Die Katholizität der Kirche. Dominik Schultheis

Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis


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zuerst qualitativ, dann – nachgeordnet – quantitativ:

      „Katholisch ist die Kirche, weil und inwiefern sie in sich das Allgemeine und Ganze, Christi Wahrheit und Gnade in äußerer, zeitlich räumlicher Erscheinung, und für den ganzen Menschen und das ganze Menschengeschlecht aller Orten und aller Zeiten ist, alle in dieselbe eingehen sollen und können; auch in wiefern sie aufwärts alle Frommen in sich begreift, eine neue Offenbarung und Herstellung des Ursprünglichen ist, und alles Heilige auf Erden und im Himmel, die nicht gefallene Geisterwelt und die hergestellte Menschenwelt begreift“192.

      In Folge ergänzt Friedrich Pilgram (1819–1890) den wieder zunehmend im ursprünglichen Sinne gebrauchten Begriff der Katholizität durch die schöpfungstheologische Dimension.193 Der Theologe Franz Adam Göpfert (1849–1913) unterscheidet deutlicher zwischen qualitativer und quantitativer Dimension der Katholizität und sieht die quantitative in der qualitativen begründet bzw. versteht sie als deren Ausdruck.194

      Dass derartige Versuche einzelner Theologen, die der intensiven Katholizität wieder zu neuer Beachtung verhalfen, lehramtlicherseits eher weniger Beachtung fanden, zeigt die Enzyklika „Mystici Corporis“195 (1943). Zwar korrigiert Pius XII. ein bloß juristisches Verständnis der Kirche durch die Aufnahme biblischer Aussagen sowie pneumatologischer Begründungen. Dennoch greift er die seit dem Tridentinum bestimmend gewordene Ekklesiologie Bellarmins auf und zieht für sein Kirchenverständnis (Kirche als „Leib Christi“) die Zwei-Naturen-Lehre der Enzyklika „Satis cognitum“ Leos XIII. (1896) heran. Die fast ausschließlich von dem Jesuiten Sebastian Tromp verfasste Enzyklika greift den nach der Reformation zum Kennzeichen der protestantischen Ekklesiologie avancierten Begriff „corpus Christi mysticum“ auf und wendet ihn auf die Kirche an. Zugleich identifiziert sie die sichtbare (römisch-)katholische Kirche mit dem „corpus Christi mysticum“ im Sinne eines strikten „est“.196 Der universale (katholische) Horizont des Heils, in den Paulus seine Leib-Christi-Lehre im Kolosser- und Epheserbrief ursprünglich stellte, und damit die qualitative Dimension der Katholizität der Kirche kommen hierbei nicht zum Tragen.197 Da sich gegen die in „Mystici Corporis“ entfaltete untrennbare Einheit zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche Widerspruch erhob, erneuerte Papst Pius XII. in seiner Enyklika „Humani generis“ (1950) seine Auffassung von der Identität des mystischen Leibes Christi mit der römisch-katholischen Kirche.

      Zum Durchbruch eines wieder verstärkt qualitativen und damit ursprünglichen Katholizitätsverständnisses verhilft neben den theologischen Arbeiten von Henri de Lubac (1896–1991) und Yves Congar (1904–1995) vor allem die biblische und liturgische Bewegung. Dank der Rückbesinnung auf die Grundbedeutung der Katholizität treten im 20. Jahrhundert das in ihr ausgedrückte Heilsmysterium der Kirche und deren Heilsuniversalität wieder stärker in den Vordergrund:

      „Die innere und qualitative Katholizität hat ihren Ursprung im trinitarischen Heilsplan, dem gemäß die Kirche das Instrument des allgemeinen Heilswillens Gottes sein soll. Darum ist sie so groß und wie Gottes Wille. Hier liegt ihre wesentliche Katholizität. Die äußeren Realisationen der Katholizität, ihre raumzeitliche Universalität werden nicht übersehen, aber sie stehen nicht beziehungslos da, sondern haben ihren Sinn, ihre Begründung und auch das Maß ihrer Verwirklichung im Gottesgeheimnis selbst“.198

      Diese bedeutsame Rückbesinnung lässt das Zweite Vatinum (1962–1965) eine Ekklesiologie vorlegen, die die Vorstellung einer Identifikation der wahren Kirche Jesu Christi mit der (römisch-)katholischen Kirche zwar nicht aufgibt, diese aber weitet („subsistit in“):

