Die Katholizität der Kirche. Dominik Schultheis

Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis


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sich möglicherweise Aufschlüsse über die Entwicklung des ekklesiologischen Denkens der Konzilsväter sowie Hinweise für mögliche Zusammenhänge zwischen den späteren ekklesiologischen Leitgedanken des Konzils und dem Begriff der Katholizität. Es gilt, im Folgenden herauszustellen, dass mit dem Begriff „catholicus“ in den Konzilstexten nicht nur die römisch-katholische Kirche als Denomination ins Wort gebracht ist, sondern auch die katholische Kirche im Sinne der „una, sancta, catholica et apostolica“ des Glaubensbekenntnisses, die nach dem Selbstverständnis der (römisch-)katholischen Kirche zwar in ihr subsistiert, dies aber nicht auf absolute (exklusive) Weise. Und es gilt zu klären, wo der Begriff „Katholizität“ im ursprünglich qualitativen oder quantitativen Sinne gebraucht wird.

      Mit gewissen, der Interpretation bedürftigen „Unschärfen“, die Bernd Jochen Hilberath für eine textkritische Analyse der Konzilstexte grundsätzlich attestiert, muss auch bei unserer Untersuchung gerechnet werden. Denn einerseits musste sich die mit der in LG betriebenen „Ersetzung des ‚esse’ durch das ‚subsistere’ […] vorgenommene Umorientierung [im ekklesiologischen Selbstverständnis] erst durchsetzen“248, was zu nicht immer eindeutigen Formulierungen in den Konzilstexten führte. Andererseits sind in konfessionskundlicher Hinsicht unter die Bezeichnung „katholisch“ nicht nur die (römisch-)katholischen Christen zu rechnen, sondern auch die Mitglieder der mit Rom unierten „katholischen Ostkirchen“, was vor allem bei der Verwendung des Begriffs „katholisch“ im Dekret OE zu möglichen Mehrdeutigkeiten führen kann, weil nicht immer von vornherein eindeutig ist, wer mit der Bezeichnung „katholisch“ eigentlich gemeint ist. Zu bedenken wird dabei sein, dass hier und dort, wo der Begriff „catholicus“ im Sinne der Konfessionsbezeichnung „weiter“ gefasst ist, einige Konzilsväter bei ihrer Zustimmung zum abschließenden Text mehr an ihre eigene römische Kirche gedacht haben als an eine „weitere“, im ursprünglichen Wortsinne katholische Kirche, die auch diejenigen Katholiken des Ostens miteinschließt, die mit Rom verbunden sind. Dies lässt sich jedoch allein vom promulgierten Text her nicht erschließen, so dass bei etwaigen Vermutungen Vorsicht vor allzu schneller Interpretation geboten ist.

      Eine systematische Durchsicht auch der Texte aus der vor-vorbereitenden Phase des Konzils (Antepreparatoria) samt der Konsultationen der Bischöfe und Institutionen sowie deren Eingaben (Vota) während der Jahre 1959 und 1960, der Texte aus der vorbereitenden Phase (Preparatoria) und der Quaestiones in den Jahren 1960 bis 1962 sowie der einzelnen Schemata, Relationes, Consilia und Vota, Animadversiones und Modi während der einzelnen Sitzungsperioden wäre hilfreich und aus textgenetischer Sicht angezeigt gewesen, da eine solch diachrone Betrachtungsweise genaueren Aufschluss darüber geben könnte, wie der Begriff „katholisch“ in den einzelnen Konzilstexten zu deuten ist und wo er unter Umständen bewusst eingefügt wurde, um bestimmte ekklesiologische Leitideen des Konzils zum Ausdruck zu bringen. Da eine derart tiefschichtige Analyse jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, soll auf sie weitgehend verzichtet werden. Allein dort, wo im Rahmen unserer Analyse eine intensivere Tiefenbohrung angezeigt ist, soll diese punktuell erfolgen.

       1. Kritische Durchsicht aller Konzilstexte auf die Begriffe „katholisch“ und „Katholizität“ hin

      Nach der Unterbrechung des Ersten Vatikanischen Konzils 1870 war man vielfach der Meinung gewesen, mit der Dogmatisierung des Jurisdiktionsprimats und der Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes einen status quo in Fragen der kirchlichen Hierarchie und des kirchlichen Selbstverständnisses erreicht zu haben, der weitere Konzilien überflüssig scheinen ließ. Die Päpste seit Benedikt XV. hatten vergeblich versucht, das Erste Vatikanum im ursprünglichen Sinne zu Ende zu führen.249 Umso überraschender war, dass Johannes XXIII. die Erwartungen auf eine Erneuerung der Kirche erfüllte und am 25.1.1959 zum Abschluss der Welt-Gebetswoche die Einberufung eines allgemeinen Konzils für die Weltkirche ankündigte.

