahrheit des Evangeliums das Recht [hat,] sich auf den einen Namen zu berufen, der allein geheiligt ist und der allein heilig spricht.“163 Zugleich aber wird immer mehr ein Graben zwischen dem Glauben der Einzelnen und der Sozialgestalt der Kirche deutlich, der das Bewusstsein, zur einen Catholica zu gehören, subjektiv aufzulösen droht, wie es der Apostolikumsstreit des Kantons Zürich faktisch zur Folge hatte.164 Wo eine subjektivistische, privatisierte Form von Glauben um sich greift, kann die kirchliche Einheit nur noch als Geisteshaltung, Apostoliziät nur noch als Historie, Heiligkeit nur noch als Ethos und Katholizität nur noch als universales Prinzip der Vernunft verstanden werden.165 Die reformatorische „Ausblendung des Glaubens an die Kirche steht [jedoch] in der Gefahr, die Gabe der Kirche, eine ‚Haushälterin der Geheimnisse Gottes’ (1 Kor 4,1) zu sein, aus dem Blick zu verlieren […][, letztlich] den Glaubenssinn für die universale Kirche“166. Dies zu sein, ist nämlich nicht Aufgabe einer Konfession, sondern der gesamten ökumenischen Kirche167.

       4.3Katholizität als Konfessionsbezeichnung

      Wie auch immer die einzelnen Reformatoren ihr Kirchenverständnis ausprägten und den Begriff „katholisch“ gebrauchten: „Katholisch“ ist sowohl für die Reformatoren als auch für die reformierten Theologen der ersten Generation noch keine Konfessionsbezeichnung, sondern mehr ein „Gütesiegel“. „Katholisch“ wird primär als geistige Größe verstanden und nur sekundär auf die sichtbare Kirche übertragen, was die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen aus ihrer Sicht als „wahre“ Kirchen qualifiziert. Damit wird die bleibende Kontinuität zur alten Kirche betont und zugleich eine Abgrenzung zur „ecclesia Romana“ unterstrichen. Die eigentliche Bezeichnung, die man beibehalten wollte, war: „ecclesia apostolica catholica“, „christliche“, „allgemein katholische“168 Kirche.

      Während ein mehr wesentliches Verständnis der Katholizität lediglich der unsichtbaren Kirche das Attribut „katholisch“ zubilligt, in der die einzelnen Konfessionskirchen geeint und somit indirekt katholisch sind169, fördert die institutionelle Deutung des Katholizitätsbegriffs in Folge Melanchthons die Identifizierung der sichtbaren lutherischen mit der einzig wahren katholischen Kirche. Schon bald gereicht „katholisch“ mehr und mehr zur Konfessionsbezeichnung,


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