      „Christus hat seine heilige Kirche […] auf Erden als sichtbares Gefüge verfasst [.] […] Die[se] mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi […] bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die […] in einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes ähnlich [ist]. Dies ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen. […] Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird. Das schließt nicht aus, dass außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen.“ (LG 8)

      Was dies für das Selbstverständnis der (römisch-)katholischen Kirche und ihre Katholizität sowohl nach innen wie nach außen bedeutet, soll im späteren Verlauf dieser Studie analysiert werden. Kommen wir zuvor noch auf das Katholizitätsverständnis der altkatholischen Kirche zu sprechen, die sich aus Protest gegen die dogmatischen Definitionen des Jurisdiktionsprimats und der päpstlichen Unfehlbarkeit des Ersten Ersten Vatikanums von der (römisch-)katholischen Kirche abspaltete.

       4.5Katholizität nach anglikanischem Verständnis

      Die Anglikanische Gemeinschaft vereinigt seit jeher unterschiedliche Typen christlicher Bekenntnisse. Der Tatbestand dieser sogenannten „comprehensiveness“ führt einerseits zu einem Reichtum an verschiedenen (katholischen wie evangelischen) Traditionen, verhindert andererseits eine einheitliche Dogmatik „der“ anglikanischen Kirchen sowie ein einheitliches Verständnis von Katholizität.199

      Die Anglikanische Gemeinschaft versteht sich als „eine Familie von Kirchen innerhalb der universalen Kirche Christi, die an der apostolischen Lehre und Struktur festhält und in voller Sakramentsgemeinschaft miteinander und mit den Bischofssitzen von Canterbury und York steht.“200 Dabei sind Übereinstimmung im katholischen und apostolischen Glauben (der sich in Teilen liturgisch und lehrmäßig im „Common Prayer Book“ ausdrückt) sowie ihre bischöflich-synodale Verfassung mit Autokephalie der Ortskirchen und gleichzeitiger Kirchengemeinschaft untereinander (Lambeth-Konferenz seit 1867 als Synode sowie das damit verbundene Anglican Consultative Council seit 1970 ohne Legislative und Exekutive) Wesenszüge der Anglikanischen Kirche, die mehr eine moralische Größe denn eine ontologische Glaubensaussage darstellen.201 Die Anglikanische Gemeinschaft versteht sich also als ein Teil der einen „wahren“ Kirche, die als ein größeres Ganzes gedacht wird und nicht notwendiger Weise empirisch erkennbar sein muss.202

      Während das Interesse am Verständnis der Katholizität während und kurz nach der Reformation auf anglikanischer Seite noch recht groß war, ebbte es im 17. und 18. Jahrhundert zunehmend ab. Eine Neubesinnung auf die Frage nach der Katholizität der Kirche erfolgte erstmals im 19. Jahrhundert im Zuge der Erneuerung der hochkirchlichen Bestrebungen und in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Im Vordergrund steht fortan das Anliegen, die dogmatische Vielfalt sowie das Nebeneinanderbestehen evangelischer und katholischer Traditionen der anglikanischen Kirche im Sinne der „comprehensiveness“ in eine Synthese zu bringen. Während etwa Arthur Michael Ramsey203 das der anglikanischen Kirche aufgegebene Problem einer Einheit in der Vielheit strukturell aufzulösen versucht – er glaubt, in der Verfassung der Kirche („order“) das einigende und normierende Prinzip der Katholizität zu finden –, setzt Daniel Jenkins204 am Glauben der Kirche an („faith“) und sieht die Katholizität der Kirche in ihrer Kontinutität zur Lehre der Apostel begründet, wie sie in der Heiligen Schrift bewahrt ist.

      Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nehmen qualifizierte Theologen des hochkirchlichen205, evangelikalen206 und freikirchlichen207 Teils getrennt voneinander Stellung zur Frage nach einer einenden Synthese der unterschiedlichen Auffassungen. Der erste (hochkirchliche) Bericht betont die Institution („order“) der Kirche als das einigende Prinzip der Katholizität.208 Der zweite Bericht spricht Katholizität im Sinne von Heilsfülle („fullness“) jeder kirchlichen Gemeinschaft nur fragmentarisch zu. Die eigentliche Heilsfülle komme allen erst im Eschaton zu. Der dritte und letzte Bericht definiert die Katholizität der Kirche als die alles umfassende Fülle Christi, die nie in einer konkreten (sichtbaren) Kirche verwirklicht sein könne, sondern nur in der gesamten Menschheit, letztlich überall dort, wo Menschen an das Wort Gottes glauben und es in tätiger Liebe bezeugen.209


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