      Die Einberufung des Konzils erfolgte mit der Apostolischen Konstitution „Humanae salutis“ am 25.12.1961; das am 2.2.1962 veröffentliche Motuproprio „Concilium“ setzte den 11.10.1962 als Termin für die feierliche Eröffnung und den Beginn der Arbeiten fest. In vier Sitzungsperioden beratschlagten die Konzilsväter über die vorbereiteten Schemata.

      Während der ersten Sitzungperiode (11.10.-8.12.1962) wurden keine Konzilsdokumente verabschiedet. Vielmehr ging es darum, die zehn Konzilskommissionen mit Vertretern aus den Reihen der angereisten Bischöfe zu besetzen. Der Erzbischof von Mailand und spätere Papst Paul VI., Kardinal Giovanni Battista Montini, formulierte – Gedanken des belgischen Kardinals Leo Josef Suenens aufgreifend – in einem elfseitigen Brief an den Papst die doppelte Richtung des Konzils: Er plädierte nach außen für eine Ausweitung des ökumenischen Dialogs und nach innen für eine tiefere Befassung mit dem Wesen der Kirche und ihrer grundlegenden Reform.

      Die zweite Sitzungsperiode (29.9.–4.12.1963), die nach dem Tod von Papst Johannes XXIII. am 21.6.1963 von Papst Paul VI. am 29.9.1963 eröffnet wurde, führte zu den ersten Dokumenten und damit zu den ersten greifbaren Ergebnissen des Konzils.250

       1.1Die Verwendung in SC

      In der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ (SC), die am 4.12.1963 verabschiedet wurde, taucht der Begriff „catholicus“ an fünf Stellen (vgl. SC 69,2; 115,1; 121,3; 123; 127,3)251 auf und zwar zumeist in konfessionellem Sinne.

      Die „katholischen Heiltümer“ („sacra catholica“)252, zu denen sich ein gültig getaufter Konvertit bekehrt hat, meinen in SC 69,2 die (römisch-)katholische Kirche. In SC 115,1 („institutis et scholis catholicis“), in SC 121,3 („catholicae doctrinae“) sowie in SC 127,3 („cultui catholico“) wird „catholicus“ ebenfalls als Adjektiv zur Bezeichnung der Konfession im Sinne von „römisch-katholisch“ verwandt.

      Auch SC 123 verwendet „catholicus“ als Denominationsbezeichnung, dies wohl in einem „weiteren“ Sinne, ist doch von allen Kunststilen die Rede, die „durch die vergangenen Jahrhunderte hindurch“ ihr Schaffen zur größeren Ehre Gottes eingesetzt und auf diese Weise im „Chor der Verherrlichung […] dem katholischen Glauben gesungen haben“ (SC 123). Es werden ausdrücklich alle verschiedenen Kunstepochen einbezogen, also auch jene, die vor den christlichen Spaltungen im 11. und 16. Jahrhundert zum Kunstschatz des ursprünglich einen „katholischen Glaubens“ beigetragen haben. Das „katholisch“ trägt der Tatsache Rechnung, dass sowohl die Kunst des ersten Jahrtausends gemeinsames Erbe des „katholischen Glaubens“ ist als auch diejenige, die sich nach den Spaltungen in den Ostkrichen entwickelt hat.

      Das „catholicae fidei“ lässt auch eine Interpretation zu, bei der das „catholica“ in einem weiteren qualitativen Sinne gelesen werden kann; mit dieser Formulierung wäre dann der orthodoxe, d.h. wahrhaft christliche Glaube bezeichnet im Unterschied zum häretischen Glauben. Dass dies intendiert war, lässt sich nicht belegen.

       1.2Die Verwendung in IM

      Das ebenfalls am 4.12.1963 verabschiedete Dekret „Inter Mirifica“ (IM) verwendet insgesamt sechzehn Mal das Adjektiv „catholicus“ (vgl. IM 3,1; 14,1–3; 16; 17; 18; 21,1–2; 22), davon mehrheitlich als Konfessionsbezeichnung „römisch-katholisch“.

      In IM 3,1 haftet dem Adjektiv „catholica“ – wenn auch dem Kontext entsprechend im konfessionellen Sinn verwendet – eine zugleich weitere, quantitative Dimension an, wird doch von außen auf die katholische Kirche geblickt, die zu Recht als „catholica Ecclesia“ bezeichnet wird, da sie von Christus gegründet und beauftragt ist, allen Menschen das Heil zu bringen, weshalb die Verkündigung der Frohen Botschaft notwendig zu ihrer vornehmsten Aufgabe gehört („cum ad salutem universis hominibus afferendam a Christo Domino constituta sit ideoque evangelizandi necessitate compellatur“). Das Dekret betont, dass die katholische Kirche nicht um ihrer selbst willen da ist, sondern einen Auftrag hat, nämlich teilzuhaben an der Sendung Christi, alle Menschen aller Zeiten, Orte und Rassen mit Gott


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